Vermutlich klang es scheusslich, aber der junge Armand Volker war begeistert. Am Gymi-Fest in Wetzikon im Zürcher Oberland spielte die Band Upshot die Hits der Rolling Stones über die scherbelnde Lautsprecheranlage des Schulhauses nach. Bald war Volker, der sich jahrelang durch den klassischen Gitarrenunterricht quälte, Upshot-Mitglied. Jetzt aber mit seiner ungewöhnlichen E-Gitarre, auf der er nicht bloss unerhörte Sachen spielte – er hatte sie auch gleich selber gebaut!
Es galt, auf Teufel komm raus Eindruck zu machen und um jeden Preis cool zu sein. Andere Ziele hatte die Band nicht, weder wirtschaftlich noch musikalisch. Mit der nächsten Formation änderte sich dies kaum. Tusk hiess die Band, die von der Plattenfirma irgendwann ins Studio gedrängt wurde. Das Resultat war die Single «Child of My Kingdom», die es 1970 auf Platz 7 der Schweizer Hitparade schaffte. Ein Erfolg, der an Armand Volker völlig vorbeiging. Er interessierte sich nur für den Sound seiner Gitarre und dafür, wie er neben dem Sänger der Band, dem charismatischen Ernesto Vögeli, auf der Bühne eine gute Figur machen konnte. Die Musik wurde zu seinem Lebensinhalt. Er brach sein Psychologiestudium an der Uni Zürich ab und verdiente ein wenig Geld in der Nachtschicht bei der Sihlpost. Sonst tat er nichts anderes als üben.
Ziele oder auch nur ein Bewusstsein für die Band hatten die Mitglieder von Tusk nicht. So gab es auch kein definiertes Ende der Gruppe. Sie zerbröselte irgendwie. Jeder wandte sich anderen musikalischen Projekten zu. Dasjenige von Volker hiess TEA, das zuerst aus einem Power-Trio à la Cream – Bass, Schlagzeug, Gitarre – bestand. Die Musiker lebten zusammen in einem Haus auf dem Land und verbrachten den Tag mit Jammen. Bald wurde TEA mit Keyboards und der Powerstimme des späteren Krokus-Sängers Marc Storace verstärkt und zur angesagtesten Rockband der Schweiz. Volker kann sich jedoch beim besten Willen nicht daran erinnern, dass er in dieser Zeit einmal Geld gesehen hätte. Im Gegenteil: Die arbeitenden Freundinnen ermöglichten einen minimalen Lebensstandard. Auch die legendäre England-Tour als erste Schweizer Band – im Vorprogramm von Baker Gurvitz Army – war für Aussenstehende eine Zumutung. Sie froren in ungeheizten Absteigen und hatten kaum zu essen: So sah der Alltag der erfolgreichen Schweizer Rockband aus. TEA veröffentlichte drei Platten, wurde mehrmals von den Lesern der Zeitschrift Pop zur besten Gruppe gewählt, spielte an grossen Festivals und ging mit Queen und Status Quo auf Tournee, aber Geld verdienten sie kaum. Das kümmerte die Musiker nicht sonderlich: Sie machten das, wovon sie immer geträumt hatten. Wenn einmal Bares da war, floss es sofort in die Anlagen: Man brauchte gutes Licht und guten Sound. Heute sagt Volker, dass TEA ihm vor allem den Ruf eines guten Gitarristen und Kontakte eingebracht habe, die den nächsten grossen Schritt seiner Karriere ermöglichten.
Nachdem sich TEA aufgelöst hatte, stand Volker eine Weile lang als Gitarrist der Scorpions zur Diskussion. Eine Aufnahme für den Eurovision Song Contest in München, wo er einen Gitarrenpart einspielen sollte, stellte die Weichen neu. Man bot ihm dort den Job des Chefingenieurs im Rainbow Studio an. Aufnahmeerfahrung hatte sich Volker in der Schweiz zur Genüge angeeignet. Die Idee, in Zukunft Musik quasi von aussen zu gestalten, gefiel ihm. Und er war genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Deutschland war im Bann der Neuen Deutschen Welle, und Volker war einer der Steuermänner. 1982 sass er am Mischpult, als Spider Murphy Gang die LP «Dolce Vita» mit dem Hit «Skandal im Sperrbezirk» aufnahm. Sie war in Deutschland die bestverkaufte Platte des Jahres. Volker und das Rainbow Studio in München wurden zu Erfolgsgaranten. Viele grosse Namen gehörten zu seinen Kunden: Relax, Geier Sturzflug, Dieter Bohlen und die Münchener Freiheit, später auch Nena, Boney M., Moti Special und Hubert Kah.
Sony-Plattenboss Jochen Leuschner vermittelte ihm gar eine Session mit dem «King of Pop», Michael Jackson. Dazu gehörten auch die nötigen Benimmregeln. Volker wurde informiert, dass man den King zwar mit Handschlag begrüssen dürfe, dann aber sofort einen Meter zurücktreten sollte – Social Distancing avant la lettre.
Volker wurde zum Getriebenen seines Erfolgs. Heute beschreibt er es als einen Strahl, dem er gefolgt sei. Alles, was nicht im Licht war, habe ihn nicht interessiert. Ein Familienleben gab es keines mehr, eine Beziehung endete nach 36 Jahren. Alle und alles mussten sich seiner Vision und Produktionsethik unterwerfen. Er folgte seinem Gefühl und war oft erstaunt, dass sein Geschmack den Künstlern stets auch gute Verkaufszahlen bescherte. Vielleicht weil er es verstand, das Beste aus den Musikern herauszuholen, auch wenn dies ans Lebendige ging. Es wurde geweint und geschrien im Studio. Viele Künstler sind Narzissten mit einer guten Portion Genialität. Dahinter kommen Neurosen, Unsicherheiten und Abgründe zum Vorschein. Als Produzent muss man deshalb nicht nur ein Musikgehör, sondern auch sehr viel Menschenkenntnis haben. Armand Volker hatte beides.
Wenn er Ferien machte, verbrachte er die Zeit am Telefon und versuchte aus der Ferne die Geschicke im Studio zu lenken. Doch die Musikbranche war im Wandel. Downloads statt CDs und Medienkonzerne statt Plattenfirmen – an allen Ecken bekam Volker die Änderungen zu spüren. Der Schweizer erlebte die neue Welt von Fernsehstationen, die «Superstars» mit einer Halbwertszeit von bloss einer Saison kürten oder Bewerber geradezu der Lächerlichkeit preisgaben. Hier ging es nicht mehr um die Musik, sondern nur noch um Einschaltquoten. An solchen Produktionen wollte Volker nicht beteiligt sein.
Er kehrte der Branche den Rücken zu und kam in die Schweiz zurück. Er produzierte noch eine CD von Gianna Nannini, und dann war Schluss. Er sagt heute, dass er einige Jahre an einer «Studio-Phobie» litt. Er wollte nichts mehr von den klimatisierten Kontrollräumen mit den vielen Reglern wissen. Bis er vor einiger Zeit vom Winterthurer Sänger Giovanni Giorgi angefragt wurde und nicht nein sagen konnte. So arbeitet er jetzt wieder an einer Produktion. Noch maximal zwei Tage pro Woche sitzt der mittlerweile siebzigjährige Volker zu Hause im zürcherischen Hombrechtikon vor seinen Reglern und den Bildschirmen. Und auch seine Gitarren hat er wieder aus dem Schrank geholt. In zwei Jahren sind fünfzehn Songs entstanden, die bald reif für die Veröffentlichung sind. Dann wird sich Armand Volker wohl oder übel nochmals mit dem Musikmarkt der Downloads und Streamings auseinandersetzen müssen.
Musikalisch schliesst sich der Kreis aber auch, weil er bald wieder auf der Bühne steht: In «This Is Rock» zelebriert eine Schweizer Allstar-Formation ab Ende November den klassischen Rock – mit Mäne Volker an der Gitarre –, diesmal hat er sie aber nicht selbst gebaut.