Für jedes weibliche Wesen zwischen neun und neunzig ist es dieser Tage obligatorisch, sich als «starke, unabhängige Frau» zu bezeichnen. Im 20. Jahrhundert sagten dies Frauen, um klarzumachen, dass sie Feministinnen waren, sich weder nach einem Mann richten, noch von diesem leben wollten. Heute wird eine Bikini tragende Reality-TV-Show-Teilnehmerin diesen Satz mit ebenso grosser Gewissheit von sich geben, wie sie gespritzte Lippen haben wird. Deshalb wird ihn bestimmt auch Bianca Censori – berühmt dafür, dass sie Kanye West in einer venezianischen Gondel einen geblasen haben soll, nachdem er die Halbnackte einen Sommer lang durch Italien kutschiert hatte – irgendwann aussprechen.

Censori ist ein sogenanntes revenge piece – wörtlich ein «Rachestück», also ein jüngeres Modell, meist nicht so attraktiv wie die verlorene Vorzeigefrau, welches ein prominent sitzengelassener Mann sich zulegt, um der Welt zu zeigen, wie wurscht ihm das alles ist. Vor Censori hatte West die Schauspielerin Julia Fox gehabt, die mehr Interviews über ihn zu geben schien als Anthony Fauci auf dem Höhepunkt der Pandemie über Covid.

 

«Al Capone von Melbourne»

Censori scheint für eine bestimmte Art von Prominenz geboren zu sein, so kurzlebig diese auch sein mag. Ihr Name kombiniert den Vornamen der ach so netten Schwester von Shakespeares «Widerspenstiger» mit einem italienischen Familiennamen, der so viel wie «Zensoren» bedeutet. Und das passt ja, wenn man bedenkt, dass Censori und West für den Rest ihres Lebens die Benutzung einer venezianischen Gondel verboten wurde wegen «unzüchtigen Verhaltens» an Bord einer solchen.

Censoris Abstammung ist dermassen abenteuerlich, dass sich Kim Kardashian, die mit West verheiratet war, daneben wie der Inbegriff von Diskretion und Anonymität ausnimmt: Sie ist die Tochter eines australischen Gangsters und die Nichte eines Manns, der als «Al Capone von Melbourne» bezeichnet worden ist. Einem im Mittelstand aufgewachsenen Streber wie West muss das ganz wunderbar verrucht vorkommen. Um seinem kulturellen Snobismus Genüge zu tun, hat sie Architektur studiert; um seinem Kontrollwahn Genüge zu tun, ist sie seit 2020 für ihn als architectural designer tätig. Ihre eigentliche Aufgabe besteht offensichtlich darin, Kim eifersüchtig zu machen. Doch der durchgeknallte West war noch nie besonders gut im Abschätzen der Folgen seines Tuns. Und so ist es durchaus wahrscheinlich, dass bei jedem neuen revenge piece Kim K einen Seufzer der Erleichterung darüber ausstösst, dass sich ein weiterer menschlicher Poller zwischen sie und ihren Albtraum-Ex geschoben hat.

Sind Censori und West wirklich verheiratet? Letzten Januar hat es irgendeine private Zeremonie gegeben, einen Trauschein haben sie aber noch nicht beantragt. Bei ihm hat man einen Trauring entdeckt, aber was heisst das schon bei einem Mann, der sich auch schon als deutscher Polizist verkleidet hat? Durch Europas Luxuslokale zu schweifen und dabei ihre Nippel vorzuführen, hört sich zunächst nicht sonderlich anstrengend an, doch sich Tag für Tag rund um die Uhr mit einem redseligen Spinner beschäftigen zu müssen, das ist harte Arbeit. Ob sie nun vor dem Gesetz verheiratet sind oder nicht: Ich hoffe, Censori kann sich eine üppige Abfindung sichern und wird danach zumindest als «finanzstarke, unabhängige Frau», wenn auch sonst nichts, in Erinnerung bleiben.

Aus dem Englischen von Thomas Bodmer