Ich gehöre zu den digitalen Selbstinszenierern. In losen Abständen poste ich Fotos auf Instagram und gebe mir dabei alle erdenkliche Mühe, wichtig, frisch und cool auszusehen. Dieser Aktionismus, so sehe ich es, gehört ein Stück weit zur Arbeit einer Youtube-Publizistin, und sie ist anspruchsvoll: Für ein Foto, das passt, landen hundert im Papierkorb. Weil das Licht, die Pose, das Haar nicht stimmen oder die groteske Falte am rechten Mundwinkel übertrieben sichtbar ist.

Die wahren Glamour-Königinnen dieser Welt stellen auf Instagram täglich Bilder ihres körperlich-geistigen Wohlbefindens zur Schau: Morgendliches Shake-Mixen in der Millionenvilla, Yoga-Pose, Luxushandtasche vom Sponsor, sie räkeln ihre perfekten Körper am perfekten Pool. Viele der Fotos werden nachträglich bearbeitet; Filter für sanfte Haut, Beine werden verlängert, Lippen vergrössert, Wangenknochen betont. Mit zunehmender Professionalität der Beauty-Apps driften die zwei Welten, real und digital, immer weiter auseinander. Die Inszenierung geht über die Bilder hinaus: Paare, die zusammen wohnen, wünschen sich über Instagram alles Gute zum Geburtstag. Mütter erklären Töchtern, mit denen sie zum Lunch waren, wie stolz sie auf sie sind (Töchter antworten, wie stolz sie auf ihre Mamas sind). Man beteuert sich gegenseitig seine Liebe. Kurz: Man zeigt der Aussenwelt, wie gut man es hat. Man stellt sich und sein Leben besser dar, als es ist.

Nun, ich finde das alles unterhaltsam und sehe kein Problem darin, wenn man mit dem Aussehen etwas trickst und sich der Welt nur in den vorteilhaftesten Momenten präsentiert. Das Problem aber ist die Wirkung, die der ausgestellte Perfektionismus auf Mädchen und junge Frauen haben kann. Sie bekommen – oder bilden es sich zumindest ein – von ihren Vorbildern die Botschaft vermittelt: So sehen Körper und Gesichter aus, die gesellschaftlich akzeptiert werden. So sieht ein Leben aus, das erfolgreich ist. So sehen glückliche Menschen aus.

Bei Instagram ist man mit dreizehn Jahren dabei. Die durchschnittliche Dreizehnjährige ist sich nicht bewusst, dass vieles nicht echt ist, dass geschönt und vorgegaukelt wird – oder dass das intensive Absorbieren perfekter Fotos und perfekter Leben irgendwann zu emotionalem Kontrollverlust führen und zur Keimzelle von Selbsthass und Unzufriedenheit werden kann. Ein junger Mensch, der ständig daran erinnert wird, was er selbst alles nicht hat und was alle anderen haben, läuft Gefahr, sich jeden Tag ein bisschen schlechter zu fühlen. Auf der anderen Seite ist es ebenso problematisch, wenn der eigene Gemütszustand von Likes abhängt, sich das Erfolgsgefühl aus einer kollektiven äusserlichen Bestätigung speist.

Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt schreibt in einem Essay im Atlantic von «vermutlich Millionen von Mädchen», die geschädigt worden seien. Für ihn «weisen die Opfer auf Instagram hin». Mädchen sind mehr gefährdet als Jungen, unter Industrieländern gebe es ähnliche Erfahrungen. Er verweist zum Beispiel auf eine Studie, die einen plötzlichen, steilen Anstieg psychologischer Erkrankungen unter britischen Mädchen zwischen dreizehn und sechzehn Jahren ab etwa 2013 zeigt. Haidt erklärt es mit dem Timing; die Social-Media-Nutzung unter Jugendlichen hat ab 2010 rapide zugenommen. In den USA sind 2014 80 Prozent der Highschool-Schüler auf einer Plattform aktiv, 24 Prozent davon «fast konstant». Auch britische Wissenschaftler kamen 2017 zum Schluss, dass Instagram die gefährlichste Plattform hinsichtlich der mentalen Gesundheit von Jugendlichen sei. Es werde ein «unrealistisches Bild der Wirklichkeit» gezeichnet, jeder zeige sich und sein Leben von der besten Seite. Die Scheinwelt erhöhe den Druck auf Jugendliche, während sie sich gleichzeitig minderwertig und ungenügend fühlten. Dazu wurden 1500 Jugendliche zu Angst, Einsamkeit, Körperbild und Schlaf befragt.

Instagram, das dem Konzern Facebook (neu: Meta) gehört, wirkt besonders auf Mädchen und junge Frauen wie eine Droge. Heute besitzen ja viele schon mit zwölf Jahren ein Smartphone, und mir fällt in der Nähe von Schulen manchmal auf, dass einige wie Zombies nur noch aufs Gerät starren. Das ist kein Vorwurf. Wir Älteren kennen diese Erfahrung aus der Teenagerzeit nicht.

Natürlich kann man sich fragen, ob die Sorgen unnötig sind und man junge Menschen einfach ihre Erfahrungen machen lassen soll, aus deren Folgen sie ja auch lernen. Das stimmt sicher teilweise. Nur sind Jugendliche häufig nicht in der Lage, die Konsequenzen ihrer Entscheide abzuschätzen. Ausserdem sollte man nicht vergessen, dass die Verletzlichkeit der menschlichen Natur zum Geschäftsmodell von Konzernen wie Facebook gehört.

Haidt schlägt vor, die Unternehmen zur Herausgabe von Daten zu zwingen und die Altersgrenze zu erhöhen. Aber auch die Eltern stehen in der Verantwortung, den Kindern von klein auf starke Werte und Selbstbewusstsein mitzugeben und ihnen die Mechanismen der digitalen Welt ungeschönt näherzubringen, ein Bewusstsein für die Scheinwirklichkeit zu schaffen.

Das Schwierigste dabei dürfte sein, sich als erwachsener User selbst von dem Gedanken zu verabschieden, dass Likes und Bestätigung im Internet alles bedeuten.

 

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