Peter Heather, John Rapley: Stürzende Imperien: Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Klett-Cotta. 288 S., Fr. 38.90

Rom herrschte über eines der mächtigsten Reiche der Geschichte. Sein Erbe prägt bis heute unser Leben, vor allem im Westen. Die Weltmacht USA knüpft nicht nur mit ihren Repräsentationsbauten in Washington an das ferne Vorbild an, auch mit ihrem ganzen Selbstverständnis.

Historiker aller Zeiten wollten ergründen, wie und warum das Römische Reich unterging – von Edward Gibbon über Oswald Spengler bis zu David Engels in unseren Tagen. Sie alle trieb zudem die Frage um, ob es Gesetzmässigkeiten gibt, nach denen grosse Reiche versinken. Und ob man Parallelen aufzeigen kann zum derzeit dominierenden Imperium, den Vereinigten Staaten.

Rund 500 Jahre vergingen von der Gründung des römischen Prinzipats bis zum Tod des letzten Kaisers Westroms, Romulus Augustulus. Ebenfalls ein halbes Jahrtausend dauert die globale Dominanz des Westens, beginnend mit Kolumbus und der Erforschung der Welt durch europäische Seefahrer. Heute nagen im Westen Zweifel an der einstigen Selbstgewissheit, auch ihm sind wirtschaftliche Konkurrenten erwachsen, allen voran China, die erste wahre Herausforderung für die USA.

Nun haben sich zwei Briten mit dem Thema befasst, der Historiker Peter Heather und der politische Ökonom John Rapley. Um es vorwegzunehmen: Für sie steht der «moderne Westen» am Beginn eines Anpassungsprozesses. Je nachdem, wie er damit umgeht, stehen am Ende sein Untergang oder ein Überleben als gleichberechtigter Partner neuer Mächte.

Historiker trieb immer die Frage um, ob es Gesetzmässigkeiten gibt, nach denen grosse Reiche versinken.

Heather und Rapley verwerfen die gängigen Erklärungen für das Ende Roms – Hyperinflation, Migration, aufgeblähte Bürokratie, zentralisierte Kommandowirtschaft, Verlust des Vertrauens in die Oberschicht. Fantasiereiche Theorien wie «Dekadenz» oder epidemische Bleivergiftung wegen der Verwendung bleihaltiger Trinkgefässe erwähnen sie erst gar nicht.

Sie machen drei Faktoren verantwortlich: den wirtschaftlichen und daraus folgenden politischen Aufschwung der nahen Peripherie, also der Grenzgebiete Roms in Mitteleuropa; Persiens Auferstehung als militärisch gleichberechtigte Supermacht; und einen exogenen Schock jenseits der bekannten Welt: den Einfall der Hunnen in die Siedlungsgebiete der Goten, die daraufhin ins Römische Reich strömten. Im Endeffekt führten alle drei Faktoren zum Zusammenbruch der fiskalischen Basis des Staates. Goten und Vandalen gründeten eigene Reiche auf dem Gebiet des Reichs; verlustreiche Kriege gegen Persien rissen nicht mehr zu stopfende Löcher in den Haushalt. Doch ohne ausreichende Steuereinnahmen konnte der Staat seinen Gesellschaftsvertrag mit den Bürgern nicht mehr einhalten. Sie verabschiedeten sich aus dem Staatswesen, weil Rom für immer höhere Steuern immer weniger Dienstleistungen anbot.

 

Ausweg Migration?

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Ehemals ausgebeutete Kolonien oder Vasallen blühen dank dem Handel mit der Supermacht auf – damals Germanien, heute Indien. Es entsteht ein ernstzunehmender Gegner – damals Persien, heute China. Der exogene Schock jetzt war nach Überzeugung der Autoren die Corona-Pandemie. Sie verschärfte den Fluch des Westens: die Schulden.

In der Pandemie häufte der Westen siebzehn Billionen Dollar neue Verbindlichkeiten an. So sollten die Auswirkungen gesundheitspolitischer Massnahmen auf die Wirtschaft abgefedert werden. Aber diese Schulden finanzierten keine Investitionen, keinen Aufbau, geschweige denn einen Aufschwung. Sie verhinderten nur notdürftig einen Absturz. Inzwischen weiss man, dass sie diesen Absturz sogar bloss aufgeschoben haben.

Rom schaufelte sich sein eigenes Grab, indem es eine immer kleinere Zahl von Steuerzahlern immer stärker besteuerte. Dieser Weg steht den Staaten des Westens nur begrenzt zur Verfügung, weshalb sie die Verschuldung als Ausweg wählten. Aber wie diese Schulden zurückzahlen? Eine Möglichkeit wäre eine dauerhafte Inflation. Doch die würde Gehälter und vor allem Renten in vergreisenden Gesellschaften erodieren. Die Wähler würden das nicht lange hinnehmen. Alternativ könnte man Steuern erhöhen und gleichzeitig staatliche Dienstleistungen kürzen. Aber auch das würde das Volk nicht lange mitmachen. Eine dritte Möglichkeit wird nicht erwähnt: ein Weltkrieg.

Im Nachwort schliessen Heather und Rapley mit einer positiven Note. Alles liesse sich noch richten, wenn der Westen offen sei für Migration und die neuen Mächte im Süden ohne Dünkel als gleichberechtigt akzeptiere. Schade, so viel Naivität am Ende eines klugen Buchs. Denn erstens fragt es sich, wer genau nach Europa migriert. Und zweitens, ob die neuen Mächte den alten Westen als gleichberechtigt akzeptieren.