Der Wähler hat gesprochen. Die Politik soll endlich die illegale Masseneinwanderung in die Schweiz verhindern. Zu stoppen sind die rot-grünen Energieexperimente ins Nichts. An den Bundesrat ergeht der Auftrag, die Landesverteidigung und die Unabhängigkeit der Schweiz zu stärken.

Dass ausgerechnet die grösste Partei am meisten zulegt, die als einzige die bewaffnete, immerwährende und umfassende Neutralität vertritt, ist eine Absage an die Annäherungsversuche unserer Wehrministerin an die Nato. Auch eine Anbindung an die EU wollen die Schweizer nicht.

Strebt die Dächlikappen-Partei so sehr nach Anerkennung, dass sie ihren Biss verliert?Viola Amherds irrer Plan, die Schweiz im Notfall von den Amerikanern militärisch verteidigen zu lassen, ist Sicherheitspolitik aus dem Märchenbuch. Wieder einmal zeigt sich: Die Wähler sind meistens intelligenter als ihre politischen Führer im Bundeshaus.

Im Siegestaumel sonnt sich jetzt die SVP. Die Partei hat mächtig abgeräumt. Sie legte in fast allen Kantonen zu. Sogar in der Westschweiz trumpften die einst verteufelten «Blocher-Kohorten» auf. SVP-Chef Marco Chiesa feixte in der Fernseh-Elefantenrunde, man wäre bereit für einen dritten Bundesrat.

Hochmut kommt vor dem Fall. Schon einmal hat sich die Partei im Sieg vergaloppiert. Damals, 2007, benahmen sich die SVPler, als hätten sie soeben die Alleinherrschaft erreicht. Aufgestaute Underdog-Komplexe brachen sich Bahn in forschem Überschwang: «Jetzt drehen wir die Schweiz.»

Dann kam die Abwahl von SVP-Superstar Christoph Blocher aus dem Bundesrat.

Nein, so blind rennen sie heute nicht mehr ins Elend. Doch die SVP ist in Gefahr. Sie hat es zugelassen, dass sich rechts von ihr, erstmals seit Urzeiten, wieder eine rechte Kraft formieren könnte. Drei kleine Rechtsparteien wären in der Lage, eine eigene Bundeshausfraktion zu gründen.

Was technisch klingt, kann sich zu einem Giftkeim der Spaltung auswachsen. Das Genfer «Mouvement citoyens», die christliche EDU und die Tessiner Lega erreichen gemeinsam fünf Mandate. Spannen sie zusammen, bekommt die SVP unter der Bundeshauskuppel Konkurrenz von rechts.

Das ist unheilvoll aus Sicht der Wahlgewinner. Stets folgte Parteidoyen Blocher der Devise des bayerischen Polit-Vulkans Franz Josef Strauss: «Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Kraft mehr geben.» Jetzt passiert in der Schweiz genau dies. Zerfranst das rechte Lager?

Es wäre kein Wunder. Unmerklich wird die Erfolgsmaschine SVP von Tendenzen angekränkelt, die sie eigentlich bekämpfen möchte. Politische Korrektheit, interne Stildebatten, lähmende Selbsterforschungen, Eitelkeitsintrigen und «Chropfleerete» haben den Punch der Partei vermindert.

Sogar das «Woke»-Virus scheint sich auszubreiten. Siege ziehen Karrieristen an, Streber und Aufsteiger, die gut ankommen und etwas werden wollen. In der Zürcher SVP leiden viele inzwischen mehr unter den Tweets von Andy Glarner als unter Tamara Funiciello oder Cédric Wermuth.

Blocher selber regte vor ein paar Jahren an, die SVP dürfe sich jetzt staatsmännischer verhalten. Grund war die Wiederherstellung der Doppelvertretung im Bundesrat. Die Provokation, erklärte der Stratege, sei das Instrument der Opposition, weniger der stärksten Kraft in einer Regierung.

Täuscht der Eindruck, oder haben sich die SVPler den Rat des Übervaters allzu sehr zu Herzen genommen? Strebt die einstige Dächlikappen- und Buurezmorge-Partei so sehr nach salonfähiger Anerkennung, dass sie ihren Biss, ihre produktive, skandalumwitterte Anstössigkeit verliert?

Das wäre der Untergang. Die SVP ist eine Oppositionspartei. Ihren Aufstieg verdankt sie einer Unzahl selbstloser Idealisten, die bereit waren, Nachteile, Gegenwind und unverdiente Prügel einzustecken. Das waren Leute, die vor allem an die Schweiz und zuletzt an sich oder ans eigene Image dachten.

Es ist ein Alarmzeichen für die SVP, wenn Parteien rechts von ihr mit SVP-Themen punkten. Die Genfer Protestbürger setzen voll auf Migration. Die christliche EDU profitiert davon, dass die SVP gesellschaftspolitisch konservative Positionen vernachlässigt, weil sie dort als «uncool» gelten.

Die SVP hat es geschafft, mit aufwendig produzierten Wahlkampfvideos die Jungen anzusprechen und in die Youtube-Charts vorzustossen. Das ist eine Leistung. Es ist aber auch ein Indiz dafür, dass die Parteistrategen im Unterschied zu früher mehr Wert legen auf Marketing und Imagepflege.

Interne Rangeleien gehören zur Parteipolitik. Alle wollen das Amt, einen Platz an der Sonne. Aber der individuelle Kopfsalat der Kandidaturen und Plakate droht in der SVP zu überborden. Die Partei hat an profilierten Figuren gewonnen, aber an Geschlossenheit und Sachbezogenheit verloren.

Am Erfolg an diesen Wahlen gibt es nichts zu rütteln. Doch die Themen – Migration, Energie, Krieg und Frieden – waren ein Gratis-Booster für die SVP. Darauf sollte sie sich nichts einbilden. Die neue Konkurrenz von rechts muss die Sieger beunruhigen. Erste Symptome des Niedergangs?