In der Energiebranche ist heute wesentlich mehr Realismus und Pragmatismus zu spĂŒren als vor fĂŒnf Jahren, als man in Politik und Wirtschaft viel enthusiastischer, idealistischer, auch ideologischer unterwegs war. Dieser Stimmungswandel zĂ€hlt zu den wichtigsten EindrĂŒcken, die ich dieser Tage vom Besuch am Weltkongress des Weltenergierats (World Energy Council) in Rotterdam mitgenommen habe. Die Störung der Energieversorgung durch Covid, Inflation oder Krieg trug zu einer ErnĂŒchterung bei, die sich unter den rund 3000 Teilnehmenden aus Industrie, Forschung, Behörden und Wissenschaft in vielen Aspekten zeigte.

Der Weltenergierat wurde vor 101 Jahren gegrĂŒndet – aus der Einsicht heraus, dass eine sichere und bezahlbare Energieversorgung sehr wichtig ist fĂŒr das Gedeihen der Wirtschaft. Die Schweiz gehört zu den GrĂŒndungsmitgliedern. Die grosse JubilĂ€umskonferenz war eigentlich fĂŒr 2022 in St. Petersburg geplant, wurde dann aber nach Rotterdam verschoben. Das «Trilemma der Nachhaltigkeit» – so heisst einer der bekanntesten Begriffe aus der TĂ€tigkeit des Weltenergierats – soll die Spannung zwischen den drei Zielen UmweltvertrĂ€glichkeit, soziale Gerechtigkeit und Versorgungssicherheit aufzeigen.

Dazu gibt es interessante Daten, denn der Rat untersucht jĂ€hrlich fĂŒr jedes Land, wie es in diesem Spannungsdreieck agiert. Die Schweiz war in der Rangliste lange zuoberst und ist heute auf Platz fĂŒnf immer noch Weltspitze. Das steht in bedenklichem Kontrast zum Urteil des EuropĂ€ischen Gerichtshofs fĂŒr Menschenrechte, das Land tue zu wenig bezĂŒglich Klimawandel.

Mit Blick auf das Trilemma fiel mir in Rotterdam auf, wie stark die UmweltvertrĂ€glichkeit betont wurde, ebenso die Energiewende und die sogenannte Energietransition – kein Vortrag ohne AusfĂŒhrungen zur Energietransition, auch zu sozialer Gerechtigkeit, vor allem im Zusammenhang mit den Fragen: Wer soll das bezahlen? Und wer kann das bezahlen?

FĂŒr mich war erstaunlich, wie wenig dagegen die Versorgungssicherheit zur Sprache kam. Man sieht es offenbar immer einfach noch als gegeben an, dass die Ölwirtschaft so lange Energie liefern wird, wie es nötig ist, und dann irgendwie verschwinden wird. Aus Sicht unseres Verbandes Avenergy Suisse hĂ€tte die Versorgungssicherheit mehr Gewicht verdient.

Immerhin brachte der neue Realismus es mit sich, dass man an der Konferenz offener auch ĂŒber EnttĂ€uschungen sprach, etwa ĂŒber Projekte mit erneuerbaren Energien, die gestrandet sind oder sich nicht wie geplant entwickelten. Es lĂ€uft nicht alles so einfach und vor allem auch nicht so schnell, wie man sich das noch vor fĂŒnf Jahren vorgestellt hatte.

 

Eine vierte Dimension

In dieser Hinsicht brachte Rotterdam eine interessante Neuerung: Aus dem Trilemma wird ein «Quadrilemma», ein viertes Ziel kommt hinzu und verschÀrft die Spannungen: das Tempo. Das macht alles noch schwieriger. Schnelles Handeln gilt meist als dringlich beim Klima, aber gleichzeitig steht man wie entwaffnet da, weil man nicht weiss, welche Technologien jetzt zu forcieren sind. Ratlosigkeit macht sich breit, zum Teil wird offen gesagt: «We have no answer.» Wir wissen nicht, welche Investitionspfade zu wÀhlen sind. Wenn klare Signale fehlen, in welche Richtung es gehen soll, werden die notwendigen Investitionen verhindert, mit denen neue Technologien hochgefahren werden könnten. Bildlich: Die ganze Geschichte kommt nicht zum Fliegen, weil man nicht weiss, in welche Richtung man starten soll.

Ein Beispiel ist tatsĂ€chlich die Luftfahrt. So berichteten grosse Unternehmen entschlossen davon, aufs Fliegen mit Wasserstoff umstellen zu wollen, auf Elektroantrieb mit Brennstoffzellen. Die PlĂ€ne beziehen sich auf Europa mit Entfernungsradien von bis 2000 Kilometern. Aber im gleichen Diskussionspodium widersprach ein Teilnehmer; die Zukunft liege in sustainable aviation fuels, also nachhaltigen Treibstoffen. FĂŒr diese kann man bei den heutigen Flugzeugtriebwerken bleiben, wĂ€hrend Wasserstoff völlig neue Flugzeuge erfordert. Als Zuhörer stellt man sich da die Frage: Wo wĂŒrde man jetzt die 300 Milliarden Euro investieren, die nötig sind, um einer neuen Technologie zum Durchbruch zu verhelfen?

Deutlich wurde immer wieder gesagt, dass die Investitionslast grundsĂ€tzlich von der Industrie zu tragen sei, da wurde auch immer wieder die Mineralöl- und Erdgasindustrie genannt. Das Know-how liege ja bei diesen Firmen, die Finanzierungsmöglichkeiten ebenso, zumal umfangreiche Mittel aus dem Öl- und GasgeschĂ€ft kĂ€men. Zudem, so der Tenor, werde die Energieversorgung letztlich sichergestellt durch Öl und Gas.

Betont wurde diese Sicht oft bei Voten aus EntwicklungslĂ€ndern. Die Zahlen sind eindrĂŒcklich: Fast eine Milliarde Menschen in Afrika habe noch keine sichere Energieversorgung, vor allem keine nachhaltige. Die Verwendung von Biomasse zur Energieversorgung, bei uns in positivem Ruf, ist in diesen LĂ€ndern umweltschĂ€dlich. Und wenn eine halbe Milliarde Menschen ohne Stromversorgung ist, wird auch klar, dass die Energiediskussionen da anders gefĂŒhrt werden als bei uns. So hört man aus dem globalen SĂŒden immer wieder Voten fĂŒr Öl und Gas; man benötige jetzt erst einmal diese Energie und könne spĂ€ter darĂŒber diskutieren, wie diese zu ersetzen sei.

Auch innerhalb von Europa werden allerdings ganz unterschiedliche Konzepte vertreten, etwa mit Blick auf Kernenergie, die in letzter Zeit an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen hat. So hat das Netto-null-2050-Ziel in Frankreich eine vergleichsweise realistische Basis, sollte sich das Land in den nĂ€chsten 25 Jahren fĂŒr neue Kernkraftwerke entscheiden. Wogegen die Lage und Debatten in Deutschland als kafkaesk zu bezeichnen sind: permanent mehr fossile Energie einsetzen und gleichzeitig das Ziel «netto null» lieber schon morgen als erst ĂŒbermorgen erreichen wollen.

Und zur Schweiz? In Europa gibt es sehr wohl ein eindrĂŒckliches Potenzial fĂŒr Wind- und Solarenergie, diese Energiequellen darf man nicht leichtfertig abtun. Aber klar ist auch, dass die Schweiz Energieimporteur bleiben wird – egal, welche EnergietrĂ€ger sich dereinst durchsetzen werden. Wir mĂŒssen und können Energie importieren, das wird auch nach der Energiewende so bleiben. An der innenpolitischen Diskussion finde ich befremdend, dass wir permanent Emissionsziele setzen und lineare Absenkpfade definieren. Dabei liegt es ausserhalb unseres Einflussbereichs, genĂŒgend klimaschonende Energie als Ersatz fĂŒr die Fossilen zu erzeugen. Das hĂ€ngt weitestgehend von unternehmerischen und politischen Entscheiden in der EU und in den arabischen LĂ€ndern ab, ob wir das gerne hören oder nicht.

 

Mit allen Tabus brechen

Das kommt aktuell in der Diskussion ĂŒber die Zukunft des Wasserstoffs zum Ausdruck, einem zentralen Thema aus Schweizer Perspektive, und da zeigt sich: Erstens sind wir nicht gerade die Schnellsten; in Europa ist man zum Teil wesentlich weiter. Es ist zu hoffen, dass in der Schweiz Ende dieses Jahres wenigstens mehr politische Klarheit herrscht und die Wasserstoffstrategie des Bundesrats vorliegt. Zweitens weiss man auch im Ausland nicht, wer welchen Wasserstoff produzieren wird. Darauf muss sich die Schweiz einstellen. Wir wissen nicht, ob wir uns irgendwann an ein europaweites Wasserstoffnetz anschliessen können. Und wenn dies nicht funktionieren sollte, stellt sich die Frage, welche anderen EnergietrĂ€ger in die Schweiz kommen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden es flĂŒssige oder gasförmige Energien aus dem SonnengĂŒrtel dieser Welt sein, transportiert in Pipelines oder auf dem Seeweg. Dies sind alles Optionen, teilweise realistische, aber mit allen sind weltweit Milliardeninvestitionen verbunden.

Nicht ausser Acht zu lassen ist der Materialbedarf in der neuen Energiewelt. Klar scheint, dass diese nur mit einer Kreislaufwirtschaft funktionieren wird, was die seltenen Erden, andere Rohstoffe, aber auch Beton betrifft. Dieser zusĂ€tzliche Aspekt erschwert die Aufgabenstellung weiter. Unter diesen Gesichtspunkten fĂ€llt es leider schwer, sich vorzustellen, dass die Energiewende bis 2050 geschafft sein soll. FĂŒr einen gangbaren Weg mĂŒsste man meiner Meinung nach mit allen Tabus brechen, Stichwort Kernenergie. Die Diskussion darĂŒber, ob Mitte Jahrhundert «netto null» erreicht wird, ist nur glaubwĂŒrdig, wenn genug CO2-freier Strom zur VerfĂŒgung steht.

 

BeitrĂ€ge in der Rubrik «Ökologie & Unternehmertum» erscheinen im Rahmen einer kommerziellen Zusammenarbeit zwischen der Weltwoche Verlags AG und ausgewĂ€hlten Unternehmen. Sie beleuchten neue Trends und Technologien, die Unternehmertum und Ökologie miteinander verbinden.