Etwas hat Phil Ospel, 25, mit seinem prominenten Vater Marcel, 55, gemein: Der junge Schauspieler und der mächtige UBS-Präsident haben die gleiche Angewohnheit, sich in regelmässigen Abständen mit der Hand ins Haar zu fahren – eine kleine Marotte zwischen Eitelkeit und Selbstbewusstsein.

Im motorischen Bereich haben die Gene durchgeschlagen – ansonsten aber hat Phil Ospel mit seinem Vater wenig Gemeinsamkeiten: «Wir sind wie zwei Züge, die auf getrennten Gleisen aneinander vorbeifahren», sagt der junge Ospel und nimmt einen Schluck aus seiner Tasse Tee. Hier im Luxushotel «Peninsula» an der Fifth Avenue in New York trifft Phil seinen Vater jeweils, wenn dieser geschäftlich in der Stadt weilt. «Er hat immer viel zu tun», erzählt er und lächelt, «aber meistens schafft er es, mich irgendwo dazwischenzuschieben.» Phil Ospel studiert an der New Yorker School for Film and Television, lebt in der Stadt und plant, in Filmen mitzuspielen oder selbst Kino- oder Fernsehproduktionen zu machen. «Banker wollte ich nie werden. Ich will meinem Vater beweisen, dass ich auf meine Weise Erfolg haben kann.»

Der Bankierssohn ist nur ein Beispiel einer ganzen Reihe von Kindern von Schweizer Wirtschaftsführern, die in künstlerischen Berufen tätig sind. Gina Schmidheiny, Tochter des Unternehmers Stephan Schmidheiny, hat in Zürich ein Musiklabel samt vollausgerüstetem Tonstudio gegründet; Regula Gerber, Tochter des langjährigen Roche-Präsidenten Fritz Gerber, ist Theaterintendantin in Mannheim, ihr Bruder Ruedi ist Filmemacher. Ilona und Daniella Rich, die beiden Töchter von Rohstoffhändler Marc Rich, sind als Bildhauerin beziehungsweise Fotografin tätig, ihre 1996 an Leukämie verstorbene Schwester Gabrielle war Schauspielerin und Drehbuchautorin.

Das Leben ist ein Spiel

Andere Unternehmer- und Managerkinder wählen kreative Berufe aus dem Bereich Lifestyle wie Carolina Brabeck, Tochter des Nestlé-Dirigenten Peter Brabeck, die als Designerin arbeitet, oder wie Mike Gut, Sohn des langjährigen Credit-Suisse-Präsidenten Rainer E. Gut, der in Zürich die Trendlokale «Bar 0815» und Restaurant «Nine» führt.

Und dann gibt es noch jene, die ausgefallene Berufe ausüben. David Leuenberger etwa, der Sohn des früheren Rentenanstalt-Präsidenten Andres Leuenberger, der als Pfarrer in London arbeitet. Oder Nikolaï Hentsch, Sohn des Privatbankiers Bénédict Hentsch, der als professioneller Skifahrer demnächst an den Olympischen Winterspielen in Turin Abfahrtsrennen bestreiten wird. Sie alle eint, dass sie sich Arbeitsbereiche ausgesucht haben, die meilenweit von der Tätigkeit ihrer Väter entfernt sind.

Was sind die Ursachen für dieses Phänomen? Die Spurensuche führt zunächst in die Westschweiz. Carolina Brabeck empfängt in aussergewöhnlicher Umgebung: in einem renovierten ehemaligen Gewächshaus in Montreux, welches sie zum Sitz ihrer Firma auserkoren hat – «The Glasshouse». Nur wenige Kilometer entfernt – entlang dem Ufer des Genfersees – liegt Vevey, von wo aus ihr Vater Peter Brabeck den Weltkonzern Nestlé leitet. Carolina Brabeck ist eine unprätentiöse, charmante junge Frau von 31 Jahren, locker gekleidet – verwaschene Jeans und schwarze Bluse. Sie strahlt Warmherzigkeit und Energie aus: «Ich bin eben eine Latina», wird sie später im Gespräch einmal sagen. Ihre Mutter stammt aus Chile. Dort wurde Carolina Brabeck 1974 geboren, als ihr Vater Sales Manager war. Von der Mutter hat sie die dunklen Haare geerbt. Und vom Vater? «Unter anderem seine Kreativität», sagt sie. Eine überraschende Antwort, denn der Nestlé-Obmann ist in der Öffentlichkeit vor allem als energischer Leiter des multinationalen Konzerns bekannt. Ein eindimensionales Bild, wie sie meint: «Mein Vater hat eine starke künstlerische Seite. Als junger Mann studierte er am Konservatorium in Wien Klavier», sagt Carolina Brabeck, «und trug sich eine Zeit lang mit dem Gedanken, Dirigent zu werden.»

Die Tochter des Nestlé-Chefs hat in mancher Hinsicht das unstete Leben eines Managerkinds geführt – wie viele der anderen Söhne und Töchter der Schweizer Wirtschaftskapitäne auch. Unzählige Male ist die Familie umgezogen, weil die Firma den Vater immer wieder an anderen Orten benötigte – nach Chile kam Ecuador, dann Venezuela, schliesslich die Schweiz. Das sei schon etwas mühsam gewesen, erzählt sie. Positiver Nebeneffekt: Carolina Brabeck spricht fünf Sprachen.

Die Unstetigkeit hat sich auf die junge Frau übertragen, denn auch sie durchlief die verschiedensten Stationen, lebte und arbeitete unter anderem lange in London. Carolina Brabeck studierte am Art Center College of Design in Vevey, dem Schweizer Ableger der kalifornischen Designschule. Danach war sie unter anderem für die Werbefirma Publicis und für die Design-Gruppe section.d tätig, eine trendige Truppe rund um den ehemaligen Art-Director des englischen Lifestyle-Magazins Wallpaper. Den Entscheid, ihre künstlerische Ader im Beruf auszuleben, habe der Vater stets unterstützt.

Für ihn selbst war die Ausgangslage noch ganz anders: Ende der sechziger Jahre, als Vater Brabeck seinen Einstand bei Nestlé gab, war der gesellschaftliche Druck, einen gesicherten Broterwerb bei einem Grossunternehmen zu finden, um einiges grösser als heute. Hat er demnach auch seine eigenen verpassten Wünsche auf die Tochter übertragen? «Das glaube ich nicht», sagt Carolina Brabeck, «er war einfach der Meinung, das sei das Richtige für mich. Und er hat eine sehr gute Menschenkenntnis.» Als sie vor einigen Jahren, ermüdet vom «steten Zwang, kreativen Output zu produzieren», mit einem radikalen Berufswechsel liebäugelte und ins Finanzwesen einsteigen wollte, war es der Vater, der sie umgestimmt habe: Das passe doch nicht zu ihrem kreativen Wesen. Das Leben sei ein Spiel, laute das Motto ihrer Familie, und darum sei es so wichtig, dass man das individuell passende Spielfeld wähle – nur dann könne man Erfolg und Erfüllung finden.

Bloss ein silberner Löffel

«The Glasshouse» ist Teil eines Immobilienkomplexes gleich hinter dem Hotel «Montreux Palace». Der Komplex gehört der Familie Brabeck, Mutter Bernadette, die Architektin ist, baut das Gelände derzeit zu Luxuswohnungen um. Die Tochter bietet im Glasshouse «Garden and Interior Design» an. Das ehemalige Gewächshaus ist mehr Stützpunkt als Boutique, denn meist ist die junge Frau unterwegs. Zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Stefanie Smithuis werden die Kunden bei der stilgerechten Einrichtung von Häusern oder Wohnungen sowie bei der Gartengestaltung beraten. Diese Beratung ist gratis, das Geld verdienen die beiden Frauen aus dem daraus folgenden Verkauf von Möbeln: «Ich wurde schon früh zur finanziellen Selbständigkeit angehalten», sagt Carolina Brabeck. Das Geld für die Firma stamme nicht vom Papa, betont sie, sondern von einem Bankkredit. Fürs Glashaus muss Tochter Brabeck den Eltern zudem jeden Monat regulär Miete bezahlen.

Das Bild vom Oberschichtkind, das mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wird und von den Eltern ein leichtes Leben finanziert erhält, ist ein Klischee. Eher trifft das Gegenteil zu: Manchmal scheint es, als ob wohlhabende Eltern ihre Kinder mit besonderer Konsequenz zur Eigenständigkeit anhalten wollten. Als etwa Filmemacher Ruedi Gerber, Sohn des Ex-Roche-Präsidenten, auf der Suche nach Investoren für eines seiner Filmprojekte auch einmal den Vater angeht, winkt der ab: «Ich habe meinem Sohn, mit dem mich ein enges Verhältnis verbindet, nie auch nur einen Franken für seine Filmprojekte gegeben», sagt Fritz Gerber bestimmt. Für ihn sei das Teil seiner Erziehungsgrundsätze, «aber ich denke, es war auch der Ehrgeiz und das Prestige meines Sohnes, es selber zu schaffen.» Fritz Gerber ist mit einem geschätzten Vermögen von 300 bis 400 Millionen Franken einer der reichsten Männer der Schweiz und unterstützt mit seiner Fritz-Gerber-Stiftung junge Talente – nur eben nicht die eigenen Kinder. Was sie betrifft, habe er eine einfache Philosophie: «Alles, was der Ausbildung dient, finanziere ich.»

Jeden Abend essen mit dem Boss

Auch wenn diese erziehungstechnischen Grundsätze in den Kreisen der Unternehmer und Manager recht verbreitet sind, ist andererseits auch klar, dass die Oberschichtkinder Ausbildungen machen können, die für die Sprösslinge weniger betuchter Familien gar nicht in Frage kommen – Neigung hin oder her. So unterstützt Bankpräsident Marcel Ospel seinen Sohn Phil finanziell, indem er für dessen Unterhalt in New York aufkommt. Die Stadt ist bekannterweise ein teures Pflaster, eine Wohnung kann schnell mehrere tausend Franken kosten. Stets im Hinterkopf haben die Nachkommen zudem, dass sie irgendwann einmal ziemlich viel Geld erben werden. Diese finanzielle Rückversicherung mag mit ein Grund sein, warum die Kinder wohlhabender Familien eher den Mut finden, den Weg in die finanziell meist unsichere Künstlerlaufbahn zu nehmen.

Das Erbe kann aber nicht nur als Sicherheit für spätere Tage, sondern mitunter auch als Belastung wirken. Dies immer dann, wenn der dynastische Gedanke mitspielt. Ein Beispiel dafür ist die Bankiersfamilie Hentsch aus Genf. 1796 gründete Stammvater Henri Hentsch die Privatbankendynastie. Viele Generationen lang wurden die Söhne der Bankiers wieder Bankiers. Vertreter der siebten Generation ist Bénédict Hentsch, der heute mit eigener Privatbank aktiv ist. Als der 57-Jährige vor rund 25 Jahren als Mitarbeiter der US-Investmentbank J.P. Morgan in Brasilien lebte, bat ihn sein Vater, er solle doch zurück in die Schweiz kommen und bei der Familienbank einsteigen. Er wollte zuerst gar nicht zurück, sagt Hentsch, zu gut habe ihm seine Arbeit in Brasilien gefallen. Doch zuletzt sei er der Bitte gefolgt, «im Wissen, dass die Tradition einem auch eine wichtige Verantwortung aufbürdet.»

Da liegt es auf der Hand, dass Sohn Nikolaï, Vertreter der achten Generation, auch wieder Private Banker wird. Doch den treiben derzeit ganz andere Pläne: Nikolaï Hentsch verfolgt momentan eine Sportlerkarriere. Vom ebenfalls sehr sportlichen Vater – Bénédict Hentsch ist erprobter Extrembergsteiger – hat der 22-Jährige die Begeisterung fürs Skifahren geerbt. Nikolaï wird demnächst an den Olympischen Winterspielen in Turin in den Disziplinen Abfahrt, Super-G und Riesenslalom starten – nicht für die Schweiz, sondern für Brasilien. Der Hentsch-Sprössling ist Doppelbürger und hat zusätzlich zur schweizerischen auch die brasilianische Nationalität seiner Mutter angenommen. Er ist der beste Skifahrer Brasiliens, doch er relativiert dies selber: «In der Weltrangliste bin ich bei der Abfahrt etwa auf Platz 300, im Super-G auf Rang 600.» Eine schwere Hüftoperation nach einem Sturz hat ihn 2004 für ein ganzes Jahr zurückgeworfen. Doch der Ehrgeiz, sportlich noch Zeichen zu setzen, nagt weiter – «falls der Körper mitmacht», gibt er zu bedenken. Vater und Sohn haben ein ausgesprochen gutes Verhältnis, wie man in den Gesprächen mit beiden spürt. Doch auch eine Portion Konkurrenz ist da: «Mein Vater glaubt immer noch, er könne besser Ski fahren», sagt Nikolaï Hentsch lachend, «doch ich denke, da täuscht er sich.»

Während seiner verletzungsbedingten Pause hat Hentsch junior einen halbjährigen Stage bei der Bank seines Vaters gemacht und auch bei ihm in Genf gewohnt. Er habe einen tiefen Einblick in die Firma gewinnen können: «Welcher Stagiaire hat denn schon die Möglichkeit, jeden Abend mit dem obersten Boss zu Nacht zu essen?» Er könne sich unter Umständen schon vorstellen, einmal bei der Bank seines Vaters einzusteigen. Die Basis wäre da: Nikolaï Hentsch studierte im schottischen Edinburgh Wirtschaft.

Die Firma dankt

Bénédict Hentsch wiederum hofft, dass sich der Sohn eventuell doch noch für den Bankiersjob an seiner Seite begeistern lässt – vielleicht ja für eine Zeit nach der Skikarriere. Er weiss, dass eher das «positiv gelebte Vorbild» als der Hinweis auf die traditionelle Verpflichtung dazu beitragen kann.

Diese Einschätzung ist sehr zeitgemäss: «Der Einfluss der Eltern auf die Kinder hat in der modernen Gesellschaft generell abgenommen – nicht nur in der Berufswahl», sagt Marlis Buchmann, Soziologieprofessorin an der Universität Zürich. Die Werte haben sich gewandelt: Nicht das Festhalten an Traditionen, sondern die Selbstverwirklichung steht heute im Vordergrund. War es viele Jahrhunderte lang üblich, dass der Sohn des Schreiners auch Schreiner wurde, so haben laut Buchmann heute nur noch wenige Berufsgattungen wie etwa die Ärzte eine überdurchschnittliche Selbstrekrutierungsrate. Daniel Lengauer, bei der Beratungsfirma KPMG Leiter der Rechtsberatung Deutschschweiz und Spezialist für Nachfolgeregelungen, hält dies durchaus für positiv: Früher seien die Sprösslinge oft aus einem dynastischen Denken in Jobs gedrängt worden, die ihnen eigentlich nicht zusagten. Das sei letztlich auch nicht im Sinne der Firma, denn die Nachfolgeregelung sei dann nicht von der Suche nach der geeigneten Person geleitet.

Ein sehr aktuelles Beispiel, wie sich eine lange Tradition in nur einer Generation auflösen kann, bietet die Familie Schmidheiny. Der aus der Ostschweiz stammende Industriellenclan hat das wirtschaftliche Bild der Schweiz in den letzten 150 Jahren entscheidend geprägt. Vier Generationen lang waren die Schmidheinys mit ihren Firmen wie Holderbank, Eternit, Escher Wyss oder Wild Leitz die Taktgeber der hiesigen Industrie. Als die aktuellen Clanchefs Stephan und Thomas Schmidheiny in den siebziger Jahren von ihren Vätern ans Ruder gelassen wurden, waren sie Mitte zwanzig – nicht viel älter, als ihre Kinder heute in etwa auch sind.

Inzwischen hat die nächste Generation ihren Eintritt ins Erwerbsleben gemacht oder steht davor. Es sieht ganz und gar nicht danach aus, als ob sich die Dynastie noch eine weitere Generation lang in Szene setzen wird – zumindest nicht im industriellen Sinn.

Verweichlicht?

Stephan Schmidheiny hat zwei Kinder. Sohn Alex, 24, ist Helikopterpilot in Südamerika, Tochter Gina, 26, im Musikbusiness. Sie hat in Zürich eine Firma namens Sound Development gegründet. Zweck laut Handelsregister: «Herstellung und Vermarktung von Tonträgern jeglicher Art und bezweckt Musik zu komponieren, zu arrangieren, aufzuführen.» Welcher Art die Musik ist, die Tochter Schmidheiny produzieren will, ist nicht ganz klar: Sie war im Rahmen dieses Artikels nicht bereit, mit der Weltwoche zu sprechen. Das hochprofessionelle und bestens ausgestattete Tonstudio, das sie an der Lavaterstrasse in Zürich installiert hat, lässt aber grössere Pläne vermuten. Ziel der Firma ist laut Webpage «to break new paths for the development of sound and music by providing opportunities for creative people who work away from mainstream».

Lisa, 25, Alice, 23, Meret, 23, und Marc, 21, die vier Kinder im Zweig von Thomas Schmidheiny, sind allesamt noch in Ausbildung. Ihre Berufswege stehen noch nicht endgültig fest. Absehbar ist aber, dass sie im Zementkonzern Holcim wohl kaum eine gleich bedeutende Rolle spielen werden, wie dies der Vater lange tat. Sie hätten dazu auch «keinerlei Ambitionen», wie ein enger Vertrauter des Vaters sagt. Den Rückzug hat ja dieser bereits eingeläutet: Der Zementunternehmer hat sich 2003 zunächst vom Präsidentenjob und dann von der Mehrheit bei Holcim verabschiedet. Heute ist er nicht viel mehr als ein grosser Aktionär. Eine industrielle Rolle steht nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr geht es darum, ein grosses Vermögen sinnvoll zu verwalten. Dafür zuständig ist derzeit ein anderer Sohn eines bekannten Vaters: Dieter Spälti, McKinsey-geschulter Berater und Sohn von Peter Spälti, dem ehemaligen Chef der Winterthur-Versicherungen, leitet das Family-Office von Thomas Schmidheiny.

Den Schmidheiny-Kindern gibt das viel Freiraum, eigene Wege zu gehen. Weil das Erbe je länger, je weniger ein industrielles Erbe ist, wird ihnen zwar das Vermögen, nicht aber die Verpflichtung vererbt, die viele Generationen untrennbar damit verbunden war. Laut Wirtschaftsmagazin Bilanz verfügt Stephan Schmidheiny über ein Vermögen von drei bis vier Milliarden Franken, der Zweig von Thomas Schmidheiny bringt es sogar auf vier bis fünf Milliarden Franken.

Die Sicherung der Existenz – viele Jahrhunderte lang der Hauptgrund für die Berufswahl – spielt in den reichen westlichen Industrienationen heute generell eine kleinere Rolle. Bei den Söhnen und Töchtern der Wirtschaftskapitäne erst recht. So ist die oft von der klassischen Wirtschaftskarriere abweichende Berufswahl laut Soziologieprofessorin Buchmann auch «Ausdruck der Wohlstandsgesellschaft». Leonhard Fopp, ehemaliger Lehrbeauftragter an der Uni St. Gallen und heute Inhaber des Beratungsunternehmens Continuum, sieht dies gar vor dem Hintergrund einer «Verweichlichung» der Gesellschaft. «Die Kinder sehen die enorme Arbeitsbelastung ihrer Väter. Viele wollen dies ganz einfach nicht mitmachen», sagt Fopp.

Wer allerdings die Wahl eines künstlerischen Berufs als simples Ausweichen vor den Strapazen des Managerlebens interpretiert, der übersieht, dass die Belastung bei künstlerischer Tätigkeit keineswegs geringer sein muss als bei Jobs in der Wirtschaft. Kreative Berufe sind oft nicht nur härter, der Erfolg ist zudem auch viel schwieriger planbar als bei einer Karriere in der Unternehmenswelt, wo man mit den richtigen Diplomen und Weiterbildungen schnell mal auf dem richtigen Weg ist.

Ein Briefkasten voll Kot

Die Karriere der Tochter von Ex-Roche-Chef Fritz Gerber zeigt die Willensstärke, die künstlerische Karrieren oft bedingen. Regula Gerber, 47, leitet seit dem 1. September 2005 als Generalintendantin das Nationaltheater Mannheim, eines der angesehensten Theaterhäuser Deutschlands. Der Weg dahin war kein Zuckerschlecken. Sie sei in Mannheim sehr warm empfangen worden, sagt sie. Doch in ihrer vorherigen Tätigkeit als Intendantin der Städtischen Bühnen Bielefeld musste sie sich ihren Ruf erst erkämpfen. Dort galt es einen verkrusteten, sehr traditionell geführten Theaterbetrieb künstlerisch und betrieblich in die Gegenwart zu führen. Gewisse Kreise trauerten dem alten Stil nach. Leserbriefe füllten die Lokalzeitungen, Unterschriftensammlungen gegen die Theaterchefin wurden lanciert. Besondere Eiferer füllten ihr gar den Briefkasten mit Hundekot. Vor ihrer Bielefelder Zeit hatte Regula Gerber in Stuttgart die Theatertruppe «Die Rampe» aufgebaut, eine Gruppe wilder, wenig Mainstream-orientierter Theaterleute. Zahlreiche Uraufführungen und spartenübergreifende Projekte sorgten für Aufsehen. Die Rampe gilt in Deutschland als besonders gelungenes Beispiel modernen Theatermachens und begründete den Ruf Regula Gerbers in der Branche. Ihren Kurs behielt sie im konservativen Bielefeld bei. Mehr als einmal habe die massive Auseinandersetzung sie sich selbst fragen lassen, ob sie das wirklich weitermachen wolle. Gespräche mit ihrem Vater hätten da manchmal durchaus geholfen: «Du stehst das durch, du hast doch gewusst, dass das hart werden wird.» Ihrer Durchhaltekraft zollten nach einiger Zeit auch die Bielefelder Respekt: das Ressentiment wandelte sich mehrheitlich in grossen Respekt.

Ans Licht

Fritz Gerber hat fünf Kinder. Neben Regula und Filmemacher Ruedi noch die Psychologin Marianne, den Arzt Andreas, der als Finanzchef des Kilchberger Spitals Sanitas wirkt, und die Jüngste, Bettina, die als Direktorin des Hotels «Castell» in Zuoz Hôtelière des Jahres wurde. «Keiner ist stromlinienförmig», sagt Regula Gerber, «es steht bei uns allen vielleicht der Wunsch im Vordergrund, in Unterscheidung zum Vater etwas Eigenes zu machen.» Wichtig sei aber durchaus auch der musische Einfluss der Mutter gewesen, so Regula Gerber. Sie habe tolle Geschwister, «und wir alle sind zugegebenerweise mit einer guten Portion Ehrgeiz ausgestattet». Da sei es sicher reizvoller, auf ein Feld zu gehen, das noch nicht vom Vater besetzt ist und das dann «auf eigene Weise bepflügt werden kann».

Wie steht es mit dem Erwartungsdruck, den solche Väter auf ihre Kinder ausüben? Regula möchte dies eher als «gewissen Antrieb» verstanden wissen. Man habe am Beispiel des Vaters erlebt, dass es offensichtlich positiv sei, «etwas bewegen zu können», dass Stillstand zu einem Verlust von Lebensqualität führt und dass sich Engagement lohnt. Vielleicht sei der Druck auf die Söhne etwas grösser gewesen als auf die Töchter. «Eine Tochter agiert leichter ins Plus, alles was sie beruflich bewegt, erfreut so einen Vater – schliesslich hat sie sich gegen das traditionelle Rollenbild entschieden. Der Sohn muss da viel mehr argumentieren auf seinem Weg.» Umso mehr habe es sie beeindruckt, was die Brüder auf die Beine stellen. Den Respekt des Vaters geniessen Söhne wie Töchter heute gleichermassen: «Ich bin stolz auf den beruflichen Werdegang aller meiner Kinder», sagt Fritz Gerber.

Bei den Söhnen ist die Abgrenzung zum Vater mitunter etwas stärker spürbar. Interessant ist etwa, dass einer der bekanntesten Filme von Ruedi Gerber die Umweltkatastrophe des Öltankers Exxon Valdez zum Inhalt hat – eine Thematik, die der Vater aus dem Umweltskandal von Roche in Seveso sicherlich in bester Erinnerung hat. Ruedi Gerber zog es vor, mit der Weltwoche nicht darüber zu reden.

Es ist eine simple Wahrheit: Wenn der Vater schon zuoberst steht, wird es schwierig, ihn noch zu toppen. «Dann suchen sich die Söhne in Abgrenzung zum Vater oft ein anderes Feld, um sich zu beweisen», sagt Soziologin Buchmann. Schon Psychologie-Stammvater Sigmund Freud wies ja auf die besondere Vater-Sohn-Rivalität hin. Gerade kulturelle Tätigkeiten drängten sich als Ausweichfelder auf, weil sie ein ebenso hohes Renommee haben wie eine Wirtschaftskarriere. Auffallend ist, dass die Kinder von Wirtschaftsführern oft nicht nur einen ähnlich grossen Ehrgeiz haben wie ihre Väter, sondern auch einen Drang zur Öffentlichkeit. Es gibt ja auch angesehene Berufe, die man eher im stillen Kämmerlein ausübt, etwa Wissenschaftler. Doch solche Berufe scheinen den Söhnen und Töchtern der obersten Wirtschaftsbosse weniger zu liegen. Gut möglich, dass die gesellschaftliche Anerkennung eben auch in der öffentlichen Anerkennung durch die Medien gesucht wird.

Unter kommen sie immer

Selbstbewusst und mit grosser Offenheit hat etwa Phil Ospel sich und seine Person inszeniert, nicht nur mit einer eigenen Internetseite (www.philospell.com), sondern auch mit Fernsehinterviews. «Ich will, dass mein Vater stolz auf mich ist», sagt der Bankierssohn, «gerade weil er so erfolgreich ist, habe ich oft das Gefühl, ich müsse es ihm zeigen.» Eine Bankerkarriere habe er nie erwogen. Nicht nur, weil eine solche seinem Naturell nicht entspreche und er mit Zahlen generell nichts anfangen könne, sondern auch, weil er nicht im gleichen Feld tätig sein wollte wie der UBS-Präsident: «Dann wird es für mich schwierig, dann werde ich direkt an ihm gemessen.»

Schon früh habe er sich gesagt: So ein Leben wie der Vater will ich nicht. «Mein Vater war wenig zu Hause, er hatte immer wenig Zeit», sagt Phil Ospel, «er war stets mehr Geschäftsmann als Familienvater.» Ospel junior, 1980 geboren, wuchs in Connecticut unweit von New York auf. Sein Vater arbeitete damals für die US-Investmentbank Merrill Lynch. Als Phil Ospel etwa zehn Jahre alt war, liessen sich die Eltern scheiden. Vermisst er die Nähe zum Vater? Phil Ospel überlegt lange und sagt schliesslich: «Wie kann man vermissen, was man nie kennen gelernt hat?»

Beruflich beeinflusst habe der Vater den Sohn nie. Für seinen Wunsch, Schauspieler zu werden, habe Marcel Ospel Verständnis gezeigt: «Er sagte: mach, was du willst, aber mach es professionell.» Man sei sehr unterschiedlich, doch man schätze und respektiere einander. Auch seine Homosexualität sei für den weltoffenen Vater kein Problem, sagt Phil Ospel. Dass darum die Familie nicht unter dem Namen Ospel weitergehe, sei kurz diskutiert worden, «doch ich war von Anfang an nie auf heritage aus, und am Schluss haben wir darüber gelacht», sagt Phil Ospel. Zudem habe der Vater mit dem Sohn aus zweiter Ehe ja noch eine weitere Chance, den Namen Ospel zu vererben, erklärt Phil Ospel schmunzelnd.

Häufig sorgen sich die Kinder von Wirtschaftsgrössen, dass die Umgebung die eigenen Leistungen in Zusammenhang mit dem Vater bringt. Daher sind sie oft peinlich genau darauf bedacht, diesen Eindruck zu vermeiden. «Hier in den New Yorker Schauspielerkreisen kennt niemand meinen Vater. Das finde ich gut», sagt Ospel junior. Der Bankierssohn hat sich sogar mit einer kleinen Namensänderung von seinem Vater abgesetzt. In den USA nennt er sich Ospell. Das zweite l habe er hinzugefügt, weil die Amerikaner den Namen nur schlecht aussprechen könnten.

Besonders wichtig wird diese Frage, wenn die Kinder in Firmen arbeiten, zu denen der Vater eine berufliche Beziehung hat. Als Carolina Brabeck vor einigen Jahren aus London zurück in die Schweiz kam und einen Job brauchte, kam sie bei der Kosmetikfirma L’Oréal unter – einem kapitalmässig eng mit Nestlé verflochtenen Partner. Auch ihre beiden Brüder kennen diese Situation: Andres, 40, der an der Hochschule in Lausanne studierte, ist Finanzchef von Roche in Grossbritannien, der jüngere Bruder Nicolas, 28, mit MBA-Abschluss, ist in der Marketingabteilung von Coca-Cola in Zürich tätig. Bei Roche ist Peter Brabeck seit Jahren im Verwaltungsrat, und mit Coca-Cola arbeite Nestlé im Vertrieb teilweise zusammen. Diese Ausgangslage sei womöglich eher hinderlich denn förderlich, glaubt Carolina, denn man müsse in solchen Situationen oft besonders stark beweisen, dass man nicht wegen Protektion, sondern wegen der eigenen Leistungen in der Firma sei: «Meine Brüder arbeiten hart für ihre Karriere. Mein Vater spielt da keinerlei Rolle.» Der jüngere Bruder Nicolas konkurrenziert den Vater gar auf einzelnen Märkten: Er ist bei Coca-Cola unter anderem verantwortlich für Valser Wasser, einen direkten Konkurrenten der Mineralwasser-Sparte von Nestlé.

Kontakte nach oben

Einen ganz eigenen Weg gegangen ist David Leuenberger, 29, Sohn des ehemaligen Rentenanstalt-Präsidenten Andres Leuenberger. Aus tiefster Überzeugung sei er Pfarrer geworden – obwohl ihm der Beruf des Vaters durchaus nahe sei und er ein Weilchen sogar ein Doppelstudium Wirtschaft und Theologie geführt habe. Heute leitet er die Schweizer Kirche in London, die Swiss Church, die an zentralster Lage unweit vom Covent Garden liegt. Rund 25000 Schweizer leben in London, rund 200 Haushalte zählt die Kirche zum engeren Kreis der Gemeinde – auch wenn längst nicht alle der potenziellen Kirchgänger regelmässig den Gottesdienst besuchen. Ein bisschen was vom Managerwesen seines Vaters habe er schon geerbt, sagt David Leuenberger selbst. Die Sanierung der Kirche ist durch sein geschicktes Fundraising auf gutem Weg. Und die Kontakte zur Schweiz setzt er gerne ein: Der Plan für den drei Millionen Pfund teuren Umbau der Kirche stammt von den Basler Stararchitekten Herzog und de Meuron.

Danke, Mama

Schwarze Schafe, so zeigt sich, gibt es kaum unter dem Nachwuchs der Wirtschaftskapitäne. Ob weit weg in künstlerischen Gefilden, ob auf Schauspielbühnen, ob am Mischpult, ob auf der Skipiste oder auch vor dem Altar tätig – erfolgreich oder zumindest erfolgsorientiert sind die meisten.

Und noch etwas fällt auf: Die Söhne und Töchter der Schweizer Wirtschaftsgrössen wirken zufriedener und weniger verkrampft als ihre Väter. Das zumindest haben sie kaum von ihnen geerbt, den grossen Abwesenden, sondern verdanken es wohl eher ihren Müttern.

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