Eine Muse hat sie geküsst, und flugs wird sie zu einem Götterliebling. Nur, die Person, die sie wachgeküsst hat, scheitert tragisch – da pocht das Schicksal auf der Leinwand. Die ideale Konstellation für Amerikas Hunger nach melodramatischer Magie. Für die Himmelfahrt sorgte 1932 die Tragödie «What Price Hollywood?» Und weil der Traum mit dem bittersüssen Ende alle so toll ergriff, verlagerte fünf Jahre später die Traumfabrik den Plot ein wenig, und «A Star Is Born» erblickte das Licht der Welt. 1954 folgte ein Remake und 1976 noch eines und – wow! – 2018 wieder eins. «What Price Hollywood?» erzählt von einer Kellnerin, die mit Hilfe eines abgehalfterten Stummfilmstars zu Ruhm kommt und dann scheitert. Die Partitur für jene, deren klammheimliche Wünsche und Hoffnungen, selber mal Karriere zu machen, sich nicht erfüllen, nach dem Motto: «Ihr seht ja, was daraus wird, bleibt lieber brav und redlich.» «A Star Is Born» änderte das Regelspiel. Das vom ausrangierten Leinwandhelden geförderte Aschenputtel wird zum Star, während ihn das Business zerbröselt. Der männliche Steigbügelhalter ist Manager, Werber und Samariter in Personalunion. In der 1937er Version galt es, Janet Gaynor («Small Town Girl»), die auf dem absteigenden Ast war, mit der Rolle wieder aufzupeppen.

1954 war es Judy Garland («Easter Parade»), die ein Comeback versuchte. Produzent Louis B. Mayer unterstützte sie, hielt zu ihr. Doch das Remake, das gut zweieinhalb Stunden (!) dauert, geriet mit sechs Millionen Dollar Kosten aus der Façon und spielte nicht einmal drei Millionen ein. Erst 1976, mit der Besetzung Barbra Streisand und Kris Kristofferson, wurde aus «A Star Is Born» eine Hochglanzmarke. Es galt, multimedial die Bilanzen des Popstars zu steigern. Kristofferson in der Rolle des Säufers, der das Talent entdeckt, war mit seiner Grabesstimme ein wunderbarer melancholischer Kontrast zu Streisand mit ihrem hellen Broadway-Disco-Sound. Das Geschehen allerdings bestimmte sie. Alle Schlüsselpositionen waren in ihrer Hand, von der Produktion über die Outfits bis zur Musikkonzeption. Um die Geburt eines Stars ging’s nicht, aber um die Potenzierung der Streisand.

In der nun aktuellen Version von Bradley Cooper («Hangover») mit Lady Gaga ist die Ausgangssituation zunächst ähnlich. Ein Star wird auch hier nicht geboren, sondern eine Apotheose vollzogen. Schliesslich stieg in den letzten Jahren Lady Gaga zu einer fantastischen Pop-Diva mit über hundert Millionen Tonträgern auf und wurde zu einem Liebling intellektueller Kritik. Sie als graue Maus Ally zu gewinnen, die aus dem Arbeitermilieu aufsteigt, war nicht leicht. Clint Eastwood, der schon immer eine Neuverfilmung im Auge hatte und das Regiedebüt von Bradley Cooper unterstützte, hatte zunächst Beyoncé vorgeschlagen, bis man ein Auge auf Lady Gaga warf, die auch ein wenig ins Abseits geraten war. Also ideal für eine «A Star Is Born»-Auffrischungskur.

Und wenn der abgelöschte Country-Star Jackson Maine (Bradley Cooper) das Talent zum ersten Mal in einer Drag-Bar hört und hin und weg ist, hat das Charme. Nur spielt sich Cooper mit seinem Suff- und Drogenproblem zunehmend in den Vordergrund, als hätte er Angst, von Lady Gaga, wie einst Kristofferson von Barbra Streisand, verdrängt zu werden. Unbegründet. Zu den besten Nummern gehört ein Country-Duett, und Lady Gaga verkörpert den Aufstieg vom Ally-Hascherl zum Star nicht ohne Witz. Aber sowieso egal. Es geht um ihre Gesangsnummern – und ab ins Scheinwerferlicht!

 

Weitere Premieren

Fahrenheit 11/9 – Wer ist schuld an Donald Trumps Wahl? Putin, die Elite, die Medien? Nein, sagt Michael Moore, spektakulärster Dokumentarfilmer der USA («Fahrenheit 9/11»), und wartet mit einer viel lustigeren Erklärung auf: Es war Sängerin Gwen Stefani, die als Moderatorin der Talentshow «The Voice» mehr Geld bekommen sollte als Trump für «The Apprentice». Um der zu zeigen, dass er viel populärer sei als sie, sei er in die Politik gegangen. Den Satiriker in sich kann Moore letztlich nicht zügeln, so wartet er am Ende mit einem weiteren Einfall auf: Er unterlegt Adolf Hitler eine Trump-Rede, was ziemlich umwerfend ist. Aber dazwischen ist Moore überraschend engagiert und ernsthaft. «Unser System», spricht er aus dem Off, «war schon kaputt, bevor Trump auftauchte», und nimmt Vorgänger Obama davon nicht aus. Die ganze Demokratische Partei nicht. Der Führungskraft Nancy Pelosi wirft er Kompromissbereitschaft vor. Am Beispiel seiner Heimatstadt Flint in Michigan, in der das Leitungswasser 2014 vergiftet und der Schaden bis heute nicht behoben wurde, belegt er das Desaster. Obama kam, trank demonstrativ einen Schluck Wasser und nahm damit Gouverneur Rick Snyder in Schutz, der versprach, den Bundesstaat, ganz im Sinne Trumps, wie ein Business zu führen. Erstaunlich ist Moores Selbstkritik. 1998 war er mit Trump Gast in Roseanne Barrs Talkshow und plauderte nett mit ihm. Trump hat «seine Verbrechen», so Moore später fassungslos, «vor den Augen der Öffentlichkeit begangen», und niemand hat protestiert. Der Titel leitet sich von seiner Doku über George W. Bush ab («Fahrenheit 9/11»). Jetzt 11/9, der Tag im November 2016, an dem Trump zum Präsidenten wurde.

 

Leave No Trace – Kriegsveteran Will (Ben Foster) und Tochter Tom (Thomasin McKenzie) flüchten aus der Zivilisation in die Wälder, ernähren sich aus der Natur und finden doch keine Ruhe. Sie werden erwischt, er wird zur Forstarbeit verdonnert, sie in die Schule geschickt. Als er mit ihr wieder in die Wälder fliehen will, weigert sie sich. Debra Graniks («Winter’s Bone») neuer Indie-Film ist die subtile Darstellung einer Loslösung von familiärer Bindung in einem zutiefst verunsicherten Amerika. Vaters Pastoralfantasie steht dem Urbanitätstraum der Tochter entgegen.