Der Auftritt der Wettbewerbshüter war ­rabiat. Morgens um sieben Uhr wurde Andreas M. durch die Glocke an seiner Privatwohnung in Zernez aus dem Schlaf gerissen. Es war der 31. Oktober 2012. M., inzwischen verstorben, war damals fast 85 Jahre alt und seit 17 Jahren pensioniert. Mehrere Männer in Krawatte wiesen einen Hausdurchsuchungsbefehl vor und stellten die Wohnung von Andreas M. auf den Kopf. Der greise Mann ­hatte früher als Ingenieur in der ­Baubranche gearbeitet und musste so in das Visier der Wettbewerbskommission (Weko) geraten sein, die im Unterengadin gegen ein vermutetes Baukartell ermittelte.

Letzte Woche nun sind mehrere Firmen von der Weko mit 7,5 Millionen Franken gebüsst worden. Die ­Affäre forderte erste personelle ­Opfer: Andreas Felix, Direktor des Graubündnerischen Baumeisterverbandes und aufstrebender BDP-Politiker, zog seine Kandidatur für den Regierungsrat zurück. Auch andere hohe Tiere sind betroffen, so der heutige CVP-Ständerat Stefan Engler, für ­viele ein Hoffnungsträger. Engler war Regierungsrat in Graubünden, und sein Departement soll laut ­Presseberichten von den jetzt durch die Weko sanktionierten Preis­absprachen gewusst und sie gedeckt ­haben. Zudem ist Engler Verwaltungsratspräsident einer der bestraften Firmen.

Und was hat Andreas M. mit dem Fall zu tun? Das wussten offenbar nicht einmal die Wettbewerbshüter so genau. Gegen Mittag an diesem für ihn traumatischen 31. Oktober durfte M. auf seine Bitte endlich seinen ­Pyjama ausziehen und seine Tochter anrufen. «Aber nicht auf Räto­romanisch», schärften ihm die Fahnder ein. Erst jetzt merkten sie, dass sie ­einen 85-Jährigen vor sich hatten: Um 11.50 Uhr begann die Zeugeneinvernahme, und Andreas M. gab zu Protokoll, dass er 1927 geboren wurde.

Preisabreden wie diejenigen im Unter­en­gadin aufzudecken, gehört zu den Aufgaben der Wettbewerbskommission. Allerdings stellt sich die Frage, wie präzis und verhältnismässig sie vorgeht, und schliesslich, welcher volkswirtschaftliche Nutzen daraus entsteht. Andreas M. war nie als selbständiger Unternehmer tätig, er war zeitlebens angestellt gewesen. Er war nur ein kleiner Fisch – oder eben ein Spatz, auf den mit Kanonen geschossen wurde. M. war eine Zeitlang als sogenannter Berechnungsleiter tätig, angestellt auf Mandatsbasis vom Baumeisterverband. Bei grösseren Ausschreibungen meldeten sich die Mitglieder beim Verband. Dann gab es eine «Berechnungssitzung», an der die beteiligten Firmen über die Vergaben diskutierten. Die Berechnungsleiter führten die Sitzungen. Verbandsdirektor Felix behauptete immer, an diesen Treffen seien nur technische Fragen be­sprochen worden. Das hat sich als falsch herausgestellt: Die Berechnungssitzungen dienten auch dazu, die Aufträge unter den beteiligten Unternehmen zu verteilen – unter der ­Ober­regie des Baumeisterverbandes. Dies geht aus den Akten hervor. So heisst es auf die ­Frage, ob die Bauunternehmer solche Sitzungen ­gewünscht hätten: «Nein. Die Bau­unternehmer haben dem Baumeisterverband gemeldet, dass es ein grösseres Projekt gibt. Und dieser hat dann ­bestimmt, ob eine solche Sitzung mit dem ­Berechnungsleiter statt­findet oder nicht.»

Die überfallartige Einvernahme durch die ­Weko hat den greisen Andreas M. nach Angaben von dessen Familie stark mitgenommen. Er konnte die massiven Methoden nicht nachvollziehen, zumal sein letzter Einsatz als ­Berechnungsleiter Jahre zurücklag. Er starb, ­ohne dass sich die Weko für ihr Vorgehen in ­irgendeiner Form entschuldigt hätte.

Übrig blieb ein Monopolist

Ähnlich fragwürdig gingen die Wettbewerbsbeamten gegen eine Ingenieurfirma aus Schuls vor, die aufgrund des in der Presse gefeierten Whistleblowers Adam Quadroni ins ­Visier der Weko geraten war. Das Ingenieurbüro war während vollen fünf Jahren in ein Verfahren verwickelt, mit entsprechend ­hohen externen und internen Kosten sowie ­einem ­beträchtlichen Imageschaden. Es wies ständig darauf hin, dass es kein Bau­unternehmen sei und somit gar nicht an den möglichen Absprachen hätte beteiligt sein können. Die Weko ­stellte auf stur – bis sie das Verfahren einstellen musste.

Aufschlussreich sind die einschlägigen Akten aber dennoch, wenn auch in anderer Hinsicht. Sie zeigen nämlich, dass die Firma von Whistle­blower Quadroni laut Zeugeneinvernahme «selbst in verschiedener Hinsicht unsauber geschäftet» hat. Die Stichworte dazu lauten: «Steuern, AHV, Sozialausgaben» sowie «Betreibungen». Er sei überrascht, gibt ein Zeuge zu Protokoll, «dass eine solche Firma ein solches Verfahren auslösen kann».

Abgesehen von den zweifelhaften Methoden der Weko – Betroffene ­reden von Grobschlächtigkeit und Arroganz – stellt sich die Frage, welcher Nutzen das Ganze überhaupt hat. Ein Indiz dafür könnte das Münstertal geben, wo die Weko bereits früher auf ihre Art aufgeräumt hat. Nach den Verfahren sei dort ein Monopolist übriggeblieben, die anderen Unternehmen seien eingegangen oder übernommen worden, erzählen Kenner der Materie. Insofern sei der Eingriff am Ende­ ­sogar kontraproduktiv gewesen.

Schliesslich steht die Frage im Raum, weshalb ausgerechnet die Jahre zurückliegenden Fälle aus dem Unterengadin derart auf­ge­bauscht werden. Bei früheren Verfahren in ­Zürich oder im Aargau, wo viel grössere Firmen beteiligt waren, blieb es vergleichsweise ruhig. Ein Grund könnten die anstehen Wahlen in Graubünden sein. Ein anderer die Tatsache, dass demnächst der Posten des Weko-Chefs neu besetzt wird. Vizedirektor Frank Stüssi, der sich auffällig in Szene setzt, werden Ambitionen für die oberste Position nachgesagt.