Eigentlich müssten die Oberen der Zürcher Kunstgesellschaft im Hoch sein. Seit einigen Monaten ist der Erweiterungsbau offen, Besucherinnen und Besucher können dort wichtige Werke der bedeutendsten Impressionisten betrachten. Für das neue Haus, entworfen vom britischen Architekturstar David Chipperfield, sind Kenner aus der ganzen Welt des Lobes voll. Und schliesslich ist das Museum wieder ohne Auflagen zu betreten, alle pandemiebedingten Einschränkungen wurden aufgehoben.

Stattdessen wird über den Vorstand des 234-jährigen Vereins, der das Zürcher Kunsthaus betreibt, weitherum streng geurteilt. «Um die Sammlung Bührle ist eine grosse, kontrovers geführte Debatte entbrannt», stand in der NZZ. In der New York Times war gar zu lesen: «A Nazi legacy haunts a museum’s new gallery» (Ein Nazi-Erbe verfolgt die neue Galerie eines Museums). Es geht um die Provenienz, Herkunft, von Bildern des verstorbenen Waffenhändlers und Sammlers Emil Bührle; die Kunsthaus-Verantwortlichen hatten bisher nicht die Deutungshoheit und machten keinen guten Eindruck.

Doch nicht bloss die Ausstrahlung nach aussen ist trübe, auch nach innen glänzen die Entscheidungsträger höchstens matt. Ihre Beschlüsse und Handlungen, die man als schwer nachvollziehbar oder selbstherrlich beschreiben kann, sorgen für Unverständnis. Jüngstes Beispiel: das Gezerre um die Neubesetzung des Präsidiums, des höchsten Postens der Kunstgesellschaft.

Mehr Auftrag als Antrag

Vergangene Woche erhielten die «lieben Freunde der Galerie und des Kunsthauses» Post von Eva Presenhuber: «Gerne möchten wir Christina Bechtler in ihrer Kandidatur für das Amt des Kunsthaus-Präsidiums unterstützen», stand im elektronischen Brief. Presenhuber ist zweitens bekannt als eine österreichische Galeristin in Zürich und erstens als Kunsthändlerin von Bechtler (die ihren Vornamen ohne h schreibt).

Einer wie Kielholz hat lange Arme. Und diese legte er um Hildebrand, nicht um Cristina Bechtler.

Cristina Bechtler wiederum ist in Kunst-Zürich ein bisschen bekannt als Gründerin der Veranstaltung «E.A.T. Engadin Art Talks» in Zuoz sowie von Ink Tree Editions, einem Kunstbuch-Verlag. Vor allem bekannt ist sie als Ehefrau von Thomas Bechtler – Jurist, Nachfahre einer vornehmen Zürcher Unternehmer- und Mäzenenfamilie, Sammler sowie Ehrenpräsident der Zürcher Kunstgesellschaft. Mit anderen Worten: Wenn eine wie die Cristina des Thomas Bechtlers mitteilen lässt, sie wäre gerne die nächste Präsidentin der Kunstgesellschaft, dann ist das mehr ein Auftrag für den Vorstand als ein Antrag an diesen.

Hey, big spender

Bloss hatten die Vorstandsmitglieder – darunter als Schwergewicht Walter Kielholz, ehemaliger Präsident der big spenders, der grossen Kunsthaus-Unterstützerinnen Swiss Re und Credit Suisse, sowie bis vergangenes Jahr Kunstgesellschaft-Präsident und somit Nachfolger von Thomas Bechtler – eigene Pläne. Weshalb sie die Bewerbung von Cristina Bechtler nicht unterstützten. Nach Prüfung der Kandidaturen habe sich der Vorstand ohne Gegenstimmen für jemand anderes entschieden, schreibt der Sprecher des Kunsthauses. Und weiter: «Diese Entscheidung wurde Cristina Bechtler am 27. März persönlich und schriftlich mitgeteilt – noch ohne Nennung des Namens des portierten Mitbewerbers.» Sie habe darauf den Rückzug ihrer Bewerbung bekanntgegeben.

Das stimmte. Bis es nicht mehr stimmte. Und Bechtlers Kunsthändlerin Presenhuber die erneute Bewerbung ihrer guten Kundin versandte. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Der Name des Kandidaten, für den sich der Vorstand entschieden hatte, war mitgeteilt worden: Philipp Hildebrand. «Philipp who? Philipp ‹Money Man› Hildebrand?», hatte sich Cristina Bechtler möglicherweise gewundert (sie beantwortete Fragen dazu nicht). Doch sie entschied, gegen ihn anzutreten.

Nur Tage später, am 7. Mai, erfuhr man, dass sie ihre Kandidatur zum zweiten Mal zurückgezogen habe – wegen «unterschiedlicher Interpretationen bezüglich einzuhaltender Fristen» (Tages-Anzeiger). Worauf Kritiker anmerkten, dass nicht nur Cristina Bechtler ein Formfehler unterlaufen sei, sondern auch der Kunstgesellschaft: Diese gab ihren Kandidaten für das Präsidium erst nach dem 11. April bekannt, so dass sich niemand mehr als Gegenkandidat aufstellen konnte.

Cristina Bechtler ist in Kunst-Zürich ein bisschen bekannt als Gründerin eines Kunstbuch-Verlags.

Filzfreunde

Was daraus abgelesen werden kann, ausser dass die Kunstgesellschaft, die das Kunsthaus 2020, dem letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, zu rund 70 Prozent mit öffentlichem Geld betrieb – im Pandemiejahr kamen zirka vierzehn Millionen des Museumsbetriebsertrags von gut zwanzig Millionen aus der Stadt-Zürich-Kasse –, Corporate Governance sonderbar versteht: Es riecht nach Stellvertreterkampf. Die Vorstandsmitglieder um und unter dem zweitletzten Präsidenten, Walter Kielholz, wollten die Ehefrau seines Vorgängers Thomas Bechtler verhindern, dünkt es einen. Weshalb sie rasch nach der Bewerbung von Cristina B. einen ihnen genehmen Kandidaten aus dem Hut zogen: Philipp Hildebrand eben (Walter Kielholz beantwortete Fragen nicht, sondern liess den Kunsthaus-Sprecher reden).

Hildebrand, ehemaliger Präsident der Schweizerischen Nationalbank, ist interessiert, wieder einen obersten Posten anzunehmen, das wusste man. Und nachdem er als Präsident der Credit Suisse beziehungsweise der UBS den massgebenden Leuten nicht passte, musste er seine Vorstellungen wohl nach unten korrigieren und auch weniger wichtige Ämter prüfen; sein day job, Vizepräsident bei Blackrock, einer Anlageberatungsfirma, scheint für ihn nicht Arbeitstage füllend. Er ist ferner Trustee, Aufsichtsperson, des British Museum (eine von neunzehn) und kennt sich mit Fundraising aus, dem Beschaffen von Spenden, was die Hauptaufgabe des Kunstgesellschaft-Präsidenten ist (Hildebrand gibt, abgesehen von seinen «Erläuterungen» auf der Kunsthaus-Website, keine Auskünfte).

Was aber ist los, dass Walter Kielholz seinem Kunstgesellschaft-Präsidenten-Vorgänger Thomas Bechtler, dem langjährigen Wegbegleiter und guten buddy aus dem alten, sogenannten Zürcher Wirtschaftsfilz – die beiden waren etwa gleichzeitig bei der Credit Suisse respektive Swiss Re; Kielholz in der Geschäftsleitung, Bechtler im Verwaltungsrat –, keinen Gefallen tut und dessen Frau Cristina nicht auf den Kunstgesellschafts-Präsidentenstuhl hilft?

Unglückliche Hand

Kielholz lässt den Kunsthaus-Sprecher mitteilen, er sei nicht in der Kommission gewesen, die den Kandidaten Hildebrand gefunden habe. Und auch nicht mehr im Vorstand seit vergangenem Jahr. Stimmt. Heisst aber nicht viel. Einer wie Kili, so wird Kielholz genannt, hat lange Arme. Und diese legte er um Hildebrand, nicht um Cristina Bechtler. Weil Kili vielleicht der Meinung ist, Letztere sei zu vielem geboren, aber nicht zur Chefin einer Institution, die er, Kili, zuvor viele Jahre führte.

Das würde im Grunde der Bechtler-Paartradition entsprechen, sozusagen. In der Bilanz stand im Jahr 2000, als Thomas Bechtler noch Unternehmer war und versuchte, die der Familie gehörende Zellweger-Luwa-Gruppe (Haustechnik-, Gasanalyse-, Textilfirmen) wieder erfolgreich zu machen – was, verkürzt wiedergegeben, gar nicht gelang –, «Thomas Bechtler ist zu allem geboren, aber wohl kaum zum Unternehmer». Und 2011, Bechtler hatte sich inzwischen zum «Investor, Immobilienentwickler und Kunstmäzen» mit Vollzeitpensum entwickelt, gab die Handelszeitung den Insolvenzverwalter Volker Grub, der Bechtlers Wäscheunternehmen Schiesser liquidieren sollte, wie folgt wieder: «Nicht jedem ist es gegeben, Unternehmer zu sein.» (Überschrift des Artikels: «Unglückliche Hand».)

Kielholz oder Kollwitz?

Möglicherweise kommt alles besser, dennoch. Kunstgesellschaft, Kunstfreunde und alte Freunde (inklusive Ehefrauen) haben sich aufgerafft, eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. Eine zudem, die auch gegen aussen einigermassen zielführend aussieht. Plus irgendwie demokratisch abgestützt daherkommt. Was auch nicht unwichtig ist. Weil das breite Publikum zwar vielleicht nicht zwischen Kielholz und Kollwitz (Käthe Kollwitz, deutsche Malerin, in der Kunsthaussammlung vertreten) oder Bechtler und Bernstein (Judith Bernstein, amerikanische Malerin, dito) unterscheiden kann. Aber trotzdem über die Hälfte des Museums, das es nicht besucht, bezahlt. «Ich bin mit dem Kunsthaus in gutem, konstruktivem Gespräch», schrieb mir Cristina Bechtler kurz vor Redaktionsschluss. Was sie damit meint? Die Antwort des Kunsthaus-Sprechers: «Der Vorstand ist mit Frau Bechtler im Gespräch für eine Kandidatur für den 2023 freiwerdenden Sitz im Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft.»

Möglicherweise kommt also sogar alles gut. Wenn auch auf dem Weg zum Ziel gezerrt, gerungen und gemischelt wird, so sieht’s aus, von den Oberen der Kunstgesellschaft. Und also der Elite der Stadt. Aber, wie die Künstlerin Jenny Holzer, deren Werke Thomas und Cristina Bechtler sammeln, schön schreibt: «Morals are for little people», Moralvorstellungen sind für die kleinen Leute.