Nur wegen der übernatürlichen Schönheit dieses Mannes habe ich «The Witcher» geschaut. Er ist der Ur-Superman. Er ist eine Erscheinung, bei der man den Drang verspürt, sich von ihm retten zu lassen. Er ist Henry Cavill.

Der vierzigjährige Brite, durch «Man of Steel» (2013) auf den Hollywood-Olymp geflogen, spielt in der Netflix-Show «The Witcher» Geralt von Riva. Es kann sein, dass er nur für diese Rolle geboren wurde, jedenfalls ist er ein riesiger Fan der Fantasy-Saga, als Junge schon hat er die Bücher von Andrzej Sapkowski gelesen, er spielt die «Witcher»-Videogames, baut seinen Gaming-PC auch noch selbst zusammen. Er tut das im Tanktop, stellt die Videos davon online und – ach, er ist nicht von dieser Welt. In Interviews sagte er, er habe die Rolle unbedingt gewollt und sich bemüht, «dass Geralt so identisch wie möglich repräsentiert wird». Es lag ihm viel an einer getreuen Umsetzung der Buchadaption.

Nach Vollendung der dritten Staffel teilt er mit, dass er die Serie verlässt (Liam Hemsworth übernimmt), obwohl zuvor klar war, dass er für weitere Staffeln zur Verfügung steht – «solange wir grossartige Geschichten erzählen, die Sapkowskis Arbeit ehren». Die «Witcher»-Fanwelt war am Boden zerstört.

Er ist eine Erscheinung, bei der man den Drang verspürt, sich von ihm retten zu lassen.

Was war passiert? In Staffel eins trug das Autoren- und Produzententeam um Lauren Schmidt Hissrich dem Originalmaterial noch einigermassen Rechnung, auch wenn schon damals Missbilligung gegenüber der Regie laut wurde. Ich fand die Show packend. In Staffel zwei wich man immer mehr von den Büchern ab, einige Szenen wurden teils komplett ignoriert, das Schicksal von Hauptcharakteren geändert. Dafür wurde die Show diverser, den weiblichen Rollen wurde mehr Gewicht verliehen.

Es sickerten Verstimmungen zwischen Henry Cavill und den Showmachern durch, die frustrierten Fans kritisierten die starken Abweichungen und wurden dafür als frauenfeindlich und toxisch beschimpft. Cavill erklärte bei Netflix, die Fans hätten das Recht auf ihre Meinung, er finde das nicht toxisch: «Ich nenne es Leidenschaft.»

Auch ohne Glaskugel wusste jeder, der je von irgendetwas treuer Fan war, dass die aktuelle season 3 ein Desaster werden würde. Und so kommt’s, dass Geralt jetzt mit ein paar lahmen Sätzen praktisch eine Nebenfigur in seiner eigenen Saga ist, dafür darf er mehr als einen mimischen Ausdruck zeigen, nämlich zwei. Die Geschichten von Ciri und der hinreissend schönen Yennefer stehen im Zentrum, und man hat den Eindruck, jede Szene mit Letzterer sei darauf ausgelegt, sie so attraktiv wie möglich zu inszenieren. Es erinnert an «The Tourist» (2010), der wie ein 103-minütiger Angelina-Jolie-Werbespot daherkam. Aber was nützt eine durch Venedig stöckelnde bezaubernde Angie, Gesicht und Körper in einnehmenden Grossaufnahmen, wenn der Plot so spannend ist wie ein Telefonbuch? Schönheit ist einfach zu wenig. Das dachten sich wohl auch die Fans, die sich nicht mehr für die Geralt-Geschichte interessierten, wie sinkende Zahlen und grottenschlechte Bewertungen zeigen. Das Wirtschaftsmagazin Forbes schreibt, «The Witcher» habe das Potenzial gehabt, so gross zu werden wie «Game of Thrones». Welch verpasste Chance.

Natürlich kann man darüber streiten, wie Drehbuchautoren Originalbücher interpretieren. Aber es lässt sich ein Muster beobachten: Die Showmacher greifen erfolgreiche Werke mit grossem Namen und monumentaler Fan-Gemeinde auf und kreieren daraus mit der Zeit einfach etwas anderes. Abweichungen vom Original können durchaus Erfolg haben – wenn sie gut sind. Die grossen Abwandlungen des Ausgangsmaterials, ohne qualitativ hochwertige Elemente zu haben, sagen Insider, hätten Cavill aus der Show gedrängt.

Man muss schon sehr viel unternehmen, um dem Mann eine Fortsetzung zu vermiesen und die leidenschaftlichen Fans gegen sich aufzubringen – aber Chapeau, das Kunststück ist den Machern gelungen. Möglich, dass man anhand der Änderungen ein grösseres Publikum zu erreichen versuchte. Indem man jedoch aus allem den gleichen Unterhaltungsstil machen will, zerstört man die Originalität; am Ende schauen weder die Massen noch die Fans. Dass der Twitter-Account von «The Witcher» nun verzweifelt Fotos postet von Plakatwänden, auf denen steht «Ja, er ist immer noch Geralt in Staffel 3», um die letzten Zuschauer bei der Stange zu halten, verhilft dem Ganzen zu unfreiwilliger Komik.