Rächt hesch, aber schwiige söttisch», sagte mein Grossvater jeweils zu meiner Grossmutter, wenn er kein sachliches Argument mehr hatte. Die Taktik ist auch heute noch beliebt bei den Gegnern des CO2-Gesetzes, um unangenehme Tatsachen zu unterdrücken und Expertinnen zu diskreditieren. Daran gehalten hat sich meine Grossmutter übrigens nicht.
In der Weltwoche stört sich Beat Gygi daran, dass über hundert renommierte Schweizer Klimaforscherinnen, Glaziologen, Wirtschaftswissenschaftlerinnen, Juristen, Ökonomen, Sozial-, Geistes- und Politikwissenschaftlerinnen Klartext reden: zum Klimawandel, zu seinen Auswirkungen, Kosten und der Notwendigkeit des CO2-Gesetzes. Überprüfbare Gegenargumente findet man unter den vielen vagen Unterstellungen im Artikel kaum. Aus meiner Aussage, dass die Auswirkungen des Klimawandels «vielfältig, aber überwiegend negativ» seien, konstruiert Gygi den Vorwurf, Klimawandel werde «indiskutabel negativ» dargestellt. Das ist nicht nur verzerrt, sondern steht auch völlig im Widerspruch zur Tatsache, dass sich meine Aussagen zum Klimawandel zu hundert Prozent mit jenen der Uno-Klimaberichte und der Schweizer Klimaszenarien decken.
Kurz danach zaubert Christian Imark in der Sendung «Arena» eine Grafik hervor, die zeigen soll, wie gut die Schweiz im Klimaschutz unterwegs sei. Er spricht von einer «Statistik» und «Tatsachen» und suggeriert damit eine vergangene Entwicklung, zeigt jedoch Zahlen bis 2030, ohne dass dies ersichtlich wäre. Noch dreister: Er bedient sich dabei der im revidierten CO2-Gesetz festgeschriebenen Emissionsreduktion von 50 Prozent, um zu beweisen, dass es ebendieses CO2-Gesetz nicht brauche.
Als grösster Verbündeter der SVP wirft sich unter dem unverfänglichen neuen Namen Avenergy auch die Erdölvereinigung in den Ring. Sie verschickt eine Broschüre an die Parlamentarierinnen, um sie über das CO2 aufzuklären, dessen Reduktion sie seit Jahren debattieren. Das im Begleitbrief als «Nachschlagewerk» gepriesene und auf den ersten Blick sachliche Dokument strotzt jedoch von inkorrekten Zitaten, nachweislich falschen Behauptungen zu Klimamodellen, Fehlern in Einheiten und veralteten Daten. Die CO2-Menge in der Atmosphäre sei bis 2005 um 35 Prozent gestiegen, zitiert man das deutsche Umweltbundesamt, und hofft wohl, dass niemand merkt, dass wir heute 2021 schreiben und der Anstieg bereits 50 Prozent beträgt. Die vom Bundesamt für Umwelt übernommene und adaptierte Grafik der Sektor-Emissionen der Schweiz zeigt nur die Werte von Industrie, Landwirtschaft und Abfallwesen. Die beiden grössten CO2-Quellen, der Strassenverkehr und der Immobiliensektor, von denen die Öllobby fürstlich lebt, fehlen ebenso wie die Luftfahrt. Auf Nachfrage des Blicks betont Avenergy, man müsse für Laien «vereinfachen». Das ist etwa gleich abstrus, wie wenn man der Steuerverwaltung nur das halbe Einkommen deklariert und dies mit einer «Vereinfachung» der Einkommenssituation zu begründen versucht.
Warum greifen die Gegner des CO2-Gesetzes zu so plumper Desinformation? Ganz einfach, weil allein der Gedanke an einen politischen Rahmen für Klimaschutz, oder «Staatssumpf» in den Worten von Christian Imark, sie erschaudern lässt. Weil sie ihr Geschäftsmodell in Gefahr sehen und weil ihnen schlicht die sachlichen Argumente fehlen. Ideologie und Partikularinteressen gehen heute offenbar so weit, dass jedes Mittel recht ist, insbesondere die Diskreditierung von Experten.
Noch in einem Positionspapier von 2009 verneinte die SVP den menschengemachten Klimawandel. Weil dies nicht mehr greift, weicht sie auf andere, psychologisch gutverstandene Abwehrmechanismen aus: Man spielt die Auswirkungen herunter, verzögert Massnahmen, lenkt von der Kernfrage ab oder verweist auf andere, vermeintlich grössere Sünder. Das Paradebeispiel solcher Scheinargumente ist der geringe Einfluss der Schweiz. Dass für die Klimaziele von Paris, die auch die Schweiz ratifiziert hat, jedes Land, ob gross oder klein, bis 2050 auf netto null Treibhausgas-Emissionen kommen muss, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass die Uno-Rahmenkonvention UNFCCC seit 1992 das Prinzip der «gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung» vorsieht, gemäss dem jene Staaten mit hohen finanziellen Möglichkeiten, gutem Bildungsniveau und Zugang zu Technologie eine Vorreiterrolle übernehmen.
Ebenso verfehlt ist das Argument von SVP und Avenergy, dass Wasserstoff unsere Probleme löst. Synthetische Brenn- und Treibstoffe werden für das Ziel netto null CO2 zwar in einzelnen Anwendungen und nach 2030 nötig sein, aber weder für Gebäude noch für den Privatverkehr. Fakt ist, dass der Umweg über Wasserstoff etwa fünfmal mehr erneuerbare Energie braucht als die direkte Elektrifizierung und dass die heute verfügbaren Mengen synthetischer Treibstoffe äusserst klein, die Kosten jedoch extrem hoch sind. Alle fossilen Brenn- und Treibstoffe in der Schweiz durch synthetische zu ersetzen, würde uns pro Haushalt und Jahr heute rund 15 000 Franken kosten.
Dass man dem Mittelstand pro Haushalt mit vier Personen ein paar hundert Franken pro Jahr nicht zumuten könne, ist das am häufigsten genannte Gegenargument – es verpufft bei genauerer Betrachtung ebenfalls. Mit etwa 110 Millionen Tonnen CO2 an konsumbasierten Emissionen und über die Zeit akkumulierten globalen Schäden von rund 200 Franken pro Tonne CO2 (deutsches Umweltbundesamt, 1 Prozent Diskontrate) verursacht ein Schweizer Haushalt jährlich Klimaschäden von über 10 000 Franken. Dazu kommen 4000 Franken für fossile Energie, die jedes Jahr ins Ausland abfliessen. Klimawandel und der Status quo sind teuer. Es ist offensichtlich, dass die Massnahmen für ein ambitioniertes Klimaziel volkswirtschaftlich günstiger sind, als weiterzuwursteln wie bisher und später zu flicken. Aber auch für die Einzelperson lohnt es sich: Das CO2-Gesetz ist verursachergerecht und fair, denn mit der Rückvergütung profitiert unterm Strich finanziell sogar, wer fossile Energie vermeidet.
Glaube und Ideologie brauchen keine überprüfbaren Zahlen und Argumente, es reicht eine gefühlte Wahrheit. Für Entscheide von gesellschaftlicher Tragweite wie den Klimaschutz hingegen sind Fakten und ihre Einordnung zentral, auch wenn sie manchmal unangenehm sind. Dazu gehören auch Aussagen, was es braucht, damit die Schweiz ihre erklärten Klimaziele erfüllt. Die daraus resultierenden Angriffe und Täuschungen der Gegner zeugen von Hilflosigkeit und Mangel an sachlichen Argumenten. Naturgesetze und Statistik sind keine Glaubenssache, und Halbwahrheiten werden nicht wahrer, indem man sie wiederholt.
Grundlage jeder Entscheidung muss eine saubere Auslegeordnung der Fakten sein. In der Debatte um das CO2-Gesetz ist das primär die Aufgabe der Wissenschaftlerinnen und Ingenieure. Aber Zahlen ohne Kontext sind leer. Die Interpretation der Dringlichkeit des Klimawandels allein den Vertretern von Partikularinteressen zu überlassen, wäre fatal. Ob 4 Grad mehr gefährlich sind, welche alternativen Pfade möglich wären, wo die Unsicherheiten liegen und wie hoch die Kosten sind, das müssen Expertinnen und Experten erklären. Wissenschaftlerinnen können, dürfen und wollen die Entscheide der Politik nicht vorwegnehmen oder der Gesellschaft etwas vorschreiben. Aber sie müssen zwingend an der Diskussion teilnehmen, solange sie Fakten von Meinungen trennen und ihre Werte und Annahmen klar deklarieren.
Wir Menschen verursachen das Klimaproblem. Die Technologie und das Geld, um es zu lösen, sind da. Nun braucht es noch den politischen Willen und die Bereitschaft, das Interesse der Gesellschaft über das eigene zu stellen. Die Dekarbonisierung ist machbar und lohnt sich. Sie erfordert jedoch, dass die Politik und wir alle unsere Verantwortung wahrnehmen, die Zukunft zu gestalten. Wir können jetzt die Weichen stellen. Später unseren Kindern zu erklären versuchen, dass wir damals nicht wussten, was auf dem Spiel steht – das können wir nicht.
Wir Menschen verursachen das Klimaproblem. Die Technologie und das Geld, um es zu lösen, sind da.
«Glaube braucht keine Zahlen»: Forscher Knutti.
Reto Knutti,
Klimatologe, ist Professor für Klimaphysik und Delegierter für Nachhaltigkeit an der ETH Zürich.