Sie bewegen sich frei im Land ihres Erzfeinds, verschaffen sich Zugang zu den höchsten Vertretern des iranischen Regimes und zu dessen Nuklearwissenschaftlern: Israels Mossad-Agenten. Was wie eine abenteuerliche Story aus Spionagethrillern klingt, leben Israels Superspione seit zwanzig Jahren vor. Gerade jetzt, da ein weiterer Schlagabtausch zwischen dem Iran und Israel bevorsteht, könnten die Operationen des Mossad für Israels Sicherheit von höchster Bedeutung sein.

In den vergangenen zwei Monaten wurden führende Köpfe der vom Iran angeführten Achse des Widerstands getötet, darunter der Grossteil der militärischen Führung der Hisbollah, inklusive des obersten Chefs Hassan Nasrallah und kurz darauf seines mutmasslichen Nachfolgers Hashem Safieddine. Zuvor war der Hamas-Topterrorist Ismail Haniyeh bei einer Explosion in einem von der iranischen Revolutionsgarde gesicherten Gästehaus während seines Besuchs in Teheran anlässlich der Amtseinführung des iranischen Präsidenten Massud Peseschkian bei einem Attentat umgekommen.

 

Mossad-Agent in Irans Spionageabwehr

Die Ajatollahs haben deshalb Grund zur Beunruhigung. Viel deutet darauf hin, dass der Mossad Hinweise von Offizieren der Revolutionsgarde erhalten hat, also von denjenigen, die die Islamische Republik vor dem inneren und äusseren Feind schützen sollen. Deshalb verdächtigt in Regimekreisen derzeit jeder jeden, dem Mossad Informationen aus dem Innersten des Systems zu liefern. Dessen Agenten fühlen sich im Iran «ziemlich heimisch», sagt Ilan Evyatar. Das, so der Autor des Buches «Target Tehran», bezeuge die grosse Zahl von Geheimdienstoperationen in der Islamischen Republik.

Kein Geringerer als Irans ehemaliger Präsident Machmud Achmadinedschad hat die Infiltration des Mossad bis ganz oben kürzlich in einem Interview mit CNN Türk angesprochen. Der Mossad sei in den letzten zehn Jahren in viele Regierungsstellen eingedrungen, «und zwar in einem solchen Ausmass, dass alle Spitzenbeamte des Landes um ihr Leben fürchten sollten». Er nannte ein besonders krasses Beispiel: Teheran habe eine Einheit gegründet, die Operationen des israelischen Mossad vereiteln und Agenten aufspüren sollte. Doch später wurde klar, dass der Mann, der zum Leiter dieser Einheit ernannt worden war, selber ein Mossad-Agent war. Insgesamt, heisst es in Teheran, sollen mehr als zwei Dutzend iranische Agenten dem Feind Informationen geliefert haben, bis sie enttarnt wurden. Diese Anschuldigungen, die plausibel, aber unüberprüfbar sind, wurden von Israel nicht kommentiert.

Bei der Rekrutierung kann sich der Mossad eine im Iran weitverbreitete Unzufriedenheit zunutze machen.

Sicher ist aber: Bei der Rekrutierung von Kollaborateur-Spionen kann sich der Mossad eine im Iran weitverbreitete Unzufriedenheit mit dem Regime zunutze machen. 78 Prozent der Iraner sind laut einer neuen Umfrage von Stasis Consulting der Meinung, dass die iranische Aussenpolitik «sehr oder in gewissem Masse» eine Ursache für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes sei. Beim Ausbau des Netzwerks greift der Mossad zudem auf Minderheiten zurück, die vom Regime diskriminiert werden – zum Beispiel Kurden, Aseris, Araber oder Belutschen. Der Mossad sei bekannt dafür, dass er Mitarbeiter mit ausländischem Pass «grosszügig belohne», sagt ein ehemaliger Agent.

Ein weiterer Faktor, der dem Mossad bei der Rekrutierung iranischer Kollaborateure hilft, ist der Grad der Uneinigkeit zwischen den verschiedenen Geheimdiensten im Iran. In den letzten Jahren hat die Revolutionsgarde nach und nach alle iranischen Agenturen übernommen, und es ist ihr gelungen, das iranische Ministerium für Nachrichtendienst und Sicherheit (Mois), das unter anderem für die Spionageabwehr zuständig war, zu verdrängen. Das Mois war eine Zeitlang recht effektiv und erfolgreich bei der Zerschlagung von feindlichen Zellen, die von ausländischen Nachrichtendiensten betrieben wurden, darunter auch Spionageringe der CIA. Seit es von der Revolutionsgarde verdrängt wurde, ist der Iran anfälliger für die Infiltration durch feindliche Geheimdienste.

Auch gebe es eine ständige Zusammenarbeit zwischen Israel und einer Vielzahl iranischer Oppositionsorganisationen, die versuchen, dem Ajatollah-Regime die Stirn zu bieten. Eine dieser Organisationen sei zum Beispiel die MEK, die iranische Oppositionsorganisation Mujahedin-e-Khalq. Die CIA bezeichnet die MEK als operativen Arm des Mossad, so Evyatar.

 

Nuklearforscher finden und töten

Schliesslich, ist Mossad-Experte Evyatar überzeugt, operieren auch israelische Agenten im Iran: «Es gibt Israeli, die über verschiedene Wege in den Iran gelangen und dort operieren.» Dabei stützten sie sich insbesondere auf die grosse Gemeinschaft iranischer Juden, die nach der Machtübernahme der Mullahs nach Israel auswanderte. Es gibt Israeli, «die über verschiedene Routen in den Iran einreisen und dort operieren», meint Evyatar.

Israels Spione haben den Iran seit Jahrzehnten im Visier. Sie erhielten vom damaligen Premier Ariel Scharon den Auftrag, das iranische Atomwaffenprogramm zu stoppen, weil es eine existenzielle Bedrohung für Israel sei. Der Mossad sollte die wichtigsten iranischen Nuklear- und Raketenforscher ausfindig machen – und töten.

Gemäss Berichten zerstörte der Computerwurm fast ein Fünftel der iranischen Atomzentrifugen.

Nachdem der Mossad fünfzehn Zielpersonen definiert hatte, die für das iranische Atomprojekt von zentraler Bedeutung waren, machte er sich ans Werk. Ein halbes Dutzend Atomwissenschaftler wurde eliminiert, meist auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit. Ausgeführt wurden die gezielten Tötungen durch Bomben mit Kurzzeitzündern, die Motorradfahrer an den Autos der Wissenschaftler anbrachten. Zudem wurde ein General der Revolutionsgarde, dem das Raketenprojekt unterstand, zusammen mit siebzehn seiner Mitarbeiter in seinem Hauptquartier in die Luft gesprengt. Ein anderer hochrangiger Atomexperte erlag einem mysteriösen Kohlenmonoxid-Erstickungstod. Der führende iranische Nuklearwissenschaftler Mohsen Fachrisadeh wurde im November 2020 durch einen ausgeklügelten Anschlag unter der Leitung eines Mossad-Teams ermordet, bei dem laut New York Times ein computergestütztes Maschinengewehr zum Einsatz kam, so dass keine Agenten vor Ort benötigt wurden. Beim Anschlag wurde niemand sonst verletzt, auch nicht die Frau des Wissenschaftlers, die zu diesem Zeitpunkt bei ihm war.

Weltweit berühmt wurde Stuxnet, die erste digitale Waffe, die vermutlich gemeinsam von den Geheimdiensten der USA und Israels entwickelt wurde. Stuxnet hat nicht einfach nur Computer gekapert oder Informationen gestohlen, sondern ist aus der digitalen Welt ausgebrochen, um die von den Computern gesteuerten Geräte zu zerstören. Obwohl Stuxnet erst 2010 weltweit für Schlagzeilen sorgte, geht man davon aus, dass die Entwicklung des Programms bereits 2005 begann. Gemäss Berichten zerstörte der Computerwurm fast ein Fünftel der iranischen Atomzentrifugen, infizierte über 200 000 Computer und führte zu einem physischen Ausfall von tausend Maschinen. Es war ein Präzedenzfall dafür, dass es möglich ist, die Infrastruktur eines anderen Landes durch Malware anzugreifen.

Die einzelnen Operationen mögen spektakulär klingen – aber sie konnten das iranische Nuklearprogramm nicht stoppen. In den vergangenen Jahren hat der Iran nicht nur Wirtschaftssanktionen, sondern auch Sabotageaktionen und der Ausschaltung von Nuklearexperten getrotzt und sein Nuklearprogramm fortgesetzt. Es ist Teheran gelungen, eine beträchtliche Menge Uran auf 60 Prozent anzureichern, was nur noch einen Schritt von dem Niveau entfernt ist, das für die Herstellung von spaltbarem Material für eine Atombombe erforderlich ist.

 

Gelegenheit für umfassenden Schlag

Mindestens zwei Mal wurde in Jerusalem über einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen debattiert. Evyatar bezweifelt aber, dass die derzeitige Eskalation im Konflikt mit dem Iran eine Gelegenheit für einen umfassenden Schlag gegen die Atomanlagen der Islamischen Republik bieten könnte: «Dann stünden wir nicht mehr am Rande eines totalen Krieges mit dem Iran, sondern mitten in einem totalen Krieg.» Und: «Es besteht das Gefühl, dass wir für einen solchen Krieg nicht ganz bereit sind.» Zudem, warnen Sicherheitsexperten, würden bei einem grossangelegten Angriff auf den Iran dessen Atomanlagen wahrscheinlich nicht ausreichend beschädigt.

Beim Mossad zieht man deshalb das Instrument gezielter Tötungen vor, um das Leben von Menschen zu retten, die die Zielperson umbringen will. Und setzt weiter auf Infiltration des Feindes.