Ich studiere Musikpädagogik mit Hauptfach Klavier und Orgel. Am Vormittag übe ich, jeweils um elf Uhr spiele ich wöchentlich bis zu vier Mal im Kloster Einsiedeln. Seit Oktober bin ich dort als Organistin angestellt, eine grosse Sache, sonst spielten immer nur Mönche – und erst recht keine Frauen. Von einigen Konservativen hiess es, warum um Gottes willen eine Frau die Orgel spiele. Mittlerweile fühle ich mich in Einsiedeln zu Hause, die Leute sind sehr herzlich.
Während in üblichen Gottesdiensten die Feier mit der Orgel umrahmt und das Volk begleitet wird, sekundiere ich in Einsiedeln gregorianische Choräle, den klösterlichen Männerchor oder Lieder, die das Volk singt. Jede Messe ist anders, ich weiss nie, was kommt. Improvisation ist wichtig. Das ist spannend, aber schwierig: Die Orgel bietet grenzenlose Möglichkeiten, auch weil man zusätzlich mit den Füssen spielt. Organisten tanzen unbewusst. Die grösste Einsiedler Orgel klingt, wegen ihrer Tausenden von Pfeifen, wie ein Orchester. Das wird unterschätzt, sogar unter Musikern. Fragt man Pianisten, heisst es abschätzig: «Ja, ja, die Orgel . . .» Dabei sind es die Klangfarben des Klaviers, die begrenzt sind.
In Einsiedeln wird die Orgel noch geschätzt. Wo ich spiele, gehört sie zu den Höhepunkten, während sie vielerorts als altmodisch gilt. Wenn Priester aber meinen, sie könnten Gläubige mit Popmusik ins Gotteshaus locken, ist das verfehlt. Wenn ältere Leute jemanden sehen, der am Keyboard sitzt und moderne Musik intoniert, finden sie das nicht so toll.
Meine Eltern studierten Gesang in Stuttgart, danach in Basel. Ich wuchs in Lörrach auf. Meine Kindheit verbrachte ich oft in Chorproben oder Opernproduktionen. Mit fünf Jahren begann ich mit Geige, mit sieben mit Klavier, für Partys fehlte die Zeit. Den deutschen Wettbewerb «Jugend musiziert» gewann ich mit meinem Duopartner, einem Geiger. Selbstverständlich war ich als Kind in der katholischen Kirche; ob ich daran glaube, haben wir zu Hause aber nie besprochen, das entwickelte sich. Heute glaube ich, obwohl ich nicht mit allen Ritualen des Katholizismus einverstanden bin. Konservative Meinungen, auch gegen Frauen, gehen mir zu weit. Hingegen finde ich, wer gänzlich gegen die Kirche ist, sollte auch nicht in einer Kirche musizieren. Befreundete Sänger traten während Corona in der Kirche auf, obwohl sie ausgetreten sind. Ich finde, wenn man etwas macht, sollte man dazu stehen. Während des Gymnasiums absolvierte ich ein Vorstudium, zwei Wochen nach meiner Matura spielte ich an meiner Aufnahmeprüfung für das Klavierstudium am Luzerner Konservatorium. Seither studiere ich dort Musik. Meine Orgelprofessorin war, als sie mich dann an der Orgel hörte, so begeistert, dass sie meinte, ich solle das unbedingt weiterverfolgen. Die Schwierigkeit des Orgelspiels ist vor allem die Artikulation: Klaviertöne spielt man klar oder verschwommen, bei der Orgel gibt es einen Nachhall, wegen der Akustik der Kirche. Das heisst, es ist ein Spiel mit der Zeit. Am liebsten spiele ich Barock, Bach. Und ich bin ein Riesenfan der französischen Romantik, darin gehe ich auf. In Paris zu spielen, ist ein Ziel von mir.
Neben dem Studium konzertiere ich in Ensembles und gebe Klavierstunden. Ich finde es wichtig, Musik weiterzugeben, damit sie überdauert. Es ist egoistisch, ausschliesslich für sich und das Publikum zu musizieren. Dass mich Zuhörer beim Gottesdienst nicht sehen, bereitet mir keine Mühe. Im Gegenteil: Bei Instrumentalisten gibt es diesen Trend mit hübschen Kleidchen und schönen Frisuren – was ich zwar auch gerne mache. Mir passt aber diese Show nicht, das lenkt von der Musik ab und ist eine Nebensache. Mir geht es um das, was man hört.