Selten steckte die Schweiz in einer derart grossen Zwickmühle. Das Volk nahm im Jahr 2020 zwar die Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» mit einer knappen Mehrheit der Stimmen an. Doch das als «Konzernverantwortungsinitiative» bekannte Ansinnen scheiterte am Ständemehr, und damit trat der indirekte Gegenvorschlag in Kraft.

Dieser sah vor, das Schweizer Recht bezüglich Schutz von Mensch und Umwelt international abzustimmen – was nichts anderes heisst, als am Recht der Europäischen Union auszurichten. Umgehend fanden sich damit auch im Schweizer Obligationenrecht (OR) neue Bestimmungen zu Nachhaltigkeitsaspekten aufgenommen, die sich am EU-Recht orientieren.

Mittlerweile hat die EU aber ihre Pflichten zu genau diesem Bereich der Berichterstattung verschärft: Es kam die renovierte Richtlinie «Corporate Sustainability Reporting Directive» (CSRD), die nun erheblich vom Schweizer Recht abweicht. So schliesst der Geltungsbereich der neuen EU-Regeln deutlich mehr Unternehmen ein als die OR-Bestimmungen. Auch die Anforderungen an die Firmen sind erheblich umfangreicher geworden.

 

Im Gleichschritt mit Brüssel

Im Unterschied zur geltenden Regelung in der Schweiz verlangt die EU neu, dass bereits Unternehmen mit 250 statt 500 Mitarbeitenden über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und der Bekämpfung von Korruption sowie über die dazu ergriffenen Massnahmen umfassend Bericht erstatten müssen. Ausserdem ist neu die Prüfung der Berichterstattung durch eine externe Revisionsstelle vorgesehen.

Der Bundesrat sprach sich im September 2023 weiterhin für eine Angleichung des Schweizer Rechts an das EU-Recht aus und beauftragte die Bundesverwaltung, eine entsprechende Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten. Als Grundlage dieses Entscheids der Landesregierung galt, dass rund 60 Prozent der Schweizer Exporte in die EU fliessen und die Schweizer Wirtschaft daher ohnehin in hohem Mass von dieser EU-Richtlinie betroffen sein werde. So die Medienmitteilung des Bundesamts für Justiz zum Bundesratsentscheid.

Basis für die Vernehmlassung war zudem eine Regulierungsfolgenabschätzung, die es in sich hat. Die Schweiz habe nun drei Möglichkeiten, schrieb darin die tendenziell links orientierte Beratungsfirma BSS aus Basel, die als Kooperationspartnerin für die Analyse gleich noch das Öko-Institut hinzunahm. Damit darf man davon ausgehen, dass die von ihnen geschätzten Regulierungskosten für die Schweizer Volkswirtschaft eher zu tief als zu hoch veranschlagt wurden, denn aus dieser weltanschaulichen Sicht ist es ja positiv, wenn Unternehmen viele Details zu Nachhaltigkeitsaspekten publizieren müssen.

Die erste der drei Möglichkeiten sei der Status quo, also alles auf dem Stand der EU-Regulierung vor der Novellierung zu belassen. Die zweite Möglichkeit bestehe darin, die neuen CSRD-Regeln vollständig ins Schweizer Recht zu übernehmen. Oder als dritte Variante bleibe der Schweiz, lediglich einen teilweisen Nachvollzug dieser strenger gewordenen EU-Regeln vorzunehmen.

 

Mehr Firmen, viel mehr Kosten

Die Basler Experten schätzten dann, wie viele Firmen jeweils mit welchen Kosten betroffen wären, und rechneten dies approximativ auf das ganze Land hoch. «In der Summe ergeben sich Regulierungskosten von 907 Millionen Franken pro Jahr», lautet der unscheinbar platzierte Satz zum vollständigen Nachvollzug. Davon entfallen allein rund 580 Millionen Franken auf die Prüfkosten für die Testate.

Da die Personalkosten in der Schweiz teilweise deutlich höher sind als in der EU, fallen hierzulande logischerweise viel höhere Regulierungskosten an. Laut Gutachten sind es vor allem Personalkosten, die belastend sind.

Die Zahl von 907 Millionen Franken ist brisanter Stoff, denn fast eine Milliarde Franken an Zusatzkosten für die Schweizer Wirtschaft pro Jahr ist keine Kleinigkeit. Sie fehlt bei den Gewinnen und gibt der Öffentlichkeit als Gegenleistung dafür Berichte über CO2-Emissionen, den Energie- und Papierverbrauch, die Lieferketten oder die Arbeitsbedingungen – und politischen Aktivisten Publizität.

Würde die Schweiz den Geltungsbereich auf Unternehmen mit 500 Beschäftigten als Grenze beibehalten, würden die Regulierungskosten laut dem Gutachten von 907 auf 247 Millionen Franken pro Jahr sinken. Die betroffene Zahl an Firmen macht also den grossen Unterschied aus. Es wären so nämlich nur rund 480 statt 3500 Unternehmen verpflichtet, die neuen EU-Nachhaltigkeitsregelungen in der Schweiz zu berücksichtigen.

Würde die Schweiz dann auch noch auf die Prüfpflicht durch Wirtschaftsprüfer um Ernst & Young, KPMG, Deloitte, PwC & Co. verzichten, reduzierten sich die Kosten auf 79 Millionen Franken, erklärten die Spezialisten, nicht ohne aber die Anmerkung zu machen, dass ein Verzicht auf die Prüfpflicht die Verlässlichkeit der Berichte deutlich einschränken würde.

Bei der Beibehaltung des Status quo, wie er jetzt im OR steht, kommen die Experten von BSS auf Zusatzkosten der Nachhaltigkeitsregulierung von immer noch 13 bis maximal 61 Millionen Franken pro Jahr, dies, weil zahlreiche Schweizer Firmen dennoch unter die neuen EU-Standards fielen. Die Autoren gehen davon aus, dass sich Unternehmen trotzdem nach den strengeren Richtlinien von Brüssel ausrichten würden. «Die Berichtsinhalte wären allerdings weniger umfangreich, verlässlich und vergleichbar», heisst es jedoch umgehend.

Nun, was haben die Bundesbeamten aus all den Grundlagen gemacht? An seiner Sitzung vom 26. Juni habe der Bundesrat die Vernehmlassung für die entsprechenden Änderungen im Obligationenrecht (OR) eröffnet, hiess es in einer Medieninformation. Der Bundesrat schlage strengere Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor und wolle konkret künftig rund 3500 Unternehmen verpflichten, über ihre Risiken in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Korruption sowie über die dagegen ergriffenen Massnahmen zu berichten.

Analog zur EU sollen auch in der Schweiz die Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, 25 Millionen an Bilanzsumme und 50 Millionen Franken an Umsatz zur Berichterstattung verpflichtet werden, allerdings nur, wenn sie zwei von drei Schwellen während zweier aufeinanderfolgender Jahre erreichen, erklärte die Landesregierung.

 

Tricks aus Bern

Derzeit gilt diese Pflicht erst ab 500 Mitarbeitenden und einer Bilanzsumme von 20 Millionen Franken sowie 40 Millionen Franken an Umsatz und treffe rund 300 Unternehmen. Ausserdem werde die Berichterstattung neu durch ein externes Revisionsunternehmen oder eine Konformitätsbewertungsstelle überprüft, erklärte der Bundesrat.

Aha – es ist also der volle Anforderungskatalog der EU. Die Maximalbürokratie. Es ist somit die Variante mit der Milliarde an Regulierungskosten.

Im Unterschied zu den Unternehmen in der EU sollen Firmen in der Schweiz aber die Wahl haben, sich bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung entweder am EU-Standard oder an einem anderen gleichwertigen Standard zu orientieren, erklärte die Landesregierung dann ganz grosszügig.

Im Gutachten zur Regulierungsfolgenabschätzung steht aber, die Zulassung gleichwertiger Standards habe keine Auswirkungen, da es aktuell kaum gleichwertige Standards gebe. Das Zückerchen des Bundesrats hat also keinen Wert.

 

Die Taxonomie lässt grüssen

Die Berichte über Nachhaltigkeitsaspekte müssten neu auch unbedingt durch ein Revisionsunternehmen oder eine Konformitätsbewertungsstelle geprüft werden, forderte Bundesbern. Geringfügige Anpassungen erfahre auch noch das Strafgesetzbuch (StGB), und neue Bestimmungen gelangten ins Revisionsaufsichtsgesetz (RAG).

Im Vernehmlassungsbericht ist nun die Rede davon, dass sich der Bundesrat für den teilweisen Nachvollzug der EU-Regeln entschieden habe. Was genau er weglassen will, geht jedoch nicht aus dem Text hervor. Klar wird primär, dass die Schweiz alles analog zur EU umsetzen soll, damit es möglichst keine Bruchstellen zu Brüssel gebe. Das bedeutet aber auch, dass die Regulierungskosten von fast einer Milliarde Franken jährlich auf die Firmen hierzulande zurasen und dass die Dynamik je nach EU noch zunehmen kann.

Der Entwurf im Vernehmlassungsverfahren sieht ausserdem vor, dass die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) die Nachhaltigkeitsprüfer zulassen und je nach volkswirtschaftlicher Bedeutung auch beaufsichtigen solle. Hintergrund ist auch hierbei, dass die Schweiz da nicht zur EU abweichen wolle, denn Zulassung und Aufsicht werden auch in der EU von den Revisionsaufsichtsbehörden wahrgenommen.

Die Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten ist ohnehin mit dem Prüfen von Finanzberichten thematisch verwandt. Zudem geht man davon aus, dass die meisten Nachhaltigkeitsprüfer aus der Revisionswelt stammen. Schnurstracks hat damit allerdings eine Schweizer Behörde ein völlig neues Geschäftsfeld – sie muss neu die Prüfer der Nachhaltigkeit zulassen und eventuell auch beaufsichtigen. Hinzu kommt, dass Qualitätsmängel, die bei der Prüfung der finanziellen Berichterstattung schon eklatant sind, den Staat treffen. Und wieso Ernst & Young, KPMG, PwC, Deloitte, BDO & Co. noch mehr Geschäfte bekommen sollen, ist angesichts der Branchenprobleme unklar.

Wer sich nun fragt, was das Ganze der Schweiz bringen soll, wird offiziell mit Antworten eingedeckt. Es sei das explizite Ziel der CSRD der EU, Unternehmen einen besseren Zugang zu Kapital zu verschaffen, die mit ihren Nachhaltigkeitsberichten zeigen, dass ihre Tätigkeiten nachhaltig seien oder dass sie sich gut auf nachhaltigkeitsbezogene Risiken eingestellt hätten, steht im Vernehmlassungsbericht. Anders gesagt: Der Kapitalmarkt verlange solche Änderungen. Ob das stimmt und ob Schweizer Firmen den Zugang zu solchem Kapital brauchen, klärt allerdings niemand ab. Doch die EU wird die Kreditvergabe oder das Kapitalanlegen sicher bald auch noch anhand von Nachhaltigkeitskriterien regulieren – die Taxonomie lässt grüssen.

Das Gutachten zu den Regulierungsfolgenabschätzungen kann und will auch die Frage, ob die Regulierungskosten oder der jeweilige Nutzen in den drei Handlungsoptionen überwiegen, nicht beantworten. Dies, weil die positiven Auswirkungen, insbesondere der Nutzen im Bereich Nachhaltigkeit, nicht quantifiziert werden könne. Es ist also nichts anderes als eine Fahrt ins Blaue, wenn es ins Grüne gehen soll.

 

FDP will Staatsgeld

Wer nunmehr glaubt, der Bundesrat wisse ja nicht, ob die Schweiz die Zusatzmilliarde an Regulierungsaufwand einfach ohne zu murren schlucken würde, irrt. «Die neuen Regeln zur nachhaltigen Unternehmensführung sind für die betroffenen Unternehmen mit Kosten verbunden», erklärte die Landesregierung. Der Bundesrat prüfe derzeit aber, wie der Bund den Schweizer Unternehmen bei der Umsetzung der neuen Vorgaben gleich Hilfsmittel bereitstellen könnte. Mit dem Postulat 23.4062 forderte die FDP auch gleich Unterstützung vom Staat bei diesem Thema. Der Ständerat stimmte umgehend dem Vorstoss der «Liberalen» zu.

Wer nun auch glaubt, damit sei der EU-Nachhaltigkeitswahnsinn in der Schweiz genügend umgesetzt, irrt ebenfalls. Die Bürokraten in Brüssel lassen sich nämlich ständig neue Sachen einfallen. So wird in der Schweiz derzeit daran getüftelt, die neue Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten umzusetzen. Bern will die «Europäische Entwaldungsverordnung» schnurstracks auf die Schweiz übertragen, damit Holz, Rinder, Soja, Kakao, Kaffee, Palmöl und Kautschuk sowie daraus hergestellte Erzeugnisse, also Schokolade von Lindt & Sprüngli oder Nespresso-Kapseln des Nahrungsmittelriesen Nestlé, auf gar keinen Fall mit Weiden in Verbindung stehen können, wo Bäume für diese Geschäfte gerodet wurden.

 

Neue Geldquelle

Wem das noch nicht reicht, der sieht am jüngsten Bericht des Europäischen Rechnungshofs, in welche Richtung die EU marschiert. Die Auditoren hatten nämlich gerügt, dass die EU im Jahr 2021 eine völlig neue Einnahmequelle eingeführt habe. Bis dahin gab es 33 Jahre lang nur drei Arten von Eigenmitteln: Geld von Zöllen, die auf Einfuhren in die EU erhoben werden, die Mehrwertsteuer sowie die Beiträge auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens. Plötzlich speist sich der EU-Haushalt aber auch auf Basis nicht recycelter Plastikverpackungen, die im Jahr 2023 schon sieben Milliarden Euro in die Brüsseler Kasse spülten.

Die Kunststoffeigenmittel der EU bestehen aus einem nationalen Beitrag, der mit 0,8 Euro pro Kilogramm nicht recycelter Verpackungsabfälle aus Plastik bemessen wird. Die Berechnung der ganzen Sache habe laut dem Rechnungshof aber sehr viele Schwachstellen und die Prüfer forderten die EU-Kommission auf, unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Für die Schweiz ist dies eigentlich eine Warnung, was auf das Land alles zukommen kann, wenn es sich zu stark an die EU anlehnt. Plötzlich werden Abgaben erhoben, die sich an nicht verwerteten Verpackungsabfällen orientieren.

Last, but not least macht noch eine weitere Regulierung derzeit in der EU die Runde. In Deutschland wird sie schon umgesetzt und gilt ab Mitte 2025. Das «Barrierefreiheitsstärkungsgesetz» verlangt von Dienstleistern und Herstellern verständliche Informationen. Und verständlich ist dabei nur, was die Mehrheit versteht. Im Klartext heisst dies, dass für die Beschreibung von Bankdienstleistungen oder Versicherungen maximal das Sprachdiplom der Stufe B1 vorausgesetzt werden darf. Wer kompliziertere Sachen schreibt, wird im Namen der Verständlichkeit also zur Kasse gebeten.

Einst begann die Publikation von Umweltaspekten als Möglichkeit zur Demonstration unternehmerischer Verantwortung. Mittlerweile hat sich dies zu einem bürokratischen Monster entwickelt. Von der Kür geht es immer mehr zur Pflicht – und die Schweiz macht diesen Unsinn zum Nachteil für die Wirtschaft mit.

 

Rico Kutscher betreibt das Wirtschaftsnews-Portal muula.ch.