Alle unterwegs und keiner daheim. World Music ist längst eine so bevölkerte See-, Luft- oder Interkontinentalstrasse, dass kaum mehr auszumachen ist, wer woher kommt und wohin will. Das führt manchmal zu den kreativsten Fusionen, und häufiger zu schrecklichster Coca-Cola-Musik. Mal mit einem südamerikanischen Touch, mal mit balkanischer Gewürzmischung oder auch mit einer Scheibe Raclette drauf, wenn’s bei McDonalds, «Zoge am Boge», zu einem Swiss Burger bodenständig zugehen soll. Die Gegenreaktion ist allerdings auch nicht ausgeblieben. Das Einerlei von überall und nirgendwo hat die Sinne geschärft für das Authentische. Wie der weitgereiste Jan Garbarek einmal sagte: «Die exotischste Musik fand ich am Ende in meinem eigenen Hinterhof.» Und schliesslich gibt es Musik, die ist weder global noch lokal, sie nimmt sich nur mal wie das eine, mal wie das andere aus. Vijay Iyer, 40, ist ein indischer Secondo in New York. Jede seiner neuen CDs erregt grösseres Aufsehen, inzwischen ist er in den einschlägigen Polls längst zum «New Star» avanciert. Vijay Iyer (an den Namen werden wir uns gewöhnen müssen) ist ein Gegner jener «Jazz meets India»-Fusionen, wie sie einstmals gross in Mode waren: Jene Raga-­parfümierten Weder-noch-Dudeleien, die sich den Teufel drum scherten, dass es sich bei indischen Ragas um extrem streng gefügte, grosse Formen handelt. Iyer ist einfach ein Jazzmusiker, und er ist Inder. Als Letzterem rumort in ihm allerdings ein kollektives Unbewusstes, und wenn er sich mit (ebenfalls in die USA emigrierten) Landsleuten trifft, will sich das äus­sern, ganz ohne folkloristischen Vorsatz. Seine jüngste Produktion mit dem Gitarristen Pra­sanna und dem Tabla-Spieler Nitin Mitta nennt er «Tirtha». Das heisst so viel wie Furt oder auch eine Stelle an heiligen Wassern. Tatsächlich fliesst alles in diesem Trio. Seine Musik ist ein Gespräch über das Hier, das Dort und das Dazwischen. Um einen Satz von Miles über Jo Zawinul abzuwandeln: «It’s no jazz, it’s no Indian music, but it grooves!»