Im ersten Moment klingt die Idee bestechend einfach: Mit jedem in Betrieb genommenen Windrad entschärft sich die Energiekrise und sinkt die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Deshalb sollen auch in der Schweiz nach deutschem und nordländischem Vorbild allerorten einzelne Windräder oder zusammenhängende Windparks aufgestellt werden. Verschiedene Anlagen sind schon gebaut worden. Bei genauerem Hinsehen sind die negativen Auswirkungen dieses Plans aber gross. Die Menschen in der Umgebung leiden unter niederfrequenten Schallwellen, die Vögel sind gefährdet, und das Landschaftsbild wird durch die über 200 Meter hohen Türme mit drei Rotorblättern nachhaltig gestört. Am Schluss fällt zudem der Energiegewinn gar nicht so üppig aus, weil die Schweiz gemäss dem neuesten Windatlas des Bundesamts für Energie (BFE) von 2019 kein Windland ist. Tatsächlich wehen hierzulande die schwächsten Winde in Europa, nur in der Poebene windet es ähnlich wenig.

 

Bescheidene Energieproduktion

Ausserdem produzieren Windräder sehr unregelmässig Energie und stehen bei Flaute ganz still, was sie zu unzuverlässigen Stromlieferanten macht. Das lässt sich beim Windkraftwerk Juvent im Berner Jura verfolgen. Zum bis jetzt grössten Windpark der Schweiz, der auf dem Mont-Crosin und dem Mont-Soleil steht und aus insgesamt sechzehn Windkraftanlagen besteht, gibt es eine App, welche rund um die Uhr die aktuelle Leistung in Echtzeit anzeigt. Diese liegt manchmal in der Nähe des Maximums von total 37 200 Kilowatt, aber genauso häufig pendelt sie um den Nullpunkt herum. Wie Martin Maletinsky, Präsident des Vereins «Freie Landschaft Zürich», sagt, liegt die mittlere Auslastung von Windturbinen in der Schweiz bei unter 20 Prozent, beim Windpark auf dem Gotthard sogar nur bei 12 Prozent. «Es hat seinen Grund, warum es in der Schweiz keine Windmühlen gab.»

Im ganzen Land regt sich der Widerstand, sind doch schon mehr als fünfzig lokale Organisationen aktiv, die sich gegen Windkraftprojekte zur Wehr setzen. Zusammengeschlossen sind sie unter dem Dachverband «Freie Landschaft Schweiz». Auch im Kanton Zürich, der nicht gerade als windige Gegend bekannt, dafür bei Heissluftballonfahrern beliebt ist, gibt es unter der Federführung von Regierungsrat Martin Neukom (GP) ehrgeizige Pläne. Diese werden mit Schlagwörtern wie «wintersicher, einheimisch und zukunftsstark» beworben. Bis 2050 sollen 7 Prozent des kantonalen Stromverbrauchs mit Windkraft gedeckt werden.

 

Gemeinden wehren sich

Allerdings musste er sein Gesamtprojekt schon stark reduzieren: Von ursprünglich 120 geplanten Windrädern sind vorläufig noch sechzig bis siebzig übriggeblieben. Aus 52 «sehr gut geeigneten» Gebieten, die sogenannte Experten auserkoren hatten, sind zwanzig geworden. Mit diesen sollen dereinst jährlich 530 Gigawattstunden Strom produziert werden. Ausgeschlossen vor allem wegen drohender Konflikte mit der Luftfahrt wurden sechs Standorte, aus dem gleichen Grund wurden weitere als sogenanntes Zwischenergebnis dem Reservepool zugewiesen. An diesen Orten, auf dem Bachtel und auf dem Pfannenstiel, drohen Störungen von Radaranlagen zur Flugsicherung. «Aus meiner Sicht ist es lediglich eine Beruhigungspille für die Bevölkerung, gewisse Gebiete vorläufig ‹nur› im Status Zwischenergebnis in den Richtplan einzutragen», sagt Maletinsky. Denn nach der Verlegung von Flugrouten oder einer technischen Aufrüstung von Radaranlagen könnten auch diese Gebiete definitiv festgesetzt und auf ihnen Windturbinen errichtet werden.

Weitere fünfzehn Gebiete mit rund fünfzig Windkraftanlagen behält der Regierungsrat wohlweislich in der Hinterhand, weil diese Art der alternativen Energie überall dort, wo sie aufgebaut werden soll, im Gegenwind steht. Etwa in der Gemeinde Hinwil im Zürcher Oberland, die zu den zwanzig sehr gut geeigneten Gebieten zählt, wurde im Frühling 2024 vorsorglich direkt die Bau- und Zonenordnung (BZO) angepasst. Dem entsprechenden Antrag der Exekutive stimmten an der Gemeindeversammlung 190 der 240 anwesenden Stimmberechtigten zu. Gemäss dem neuen Passus müssen Windkraftanlagen einen Abstand von einem Kilometer zu bewohnten oder teilweise bewohnten Häusern haben. Damit ist faktisch der Bau von Windrädern in Hinwil nicht mehr möglich.

Dieses Beispiel des demokratischen Widerstands wird wohl Schule machen, auch wenn es der Regierungsrat nicht für zulässig hält und die Baudirektion die angepasste BZO möglicherweise nicht akzeptiert. Laut Maletinsky ereignete sich der genau gleiche Fall schon in Tramelan BE: «Dort gelangte die Gemeinde bis an Bundesgericht – und bekam letztlich recht.»

 

Eingriff in geschützte Landschaft

Auch in Stammheim hält sich die Begeisterung über die regierungsrätlichen Pläne in engen Grenzen. Als Neukom Ende August das geplante Projekt mit acht Windrädern auf dem Stammerberg den Einwohnern vorstellte, wehte ihm eine steife Brise entgegen. Der Saal brodelte, aus dem Publikum gab es fast nur ablehnende Wortmeldungen. Auch der Gemeinderat übte in seiner Stellungnahme Kritik am Beurteilungs- und Eignungsverfahren des Kantons. Die Bewertung der verschiedenen Interessen sei nicht korrekt vorgenommen worden, sagte Gemeinderat Simon Bachmann, Vorsteher des Ressorts Bau und Planung und GLP-Mitglied. «Es gibt mehr Schutz- als Nutzungspunkte», erklärt er. Und trotzdem wolle der Kanton das Projekt im Richtplan eintragen.

Dabei beziehe sich der Regierungsrat auf das kantonale Produktionsziel von 735 Gigawattstunden pro Jahr, das die im Konzept Windenergie des Bundes gemachten Vorgaben allerdings stark übererfülle, nämlich mengenmässig um das Drei- bis Zwanzigfache. Der Bund, so Bachmann, habe dem Kanton Zürich 40 bis 180 Gigawattstunden pro Jahr bis 2050 vorgegeben. «Dabei ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sich die Kantone im Hinblick auf 2035 vorerst am tieferen Rahmen orientieren können.» Für Maletinsky ist klar, dass der Übererfüllung ideologische Gründe zugrundeliegen.

Gemäss Auskunft von Bachmann ist es für den Gemeinderat unter Berücksichtigung aller Parameter klar, «dass die Schutzinteressen auf dem Stammerberg die Interessen an der Nutzung von Windenergie deutlich überwiegen». Es stehe beispielsweise, entgegen der Einschätzung des Kantons, ausser Frage, dass die geschützten Ortsbilder tangiert würden. Und auf dem Stammerberg befinde sich ein grosses zusammenhängendes Waldgebiet, das als Naherholungsgebiet dient und einer starken Beeinträchtigung ausgesetzt wäre, wenn der Windpark gebaut würde. Von grosser Wichtigkeit für den Gemeinderat ist laut Bachmann, «dass der Bevölkerung bei einem derart krassen Eingriff in eine bundesrechtlich geschützte und wunderschöne Landschaft nicht nur ein Mitwirkungs-, sondern auch ein Mitspracherecht eingeräumt wird und dass Enteignungen ausgeschlossen werden». In seiner Stellungnahme an den Kanton werde der Gemeinderat von Stammheim verlangen, dass auf die Festsetzung des Windparks im Richtplan verzichtet wird.

Andere Gemeinden im Kanton Zürich liessen an der Gemeindeversammlung auch schon über Initiativen abstimmen, die den Bau von Windrädern in der Nähe von Wohngebäuden verbieten sollen, oder beschlossen einen Mindestabstand. Seit 2019 wurden landauf, landab an Gemeindeversammlungen oder an der Urne Projekte abgelehnt, redimensioniert oder angepasst. Im Kanton Zürich können sich Privatpersonen, Gemeinden, Organisationen oder politische Akteure noch bis Ende Oktober zur Änderung des kantonalen Energiegesetzes äussern, welche die Festsetzung der Standorte für die Windräder betrifft. Das Ergebnis der öffentlichen Auflage des Richtplanverfahrens bildet dann die Basis für den Antrag des Regierungsrats an den Kantonsrat. Dieser fällt den abschliessenden Entscheid über den Eintrag der geeigneten Gebiete für die Windenergienutzung im kantonalen Richtplan. Grosse Windenergieanlagen, wie sie im Kanton Zürich geplant sind, haben zwingend ein Nutzungsplanungs- und Baubewilligungsverfahren sowie eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu durchlaufen.

Der Antrag an den Kantonsrat soll 2025 erfolgen, dessen Entscheid dann 2026 gefällt werden. Ab 2027 ist das Projektgenehmigungsverfahren vorgesehen. Um dieses zu beschleunigen, beabsichtigt der Regierungsrat, die rechtlichen Einsprachemöglichkeiten massiv einzuschränken. Konkret soll der kantonale Gestaltungsplan nur noch ans Verwaltungs- und Bundesgericht, aber nicht mehr wie heute ans Baurekursgericht gezogen werden können, womit dem Rechtsweg eine Instanz entzogen würde. Und gegen die Baubewilligung, die gegenwärtig auch an alle diese drei Instanzen zur rechtlichen Beurteilung gebracht werden kann, soll es gar keine Handhabe mehr geben.

Gegen diesen Angriff auf die politischen Rechte und Mitsprachemöglichkeiten, dem durch die Änderung des Energiegesetzes zum Durchbruch verholfen werden soll, dürfte es auch starken Widerspruch geben. Allerdings könnte schon eine Volksabstimmung nach dem Beschluss des Kantonsrats den ambitionierten Plänen von Regierungsrat Neukom den Wind aus den Segeln nehmen.

«Freie Landschaft Schweiz» hat in diesem Zusammenhang zwei eidgenössische Volksinitiativen lanciert, um den Bau von Windkraftanlagen in geordnete Bahnen zu lenken: Die Sammelfrist für Unterschriften läuft bei der Waldschutz-Initiative und Gemeindeschutz-Initiative noch bis Ende Juli 2025. «Das Thema beschäftigt die Leute», sagte Maletinsky. Denn in Wohnungen und Häusern in der Nähe von Windrädern sei wegen deren Lärmemissionen Schlafen bei offenem Fenster nicht mehr möglich. «Das führt zu einer Entwertung dieser Liegenschaften.» Und der durch die Rotation der Rotoren entstehende Infraschall könne Kopfweh, Schlafstörungen und sogar Depressionen auslösen.

 

Auch Wildtiere unter Druck

Auch international hat der Wind in Sachen Windenergie gedreht: In Frankreich zum Beispiel, wo die Euphorie für Windkraft ohnehin verflogen ist, wurde ein sogenanntes «Windturbinen-Syndrom» gerichtlich anerkannt und den Betroffenen eine Entschädigungszahlung zugesprochen. Und in Irland hat der oberste Gerichtshof den Lärm von Windanlagen als Belästigung taxiert.

Wie sich diese angeblich umweltfreundliche Energie auf die Tiere auswirkt, ist noch nicht abschliessend geklärt. Gemäss Berichten aus Frankreich und Dänemark sollen bei Nutztieren Verhaltensänderungen festgestellt worden sein. Gemäss Angaben der Interessengemeinschaft «Wild beim Wild» sind es vor allem Vögel, Fledermäuse und Insekten, die unter diesen Eingriffen in ihr Habitat zu leiden haben.

Affaire à suivre – auch in der Schweiz.