Zwei Fälle gibt es, die einen aufrechten Linken vor lauter Empörung in eine sofortige Schnappatmung versetzen.

Fall eins der Schnappatmung tritt ein, wenn unappetitliche weisse Männer jüngere Frauen sexuell belästigen. Fall zwei der Schnappatmung tritt ein, wenn unappetitliche weisse Männer bei den Steuern betrügen.

Mit beiden Fällen sind sie bei der Republik, dem publizistischen Traumschiff der Links-Grünen, derzeit voll eingedeckt.

Diese Doublette ist natürlich speziell, weil die Republik-Journalisten so etwas wie die Moralprediger der sozialistischen Salon-Schickeria sind. Selbsternannte Moralisten ledern hier unablässig gegen Sexisten, Nazis, Steuerbetrüger, Frauenfeinde, Homophobe und Kapitalistenschweine.

Seit letzter Woche nun sind die Moralisten der Republik moralisch selber angeschlagen. Radio SRF machte publik, dass ein Redaktionsmitglied der Republik von sechs Journalistinnen der sexuellen Belästigung bezichtigt wird. Natürlich waren die Vorwürfe, wie meist, auch diesmal anonym und liegen oft Jahre zurück.

Der Beschuldigte ist ein hervorragender Reporter, den ich einmal als «Journalisten des Jahres» auszeichnen durfte. Seitdem kennen wir uns gut genug, damit wir uns auch mal zu einem privaten Lunch oder Apéro treffen.

Ich denke nicht, dass er sich viel hat zuschulden kommen lassen. Sicher ist, dass er zu Starallüren neigt. Er hat, kokettierend mit seiner eigenen Unwiderstehlichkeit, darum am Handy ein paar eindeutig-zweideutige Chats an jüngere Journalistinnen rausgehauen. Aber an schweren sexuellen Übergriff, wie das behauptet wurde, glaube ich nicht.

Auch hier wusste man, dass der Redaktionskollege zu sexualisiertem Sprachgebrauch neigte.

Nun aber ist in der Medienbranche heutzutage jeder Verdacht schon eine Verurteilung. An diesem Prinzip der gnadenlosen Guillotine haben nun genau die Obermoralisten der Republik tatkräftig mitgewirkt.

Ein gutes Beispiel ist der Casus von Magazin-Chefredaktor Finn Canonica. Eine Mitarbeiterin hatte ihm im Spiegel sexuelle Belästigung vorgeworfen, indem er etwa zu ihr gesagt haben sollte: «Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert.» Die Anklage erwies sich dann als weitgehend lächerlich.

Die Republik stürzte sich dennoch mit jakobinischem Furor darauf und nutzte dies zu einem Frontalangriff auf das Medienhaus des Tages-Anzeigers. Es herrsche dort «eine toxische Betriebskultur», tobte die Republik, und die verantwortungslosen Chefs würden «die Hilferufe aus der Belegschaft seit Jahren ignorieren».

Bei der Republik könnte man das genauso formulieren. Auch hier wusste man seit Jahren, dass der nun freigestellte Redaktionskollege mitunter zu sexualisiertem Sprachgebrauch neigte. Schon als er 2018 von der Wochenzeitung zur Republik wechselte, gab es eine interne Diskussion, ob er ein Risikofaktor sei. Aber weil er ein Star der linken Medienszene war, spielte das keine Rolle. Heute nun mimt man die Überraschten. Das ist reine Heuchelei.

Ein ähnlich schönes Beispiel an Doppelmoral lieferte die Republik auch mit ihrem Steuergebaren. Auch hier wütet die Redaktion jeweils gegen die üblen Steuertricks der Kapitalistenkaste. So geisselt sie etwa «die Kunst der Steuerhinterziehung» und «das parasitäre Geschäftsmodell der Schweiz als Steuerparadies».

Ende 2022 wurde bekannt, wie paradiesisch es die Republik selber trieb. 3,7 Millionen Franken schmuggelte sie am Fiskus vorbei, der grösste Teil davon an unversteuerten Schenkungen. Demnächst dürfte das Verfahren zu dieser Steuerhinterziehung abgeschlossen sein. Es kann das Unternehmen, falls Strafsteuern anfallen, weit über eine Million Franken kosten.

Für die Republik könnte die hauseigene Sexaffäre nun zu einem Triggerpunkt werden. Sie ist für das finanziell fragile Unternehmen, das ein Millionendefizit verbucht, ein existenzielles Risiko. Denn bisher lebte die Republik davon, dass sie auf der richtigen Seite stand, auf der Seite der Guten.

Für die Guten war die Salonlinke bereit, das Projekt mit Abogebühren und Spenden immer wieder über Wasser zu halten. Man zahlte auch dann, wenn man, wie viele, das Angebot gar nicht nutzte. Das könnte vorbei sein, nachdem die Republik nun im Ruch genau jener Toxizität steht, die sie bei anderen Verlagen selbstgerecht verdammte.

Für Moralisten zahlen die Linken gern. Für Doppelmoralisten zahlen auch sie nicht mehr.