Der beste Satz über die Rolle des Chefredaktors stammt von Theo Sommer, dem langjährigen Chef der Zeit. Der Satz lautet: «Autorität kommt von Autor.»

Sommer beschrieb damit, wie sich ein Chefredaktor auf seiner Redaktion Respekt und Ansehen verschafft. Er tut es, indem er schreibt. Chefredaktoren, die keine Autoren sind, haben wenig Autorität bei ihren Journalisten.

Machen wir also den Theo-Sommer-Test. Ich habe gezählt, wie viele Kommentare und Artikel die Chefredaktoren unserer führenden Zeitungen in den letzten neun Monaten für ihr Blatt geschrieben haben. Gezählt habe ich nur echte journalistische Stücke, also keine Hausmitteilungen und keine Hinweise auf Zeitungsinhalte.

Hier ist die mathematisch präzise Liste:

Chefredaktion

Titel

Artikel

Patrik Müller

CH-Media-Verbund

105

Arthur Rutishauser

Sonntagszeitung

90

Reza Rafi

Sonntagsblick

88

Rolf Cavalli

Aargauer Zeitung

61

Roger Köppel

Die Weltwoche

53

Reto Furter

Südostschweiz

44

Kaspar Surber

Wochenzeitung

37

Stefan Schmid

St. Galler Tagblatt

37

Marcel Rohr

Basler Zeitung

28

Eric Gujer

NZZ

25

Raphaela Birrer

Tages-Anzeiger

24

Nadine Sommerhalder

Watson

15

Steffi Buchli

Blick

14

Simon Bärtschi

Berner Zeitung

9

Desirée Pomper

20 Minuten

2

Judith Wittwer

Süddeutsche Zeitung

2

Spitzenreiter, mit 105 Texten, ist Patrik Müller, der Ober-Chefredaktor von CH Media, der den zwanzig Zeitungen des Verlags den überregionalen Mantelteil liefert. Schlusslichter mit nur zwei Beiträgen in neun Monaten sind Desirée Pomper von 20 Minuten und Judith Wittwer von der Süddeutschen Zeitung. Wittwer, zuvor beim Tages-Anzeiger, führt die einzige helvetische Chefredaktion im Ausland.

Birrer, Sommerhalder, Buchli, Pomper, Wittwer – sie haben wenig bis gar nichts zu sagen.

Damit sind wir beim auffälligsten Element der Liste: Es sind die Frauen. Die fünf Schweizer Chefredaktorinnen liegen, was ihre Schreibkraft angeht, allesamt auf den hintersten Plätzen. An publizistischer Produktivität sind die Frauen den Männern meilenweit unterlegen.

Die Chefredaktorinnen, muss man leider sagen, bringen es publizistisch nicht. Birrer, Sommerhalder, Buchli, Pomper, Wittwer – sie haben wenig bis gar nichts zu sagen. Sie sind alle schreibfaul. Alle fünf Chefredaktorinnen haben einen Mann ersetzt. Aber dieser Wechsel hat sich für uns Leser nicht ausgezahlt. Die fünf Frauen sind eine inhaltliche Enttäuschung.

Ich kann das erklären. Ich habe in meinen langen Jahren im Mediengeschäft den Unterschied von weiblichen zu männlichen Chefs immer wieder erlebt. Frauen haben oft dasselbe Problem: Sie haben einen Hang zur Bürokratie.

Nehmen wir als Beispiel die Redaktionskonferenz. Ein männlicher Chef sagt: «Hallo zusammen, was liegt denn heute so alles an?» Ein weiblicher Chef sagt: «Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit meinem Team eine Liste mit zwölf Themen analysiert, die heute wichtig sind.»

Frauen sind gewissenhafter als Männer. Sie sind besser vorbereitet, sie kümmern sich um kleinste Details, sie sichern sich ständig ab, und sie betreiben viel Administration. Das kostet Zeit und Energie, und zum Schreiben kommen sie darum nicht. Und weil sie so gewissenhaft sind, schreiben sie auch dann nicht, wenn sie Zeit hätten, weil sie gewissenhafte Angst davor haben, etwas Falsches zu sagen.

Die Herren Chefredaktoren sind unkomplizierter. Journalistische Kraftmeier wie Patrik Müller, Arthur Rutishauser, Reza Rafi, Rolf Cavalli und Roger Köppel sind allesamt meinungsstarke und politisch versierte Schreib-Bulldozer. Sie liefern permanent ab. Sie scheuen sich nie vor kantigen Kommentaren und warten auch immer wieder mit selber recherchierten Storys auf, die zu reden geben.

Chefredaktoren, anders als Chefredaktorinnen, haben keine Angst, sich auch mal journalistisch zu vergaloppieren. In diesem Fall greifen sie zum Klassiker der Branche: «Was kümmert mich mein Geschreibsel von gestern?» Und dann hämmern sie den nächsten forschen Text in die Tasten. Und dann noch mal.

Solche Gelassenheit gegenüber sich selbst geht Chefredaktorinnen ab. Sie nehmen alles sehr ernst, besonders sich selber. Und vor lauter Ernst schreiben sie nicht.