Weihbischof Marian Eleganti war Anfang September persönlich angereist, um der Eröffnung der St. Galler Zweigstelle der internationalen Hilfs- und Beratungsorganisation 1000plus beizuwohnen. Zugegen waren auch Vertreter evangelischer Kreise. Was die Christen aller Konfessionen mit 1000plus vereint: Sie wollen werdenden Müttern, die an eine Abtreibung denken, Alternativen aufzeigen und Frauen in Not gegebenenfalls auch mit weltlicher Hilfe beistehen.

Die Beamtin berief sich auf einen einzigen Zeitungsartikel und auf Aussagen im Deutschen Bundestag.

1000plus wurde 2009 von der globalen Organisation Pro Femina gegründet und stand bislang nach eigenen Angaben über einer halben Million Frauen mit Rat und Tat zur Seite. Fundamentalistische Abtreibungsaktivisten verwüsten zwar immer wieder mal ein Büro der Beratungsstelle, vor allem in Deutschland, doch nicht einmal sie behaupten, 1000plus würde irgendwelche pekuniären Absichten verfolgen. Sie werfen der Pro-Life-Bewegung vielmehr christlichen Fundamentalismus vor. Im Internet findet sich sodann ein (in Zahlen: 1) Artikel der Süddeutschen Zeitung, in dem 1000plus frageweise unterstellt wird, Schwangere zu bedrängen. Einen Beleg dafür blieb die Reporterin indes schuldig (ihr Versuch, sich heimlich als Ratsuchende einzuschleichen, war kläglich gescheitert).

 

Mustergültige Zurückhaltung

Auf ebendiesen Artikel sowie Äusserungen im Deutschen Bundestag berief sich eine Beamtin der St. Galler Steuerbehörde, als sie im November 2023 dem journalistisch «umstrittenen Verein» eine beantragte Steuerbefreiung verweigerte («Wetten, ein Nemo wäre willkommen»?, Weltwoche Nr. 37/24). Die Beratung von 1000plus sei nicht neutral, argumentierte die Beamtin. Die Organisation weise eine politische Stossrichtung auf, zumal es ihr offen deklariertes Ziel sei, Abtreibungen wenn immer möglich zu verhindern. Im Sinne der «massgeblichen Volksauffassung» liege daher kein gemeinnütziges Interesse vor.

Diese Argumentation übernahm auch die Rekursinstanz (bestehend aus einer Kollegin der zuständigen Beamtin) der St. Galler Steuerverwaltung, wobei nun auf die Erwähnung des Deutschen Bundestags und der umstrittenen Reporterin der Süddeutschen verzichtet wurde. Dafür wird auf das Angebot von staatlichen Institutionen verwiesen, die von Gesetzes wegen verpflichtet seien, Abtreibungswilligen eine «ergebnisoffene» Beratung anzubieten. Im Klartext: 1000plus ist überflüssig, der Staat kümmert sich bereits darum.

«Der Vollständigkeit halber (. . .) ist festzuhalten», so belehrt das Amt die Antragsteller, dass öffentliche Proteste gegen seinen Entscheid (im konkreten Fall wurde ein offener Brief lanciert) «für eine Steuerbefreiung schädlich» seien. Im Klartext: Einer gemeinnützigen Organisation steht es nicht an, gegen amtliche Erlasse aufzubegehren. Denn: «Eine andere rechtliche Würdigung des Sachverhaltes als von der Einsprecherin erwünscht ist noch keine Willkür.»

Würde man dieser Logik folgen, müssten auch Organisationen wie Greenpeace, Schweizerische Energie-Stiftung, Solidar (früher Arbeiterhilfswerk), WWF, Sans-Papiers- oder Flüchtlingshilfe der Status der Allgemeinnützigkeit sofort aberkannt werden. Gemessen an diesen pressure groups übt sich 1000plus in nachgerade mustergültiger Zurückhaltung.

 

Wertneutral und ergebnisoffen?

Doch niemandem, nicht einmal der ominösen «massgeblichen Volksauffassung», käme es in den Sinn, von den erwähnten Organisationen, die alle von der Steuerpflicht befreit sind, politisch neutrale und ergebnisoffene Ratschläge zu erwarten. Und auch hier gäbe es eine Fülle staatlicher Informations- und Hilfsangebote. Die Bundesämter für Energie oder für Umwelt stehen dem verunsicherten Bürger noch so gerne zur Seite. Das Bundesamt für Migration gibt Milliarden für die Betreuung von Sans-Papiers aus, stellt ihnen unentgeltlich Rechtsberater zur Seite und finanziert ihnen sogar noch die Heimreise.

Mit dem Urteil vom 17. Oktober hat das St. Galler Verwaltungsgericht die willkürliche Verfügung der Steuerbehörde nun aufgehoben. Zwar habe der Schweizer Gesetzgeber (im Gegensatz zum deutschen) für Abtreibungswillige eine ergebnisoffene Beratung vorgesehen. Doch eben gerade weil 1000plus keine staatliche Funktion innehabe, ergebe sich auch keine Pflicht zur Neutralität. Im Sinn der Gleichbehandlung – es gibt auch andere steuerbefreite Gruppierungen, die Schwangere beim Entscheid für das Leben unterstützen – sei die Gemeinnützigkeit von 1000plus anzuerkennen.

Die Verfahrenskosten von insgesamt 3610 Franken und 60 Rappen werden dem Steuerzahler auferlegt.