Die Namibwüste im südwestlichen Afrika erstreckt sich als hundert Kilometer schmales Band 2000 Kilometer entlang der Atlantikküste von Namibia. Die Ursache für Namibias Wüstengürtel ist paradoxerweise der Ozean. Denn parallel zur Küste fliesst von der Antarktis her in Richtung Äquator der Benguelastrom. Mit seiner tiefen Wassertemperatur verhindert er, dass vom Meer her Wolken ins Land ziehen und Niederschlag bringen. Im trockensten Teil der Wüste regnet es einmal in zehn Jahren – ein Ort, wo man sich Leben kaum vorstellen kann. Trotzdem wimmelt es in der Dünenlandschaft der Namib von kleinen Tieren, die emsig über den roten Sand huschen. Wo holen sie sich das lebensnotwendige Nass?

In der Namib entwickelte sich in Jahrmillionen eine Vielzahl hochspezialisierter Pflanzen- und Tierarten, die ausschliesslich hier vorkommen. So etwa zahlreiche Arten von Schwarzkäfern, die sämtliche Tricks gegen Hitze und Trockenheit zu kennen scheinen. Die wohl wichtigste Strategie ist das Sparen. Nur wer die Wasserverdunstung des eigenen Körpers extrem kleinhalten kann, hat eine Chance, der raschen Austrocknung zu entgehen. Der Körper der Käfer ist ein Wunderwerk der Anpassung. Um das Körperinnere vor übermässiger Verdunstung zu schützen, sind die Vorderflügel zu einer harten, geschlossenen Deckschale verwachsen. Damit ein Minimum an Wasser über die ausgeatmete Luft verlorengeht, geschieht der Luftaustausch über einen feuchten Hohlraum unter dem Rückenpanzer mit lediglich einem kleinen Loch zur Aussenwelt.

 

Zoologische Sensation

Trotzdem: Irgendwie müssen auch die Durstkünstler zu ihrem Wasser kommen. Nahe der Küste trägt eine Laune der Natur zur Wasserversorgung der Wüstentiere bei. Wenn feuchtwarme Atlantikluft mit dem Westwind in Richtung namibische Küste zieht, kondensiert die Luftfeuchtigkeit über dem kalten Benguelastrom und treibt als Bodennebel über die Dünen bis weit ins Wüsteninnere. Manche der küstennahen Namib-Lebewesen nutzen den Nebel als Wasserquelle, indem sie die Feuchtigkeit wie Tau vom Boden lecken. Was aber der etwa zwei Zentimeter grosse Schwarzkäfer Onymacris unguicularis mit dem Nebel der Namib macht, ist derart ausgefallen, dass die Entdeckung im Jahr 1976 durch das Wüstenforschungsinstitut in Gobabeb weltweit Schlagzeilen machte.

Der Onymacris unguicularis lebt in den steilen, windabgewandten Hängen der mächtigen Namib-Sanddünen. Dort taucht er nach Sonnenaufgang aus dem vor Feinden schützenden Sand auf, sucht bis etwa zehn Uhr zerfallenes Pflanzenmaterial, Samen und Kadaverreste als Nahrung und entflieht dann der Hitze, indem er sich wieder einbuddelt. Nach einer zweiten Fressperiode am kühler gewordenen Abend verschwindet der Käfer wieder im Untergrund. In Nächten aber, wo Nebel über die Düne streicht, kriecht er erneut aus dem Sand. Er krabbelt die Dünenwand empor, bis er auf der schmalen Krete steht. Dort stellt er sich exakt gegen den Wind, reckt das Hinterteil steil in den Nachthimmel und nimmt bis zum Morgengrauen ein Nebelbad.

Ein lebensspendendes Bad, denn die feinen Wassertröpfchen des vorbeistreichenden Nebels schlagen sich auf dem Rückenpanzer nieder, verschmelzen zu grösseren Tropfen und kullern schliesslich über Längsrinnen in Richtung Mund, wo sie vom Tier getrunken werden. Messungen haben ergeben, dass der Käfer in einer einzigen Nebelnacht bis zu 34 Prozent seines Abendgewichts trinken kann. Um den Riesenschluck zu speichern, bunkert er das Wasser im sonst für die Atmung reservierten Hohlraum unter dem Rückenpanzer. Damit der Käfer schon im wurmähnlichen Larvenstadium zu seinem Wasser kommt, trinkt die Larve den Nebel mit dem After: Im Mastdarm sitzen Zellen, die dank hoher Salzkonzentration den Wasserdampf per Osmose durch die Zellwand saugen.

 

Herbert Cerutti ist Autor und Tierexperte.