Eigentlich hätte der junge Spanier Robles das geruhsame Leben eines Gelehrten führen können, frei von finanziellen Bedrängnissen und fernab der Kriegswirren in seiner Heimat. Er war Literaturdozent an der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität, einer seiner engsten Freunde war der grosse amerikanische Schriftsteller John Dos Passos, dessen Hauptwerk, «Manhattan Transfer», Robles ins Spanische übersetzt hatte. Doch als sich im Jahre 1936 General Franco gegen die spanische Republik erhob, fühlte sich Robles wie viele Intellektuelle verpflichtet, auf der Seite der Freiheit gegen den Faschismus zu kämpfen. Mit Frau und zwei Kindern kehrte er nach Spanien zurück, wo er dank seiner Russischkenntnisse als Übersetzer des sowjetischen Militärattachés arbeitete. Schon nach kurzer Zeit endete sein Leben im Nichts: Er wurde verhaftet und verschwand, ohne dass Freunde und Familie jemals erfahren hätten, was gegen ihn vorlag. José Robles war das Opfer seiner Kampfgefährten geworden, denn verantwortlich für die Tat waren nicht Faschisten, sondern Agenten des sowjetischen Geheimdienstes.

Der 47-jährige Ignacio Martínez de Pisón hat den Fall des verschwundenen Intellektuellen in einem dokumentarischen Buch nachkonstruiert, das in Spanien wochenlang auf den Bestsellerlisten stand. «Der Tod des Übersetzers» ist ein atmosphärisch dichter historischer Krimi. Das Schicksal des Übersetzers bleibt zwar im Zwielicht, aber es gelingt dem spanischen Autor, eine plausible Erklärung für dessen Ermordung vorzulegen. Das Wüten des sowjetischen Geheimdienstes im republikanischen Spanien, die Vernichtung von Trotzkisten, Anarchisten und sonstigen Stalin-kritischen Köpfen, gehört bis heute zu den halbverdrängten Dramen eines Staates, der als Bollwerk gegen die Barbarei galt. Wahrscheinlich wusste Robles als Übersetzer eines sowjetischen Generals zu viel von diesen Verbrechen, was genügte, um die kafkaeske Vernichtungsmaschinerie auch gegen ihn in Gang zu setzen. Auf beklemmende Weise schildert Martínez de Pisón, wie Dos Passos bei der Suche nach seinem Freund auf eine Mauer angstvollen Schweigens stösst und wie er sich deswegen mit dem enthusiastischen Spanienkämpfer Ernest Hemingway für immer entzweit. Denn im Unterschied zu diesem ist er überzeugt, dass der Zweck keinesfalls die Mittel heiligt: «Der Zweck wird im Leben eines Mannes ohnehin nie erreicht.»

Ignacio Martínez de Pisón: Der Tod des Übersetzers. Hoffmann und Campe. 270 S., Fr. 34.90