Die Einführung einer Dienstpflicht für Schweizerinnen findet Stefan Holenstein, der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG), eine gute Sache. «Fraueninklusion ist von sicherheitspolitischer Relevanz» und sei für die Zukunft der Milizarmee «dringlich», schreibt er in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift.

Auch Bundesrätin Viola Amherd hält den 0,9-Prozent-Anteil von Soldatinnen im Schweizer Militär für zu gering und sucht deshalb nach Wegen, um ihn zu erhöhen.

Ähnlich wie Holenstein und Amherd denkt offenbar eine Mehrheit. Laut dem Bericht «Sicherheit 2021» der ETH sprechen sich 67 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Dienstpflicht für Mann und Frau gelten soll.

Frauen in der Armee sind in Israel seit sieben Jahrzehnten Realität. Gibt es Lehren, die die Schweiz aus den Erfahrungen des Mittelmeerlandes ziehen kann, obwohl sich die Bedrohungslage der beiden Länder nicht vergleichen lässt?

 

Nur Männer in Elite-Einheiten

Der Anblick der selbstbewussten, cool wirkenden jungen Israelinnen, die im Café oder im Zug ihr Sturmgewehr lässig auf die Oberschenkel legen und ihren Rucksack, der für sie oft etwas zu gross ist, auf den Boden stellen, hat manche schon zu Oden an Soldatinnen inspiriert. Viele sind zierlich, doch sie müssen in voller Kriegsausrüstung 60 Kilometer zurücklegen – davon 32 mit einer Tragbahre auf dem Rücken bevor sie in einer Kampfeinheit aufgenommen werden.

Als der Staatsgründer David Ben-Gurion Israelinnen per Gesetz zum Dienst in der Armee verpflichtete, hatte er dafür zwei Gründe. Er wollte erstens dem Mangel an militärischem Personal entgegenwirken und zweitens das Konzept einer «Volksarmee» realisieren.

Von Frauen sollte genauso viel verlangt werden wie von Männern, war der Sozialist Ben-Gurion überzeugt. Er hatte aber nichts dagegen, dass sie zunächst ausschliesslich als Büroangestellte, Krankenschwestern und Lehrerinnen zugelassen waren – Positionen also, die traditionell als weibliche Rollen angesehen wurden.

Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich in den Israel Defense Forces (IDF) «Gender-Anliegen» durchgesetzt. Unter dem Druck von Feministinnen, die ihre Forderungen teils mit Hilfe von Gerichtsentscheiden erkämpften, werden immer mehr Aufgaben und Einheiten für Frauen im Militär geöffnet.

Idit Shafran Gittleman, die am Israel Democracy Institute das Programm «Militär und Gesellschaft» leitet, freut sich über diese Entwicklung: Rekruten sollten aufgrund ihrer Fähigkeiten und nicht ihres Geschlechts eingeteilt werden, meint sie. 1995 wurde die erste Frau Kampfpilotin, in den folgenden Jahren wurden Soldatinnen in der Grenzpolizei, in gemischten Einheiten, als Marineoffizierinnen oder als Fallschirminstruktorinnen zugelassen, vor zwei Jahren auch als Kommandantinnen eines Artilleriekorps.

Seit 2012 stehen 92 Prozent der IDF-Einheiten Frauen offen. Im Vergleich zu den 1980er Jahren, als nur die Hälfte der Einheiten Frauen aufnahmen, sei das ein Fortschritt, sagt Shafran Gittleman. Die Zahl der weiblichen Kampfsoldaten in der Infanterie ist zwischen 2013 und 2017 um 350 Prozent gestiegen, und die Gesamtzahl der weiblichen Kampfsoldaten hat sich seit 2005 versiebenfacht. Nur in Elite-Einheiten werden Frauen derzeit nicht zugelassen.

Der Einsatz von Frauen in Kampftruppen ist freilich umstritten. Die Ultraorthodoxen stehen ihm ablehnend gegenüber, aber auch Feministinnen. «Der Gedanke, dass Frauen in Kampfeinheiten eingesetzt werden, hätte von vornherein abgelehnt werden müssen, schon allein wegen der eklatanten physiologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen», sagt die Autorin Irit Linur. «Im Gegensatz zu Männern ist der Kampfdienst für Frauen freiwillig. Dieses Wahlrecht besteht, weil die Armee die Wahrheit kennt: Es gibt nur eine winzige Minderheit von Soldatinnen, die den körperlichen und geistigen Strapazen des Kampfes gewachsen sind, deren Integration der Professionalität der Armee nicht schadet und die sich aufgrund ihrer körperlichen Schwäche nicht in Gefahr bringen.»

Religionsminister Matan Kahana, der einst in Elitetruppen gedient hat, kann der Gender-Agenda ebenfalls nichts Positives abgewinnen. «Die Rolle der Armee ist es, den Feind zu besiegen und nicht, gesellschaftliche Wunschvorstellungen durchzusetzen», sagt er. Die Kosten der Integration, so Kahana, seien höher als die Vorteile. Frauen würden im Durchschnitt zehnmal öfters verletzt als Männer.

 

Frauen sind privilegiert

Doch wie bringen Soldatinnen ihren Dienst in der rauen, von Männern dominierten Welt mit ihrer Weiblichkeit in Einklang? Der Gynäkologe Itamar Netzer, der bis vor kurzem oberster Arzt bei der Marine war, hat dazu eine Umfrage unter Kämpferinnen in Uniform durchgeführt.

Das Resultat hält er für «ermutigend»: «Während ihrer Einsätze verhalten sich die Soldatinnen professionell, und wenn sie nach dem Dienst im vertrauten Umfeld unter Frauen sind, können sie wieder stereotyp reagieren», meint Netzer, der die Studie zusammen mit einer Ko-Autorin in der Fachpublikation Military Health publiziert hat.

Komme zum Beispiel eine Soldatin bei der Vorbereitung eines Hinterhalts auf einen Ameisenhaufen zu sitzen, gebe sie keinen Ton von sich. «Aber sobald sie zurück im Frauenschlafsaal ist und eine kleine Kakerlake sieht, kann sie wie hysterisch schreien.»

Netzer hat für dieses gespaltene Verhalten eine Erklärung: «Der sichere und homogene geschlechtsspezifische Raum, in dem als weiblich empfundene Identitätskomponenten frei zum Ausdruck kommen können, dient für diese Frauen als emotionale Tankstelle.»

In Netzers Studie finden sich Fallbeispiele, wie sich die Frauen in Olivgrün mit ihrem Dasein in der groben Männerwelt arrangieren.

Sie versuche, auch in der Uniform gut auszusehen, meint eine der Befragten, die an der Grenze zu Jordanien dient. Sie achte im Armeelager auf ihr Äusseres, sagt eine andere, und sie kämpfe für ihre Weiblichkeit, mehr sogar als zu Hause. Sie habe stets eine Handcreme in ihrer Uniform, gibt eine Dritte zu Protokoll, als ob sie fordern wollte: Ich bin zwar Kampfsoldatin, aber lasst mich gleichzeitig auch Frau sein.

Etwas mehr Mühe hat ihre Kollegin: «Zu Hause dauert es oft eine Stunde, bis ich zum Ausgehen bereit bin. Im Militärlager werden mir dafür kaum 15 Minuten zugestanden.»

Netzers Studie macht auch klar, mit welchem Misstrauen Soldatinnen konfrontiert sind und mit welchen Vorurteilen sie zu kämpfen haben. Wenn ein Mann ein Mal geprüft werde, würden sie zehn Mal geprüft, wurde ihm gesagt, und eine andere räumt ein: «Man kann es nicht ändern. Männer gehen mit Stress besser um als wir.»

Trotz der postulierten Gleichberechtigung sind Frauen im Militär privilegiert. Die allgemeine Wehrpflicht besteht zwar für beide Geschlechter. Aber in den vergangenen Jahren wurden lediglich 58 Prozent der Frauen rekrutiert, während 75 Prozent der Männer zum Militärdienst eingezogen wurden.

Frauen können sich leichter dispensieren lassen – zum Beispiel, wenn sie religiös oder verheiratet sind. Männer werden härter angefasst als Frauen: Ihre minimale Dienstzeit dauert sechs Monte länger. (Ultraorthodoxe Frauen sind wie ultraorthodoxe Männer von der Dienstpflicht befreit.)

Trotzdem: Soldatinnen sind auf dem Vormarsch. Mehrere Frauen haben beim Obersten Gericht eine Petition deponiert, um die letzten Männerbastionen zu knacken. Zudem befördert die Armeeführung weibliche Offiziere in Top-Positionen.

So wurde neulich erstmals eine Frau zur stellvertretenden Leiterin der Cyber-Abteilung 8200 ernannt, der grössten der Armee. Die nächste Militärgeneralanwältin der IDF wird ebenfalls eine Frau sein. Sie ist damit die zweite weibliche Generalmajorin in der Geschichte der israelischen Verteidigungsstreitkräfte.

Auch an der Front rücken Frauen in Positionen vor, die bisher Männern vorbehalten waren. In diesem Monat wird erstmals eine rein weibliche Panzerkompanie die Grenze verteidigen.

 

«Schlechter Witz»

Zu den schärfsten Kritikern des Kriegsdienstes von Frauen zählt der Militärhistoriker Martin van Creveld. Dass Soldatinnen in Panzern an der Grenze zu Ägypten und Jordanien eingesetzt werden, akzeptiert der emeritierte Geschichtsforscher nicht als Argument für die Gleichberechtigung. Das sei «ein schlechter Witz». Seit Jahrzehnten sei es an diesen Grenzen nämlich nicht zu Kampfhandlungen gekommen, nie habe in den letzten fünf Jahrzehnten die israelische Armee die Grenze zu Ägypten überschritten. «Mehr als Schmuggler kann man hier nicht aufgreifen.»

Wo wie bei den Einsätzen amerikanischer Truppen im Irak oder in Afghanistan Soldatinnen kämpften, zeige die Statistik klar, wie irrelevant sie gewesen seien: Sie stellten rund 15 Prozent der Kämpfer, mussten aber lediglich 3 Prozent der Toten beklagen. Die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, war bei Männern sechs bis sieben Mal höher als bei Frauen.

Van Creveld bezeichnet den Einbezug von Frauen in der Armee als «Verschwendung». Die Armee habe dem Druck von Feministinnen nachgegeben: «Diesen ganzen feministischen Unsinn gibt es nur im Westen.»

Dass Feministinnen ihre Agenda im Militär weltweit durchsetzen können, führt van Creveld auf die lange Periode des Friedens zurück. «Es gab kaum Situationen, in denen es zu Kampfeinsätzen kam.» Das gelte auch für Israel, dessen Armee seit fünfzehn Jahren keinen ernsten Krieg geführt habe.

Kämpferinnen habe es in der Geschichte kaum gegeben. «Die Amazonen sind ein Mythos», sagt van Creveld, «der sich aufgrund der Kombination von Waffen und Brüsten zwar hartnäckig hält. Aber es ist eben nicht mehr als ein Mythos.»