Die Freunde einer institutionellen Anbindung der Schweiz an die Europäische Union (EU) sind nervös. Erstens wirkt die EU alles andere als einladend. Immer deutlicher fällt der Wirtschaftsraum zurück, obwohl man sich in Brüssel vor zwanzig Jahren noch vollmundig das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, zur «wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten» Zone des Planeten aufzurücken.

Davon ist Brüssel weit entfernt. Dem Kontinent droht die Deindustrialisierung Deutschlands. Eben warnte der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, man werde von «Laien regiert» und «den Grossteil unseres Wohlstands» in der Bundesrepublik verlieren. Gleichzeitig schockieren Meldungen islamistischer Messerattacken, fürchterliches Sinnbild einer gescheiterten Migrationspolitik.

Das Thema Zuwanderung ist auch in der Schweiz brandheiss. Vor zehn Jahren nahmen Volk und Stände die Masseneinwanderungsinitiative der SVP an. Doch den Verfassungsartikel versenkten einvernehmlich im Dezember 2016 die Verlierer der damaligen Volksabstimmung. Sie versprachen, mit Ventilen und Schutzvorrichtungen die Migration zu drosseln. Längst entlarvten sich die Ansagen als hohl.

Jährlich strömen über 100.000 Menschen netto in die Schweiz, Asylwesen inbegriffen. Für viele Schweizer ist das Mass jetzt voll. Es ist nicht mal so, dass die Leute um Arbeitsplatz und Wohnung bangen. Es ist ihnen einfach zu viel. Sie spüren, dass dieser Massenandrang nicht gut ist für die Schweiz. Die Auswirkungen sind überall zu spüren, im Alltag, auf den Strassen, in den Schulen, bei den Krankenkassenprämien.

Das anschwellende Unbehagen alarmiert nun die Euro-Turbos in Bern und deren zugewandte Stellen. Sie haben gemerkt: Die ausser Rand und Band geratene Zuwanderung durchkreuzt ihren Plan, die Schweiz ans institutionelle Gefüge der EU anzuschrauben. Denn mehr EU bedeutet im kollektiven Unterbewusstsein vieler Schweizer mehr Migration. Zu Recht. Folglich hat die EU weiter an Attraktivität verloren.

Ambühls «Schutzklausel» schützt gar nichts, am wenigsten die Schweiz.

In diese Gefühlslage stösst nun Michael Ambühl vor, der einstige Chefunterhändler der Schweiz mit Brüssel, bis vor kurzem Professor für Verhandlungsstrategie an der Zürcher ETH. Seine Tüfteleien bezwecken, die Schweiz den Gesetzen Brüssels zu unterwerfen, aber möglichst so, dass es die Schweizer nicht merken und dank Ambühls verwinkelten Überlegungen glauben, auch unter der EU seien immer noch sie hierzulande der Chef.

Über den professoralen Vorschlag lese ich im Tages-Anzeiger, einem der Leitorgane der EU-Anbinder, denen die Schweiz zu klein ist, die nicht mehr an die schweizerische Unabhängigkeit glauben und die am liebsten auch die lästige Neutralität ins Museum stellen würden. Warum es der Schweiz künftig besser gehen soll, wenn bei uns nicht mehr die Schweizer, sondern die Instanzen der EU bestimmen, bleibt allerdings diffus.

Nun will Ambühl einen «Mechanismus» entwickelt haben, der im Problemfall eine «Schutzklausel» gegen die Massenmigration aus Europa aktivieren soll. Damit glaubt er, die Skeptiker zu beruhigen und die Kritiker zu entwaffnen. Eine institutionell an die EU angedockte Schweiz, die immer noch selber die Zuwanderung reguliert: Wo, bitte schön, ist denn da noch das Problem der ewig gestrigen Verfechter unserer Unabhängigkeit?

Achtung, Gaunerwort: Ambühls «Schutzklausel» schützt gar nichts, am wenigsten die Schweiz. Sie ist nur die jüngste Nebelpetarde, mit der die EU-Anbinder vom wesentlichen Problem ablenken. Unterstellt sich die Schweiz den Gesetzen der EU, kann Brüssel künftig die Verträge einseitig nach Wunsch verändern, darunter auch den Vertrag über die Personenfreizügigkeit mit Ambühls wirkungsloser Klausel.

Es geht nicht um die Migration. Es geht um die Unabhängigkeit. Die EU fordert «dynamische» Abkommen, die sie einseitig abändern kann. Die Schweiz müsste gehorchen oder Sanktionen fürchten. Schade, dass ein intelligenter Mann wie Michael Ambühl dies verschweigt. Stattdessen zieht er das Trugbild einer «Schutzklausel» hoch, die von der EU «dynamisch» jederzeit wieder ausgehebelt werden könnte.

Was der Ex-Professor hier also vorlegt, ist nichts anderes als ein weiteres Beispiel für die institutionalisierte Unehrlichkeit, mit der führende Exponenten unseres Staates den Schweizern beim Thema EU begegnen. Man mogelt sich um die Wahrheit herum. Und die Wahrheit ist, dass die von der EU gewünschte institutionelle Unterstellung die Schweiz zu einer Rechtskolonie Brüssels machen würde.

Von Autoren mit Bezug zur ETH, einer angesehenen wissenschaftlichen Institution, sollte man erwarten dürfen, dass sie sich im wichtigsten Bereich unserer Staatlichkeit, den Volksrechten, nicht auf eine so leicht zu durchschauende und zu widerlegende Art der Propaganda jener Kreise ausliefern, die unser Land den Institutionen der EU unterwerfen möchten. Man darf das wollen. Aber dann soll man auch offen dazu stehen.