Die Frau heisst Nicoletta della Valle (53), ist Chefin des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) und plant Grosses: die Jagd auf Dschihadisten und Mafiabanden. Zu diesem Zweck will sie die in der Vergangenheit glücklos operierende Bundeskriminalpolizei (BKP) zu einer effi­zienten Fahndungstruppe trimmen – im ­Dienste der bisher ebenso glücklos agierenden Bundesanwaltschaft. Die BKP führt Vorab­klärungen und gerichtspolizeiliche Ermittlungen in allen Bereichen durch, die in die Kompetenz des Bundes fallen. Dazu gehören zum Beispiel organisierte Kriminalität oder terroristisch motivierte Straftaten.

Das ist die Theorie, der Alltag sieht weniger rosig aus. Grosse Würfe sind den bundes­bernischen «Mafiajägern», die aktuell unter sozialdemokratischer Kuratel operieren, ­bisher keine gelungen. Das Amt leidet als ­Folge von Fahndungsflops und einer nicht eben gloriosen Vergangenheit unter seinem schlechten Ruf. Der Präsident der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK), der Zürcher Nationalrat Alfred Heer (SVP), fragt sich jedenfalls, womit sich die BKP-Fahnder wohl den ganzen Tag beschäftigen. Das Amt komme ihm zuweilen wie eine Phantombehörde vor.

Stil provoziert Widerstände

Aber das soll jetzt anders werden: Für das ­Fedpol sei der Moment da, «aus der Defensive zu kommen», verkündete della Valle ein par Monate nach ihrem Amtsantritt am 1. August 2014. Ihr prioritäres Ziel: Bundesanwalt Michael Lauber gutgeschultes Personal für Ermittlungen zur Seite stellen. Heer kommt das alles irgendwie bekannt vor: Man hat in den vergangenen Jahren mit den gleichen Argumenten einen gewaltigen Aufbau betrieben, angeblich zur Mafiabekämpfung. Und wenn es einmal tatsächlich ernst wurde, wie im Falle der Thurgauer Mafiazelle, hiess es hinterher, man könne leider nichts tun.

Aus der Defensive gelockt hat della Valle bisher auch bloss eine Reihe frustrierter Mitarbeiter. Die von ihr durchgepeitschte Reorganisation kommt bei den Mitarbeitern nicht gut an und sorgt für Aufregung im Amt. Die Fedpol-Chefin will zusätzliches Expertenwissen hereinholen und umgekehrt ein paar altgediente, über fünfzigjährige BKP-Fahnder loswerden, deren Know-how zur Erreichung der hochgesteckten Ziele nicht mehr genüge; Fahnder mit Polizeiausbildung, aber ohne höhere Weihen, die man ohne die beim Bund ­üblichen Abgangsentschädigungen in die ­Pension entsorgen kann.

Gegen eine effizientere Behörde hat niemand Einwände. Es ist vor allem der forsche Stil, mit dem della Valle den Laden umkrempelt, der bei der Bundeskriminalpolizei Widerstände provoziert. Zu Beginn habe sich die Amtschefin noch persönlich um einvernehmliche Lösungen mit den Betroffenen bemüht, sagen Insider. Inzwischen schicke sie ihren Rechtsdienst vor. Der diktiere dann den Betroffenen die neuen Bedingungen: entweder für weniger Lohn im Amt weiterarbeiten oder eine Versetzung an einen neuen Standort zum bisherigen Lohn, aber mit einem täglich ­zweieinhalbstündigen Arbeitsweg. Weiter ist die Rede von Rückstufungen um bis zu zwei Lohnklassen, was im Einzelfall Lohneinbussen von mehreren tausend Franken pro Jahr bedeutet. Die Gewerkschaften sind alarmiert, die GPK noch nicht informiert.

Das ruppige Vorgehen wirft aber vor allem ein schiefes Licht auf die von Simonetta Sommaruga hochgejubelten Führungsqualitäten der Fedpol-Chefin.

Es begann mit einem Justizskandal

Und das alles in einem sozialdemokratisch ­regierten Departement. Die Genossen haben sich sonst den Schutz der Arbeitnehmer auf die Fahne geschrieben. Gerade jetzt weibeln SP-Präsident Christian Levrat und ein paar seiner Mitstreiter für den Ausbau der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit mit der EU, also für mehr Lohnschutz in der Schweiz. Justizministerin Sommaruga verlangte 2014 von der Wirtschaft, dass über Fünfzigjährige im Arbeitsmarkt behalten werden sollten. In ihrem eigenen Departement setzt sie offenbar andere Massstäbe. Die Reorganisation hat aber für della Valle noch einen willkommenen Nebeneffekt: Sie wird ein paar Fahnder los, die ihr nicht sehr ruhmreiches früheres Gastspiel im Fedpol selber ­erlebt haben.

Die Reorganisation der BKP sei derzeit noch im Gange. Eine definitive Struktur liege noch nicht vor, die genauen Auswirkungen auf die Mitarbeiter seien noch nicht klar, lässt della Valle durch ihren Sprecher Alexander Rechsteiner ausrichten. Es handle sich nicht um eine Sparmassnahme, man wolle die BKP flexibler machen und die Kompetenzen der Mitarbeiter noch besser einsetzen. Es gebe Einzelfälle, bei denen Mitarbeiter in ihrer Funktion nicht mehr glücklich seien und auf eigenen Wunsch eine Veränderung wollten, oder Mitarbeiter die Anforderungen nicht mehr erfüllten. In diesen Fällen versuche das Fedpol, mit der betroffenen Person eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Es war kein Freudentag im Amt, als Bundesrätin Sommaruga 2014 die Wahl von Nicoletta della Valle zur Fedpol-Chefin bekanntgab. ­Viele Mitarbeiter hätten lieber die langjährige Nummer zwei, den umgänglichen Adrian Lobsiger, aufrücken sehen. Lobsiger, inzwischen als neuer Datenschützer der Eidgenossenschaft designiert, stand von Anfang an auf verlorenem Posten. Sommaruga hatte bis dahin alle Schlüsselstellen ihres Departementes mit Männern besetzt, in della Valle fand die SP-Bundesrätin die ideale Alibi- und Quotenfrau für die Fedpol-Direktion. Die beiden ­kennen sich aus gemeinsamen SP-Tagen, entsprechend überschüttete die Justizministerin ihre neue Chefpolizistin bei der Präsentation vor den Medien mit Lob.

«Wer an der Spitze eines so grossen, wichtigen Amtes steht, muss sehr viel mitbringen, vor allem aber Führungsstärke und Managementqualitäten, juristische Kenntnisse und gute Kenntnisse des Systems der inneren Sicherheit, der Strafverfolgung und des Polizeibereichs», säuselte Sommaruga ins Mikrofon. Das alles und mehr bringe della Valle mit. Und sie kenne das Amt sehr gut, habe von 2006 bis 2012 als Vizedirektorin im Fedpol gearbeitet. Freilich erwähnte Sommaruga nicht, dass sich della Valle während dieser Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Nur die Weltwoche rief nach ihrer Wahl in Erinnerung, dass die Frau, welche das Bundesamt für Polizei führen sollte, «am Ursprung des grössten Schweizer Justizskandals der Neuzeit stand», bei dem die parlamentarischen Oberaufseher, die Geschäftsprüfungskommission, in die Irre ­geleitet wurden und der auch zur Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher (SVP) führte.

Della Valle hatte damals mit Vertretern der Bundesanwaltschaft an einer klandestinen ­Sitzung teilgenommen, bei dem es um die ­Verwertung privater Aufzeichnungen des ­jahrelang verfolgten und später vom Bundesstrafgericht freigesprochenen Bankiers Oskar Holenweger ging. Sie soll Parlamentarier auch über den Einsatz von V-Mann Ramos, den die BKP auf Holenweger angesetzt hatte, falsch informiert haben. Und sie leistete sich, was der frühere Amtsdirektor Jean-Luc Vez bestätigte, eine Liaison mit dem damaligen BKP-Chef Kurt Blöchlinger, der den umstrittenen ­Ramos-Einsatz leitete.

Della Valle, längst als Amtsdirektorin zurückgekehrt, trat nach den Attentaten in Paris und Brüssel forsch auf den Plan, stand den ­Medien Red und Antwort und offenbarte mit ihren Einschätzungen ein naiv anmutendes Unwissen über die hiesige Salafisten- und Dschihadisten-Szene. Zur IS-Zelle in Winter­thur meinte sie, die Jungen gingen nicht in ­einen Kulturverein, um sich Hasspredigten ­eines alten Mannes anzuhören, obwohl genau dies in Winterthur der Fall war. Della Valle ­bewies auch nicht gerade weitgehende Kenntnisse der föderalen Polizeistrukturen (obwohl Sommaruga bei der Präsentation auch diesen Punkt hervorstrich), als sie im Nachgang der Attentate in Belgien dem Präsidenten der kantonalen Polizeidirektoren, dem Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser (FDP), widersprach. Käser warnte in einem Interview, die Polizei könne bei akuter Terrorbedrohung gerade ­einmal zwei oder drei Tage lang ein massives Sicherheitsdispositiv gewährleisten.

«Sehr enge Hosen»

Steif und frech behauptet della Valle hinterher: Die Schweizer Polizei sei gut aufgestellt und habe bereits mehrfach bewiesen, dass sie mehrere Grosseinsätze gleichzeitig bewältigen könne. Dabei ist es nachgerade bekannt, «dass alle Polizeikorps in der Schweiz personell in sehr engen Hosen sind», wie Käser auf Anfrage der Weltwoche präzisiert. Auch beim WEF seien jeweils namhafte personelle Mittel der Armee zwingend nötig.

Sicher ist auf alle Fälle: Ihre eigene Bundeskriminalpolizei kann della Valle mit ihrem Lob nicht gemeint haben. Die ist zurzeit wieder einmal mit sich selbst beschäftigt.