Für Männer kann es frustrierend sein: Da gibt man sich die grösste Mühe, behandelt die Damenwelt mit Respekt, zeigt sich verantwortungsbewusst und einfühlsam, führt ein vorbildliches Leben – und trotzdem ziehen Frauen oft den bad boy vor. Also die Sorte selbstbewusster, draufgängerischer Mann, der einen Raum betritt und zuerst mal alle Blicke auf sich zieht, unter Kollegen grossen Respekt geniesst, gern gesellschaftliche Regeln bricht und als Rebell ein bisschen ein Leben am Limit führt. Er sorgt für Abenteuer und auch für Tränen und symbolisiert eine Freiheit, die andere nur aus Filmen wie «The Fast and the Furious» kennen. Manche bad boys legen auch rücksichtsloses Verhalten an den Tag.

Bad boys haben etwas an sich, das viele Frauen, auch die Emanzipierten, unwiderstehlich finden – sowohl sexuell als auch emotional, auch wenn natürlich nicht jede von uns dem bisweilen toxischen Charme erliegt. Die Vorstellung, sich mit einem solchen Mann einzulassen, ist reizvoll, allen red flags zum Trotz; das kann als weibliche Form der Selbstbestimmung gesehen werden, als ein Ausbrechen aus den Korsetts konventioneller Rollenbilder. Seine Unberechenbarkeit verleiht dem Leben eine neue Intensität; mit dem Grenzgänger etwas am Abgrund zu tanzen, bedeutet, dass es nie langweilig wird – und ja, auf den Dauerstress-Level muss man stehen.

Hinter der Fassade steckt häufig Unsicherheit und ungesundes Verhalten.

Wissenschaftler erklären die Anziehung von bad boys mit evolutionären Mechanismen. Frauen fühlen sich instinktiv von Männern angezogen, die starke Gene versprechen und in der Lage sind, sie und ihre Nachkommen zu schützen. Männer mit Persönlichkeitsmerkmalen wie Selbstsicherheit und Unabhängigkeit werden als besonders mächtig und furchtlos angesehen. Auch fühlen sich manche von der Herausforderung angezogen, diesen Mann zu «zähmen», zu knacken oder zu retten, so gut es geht. Ja, das ist ein verlässliches Naturgesetz, und egal, wie seltsam: Die Idee, aus einem wilden Kerl ein sanftes Lamm zu machen, verschafft uns eine merkwürdige Genugtuung. Es bestärkt Frauen in ihrer eigenen Weiblichkeit; es ist, als ob sie damit ihre Einzigartigkeit und ihr Können unter Beweis stellten. Jede denkt, sie sei die Ausnahme, sie werde ihn schon ändern können. Aber in den meisten Fällen bleibt das ein Wunsch.

Vor allem aber ist der bad boy oft nicht so cool, wie er scheint. Seine Anziehungskraft hat mehr mit der Fantasie als mit der Realität zu tun, denn hinter der Fassade steckt häufig Unsicherheit und ungesundes Verhalten. Besonders jüngere Frauen neigen dazu, die zur Schau gestellte Selbstsicherheit mit echter mentaler Stärke und Kompetenz zu verwechseln. Sie sehen nur den rebellischen Freigeist, der so anders ist als der zuverlässige, wenn auch vielleicht etwas langweilige Typ, den sie sonst kennen und daten. Mit einem Gespür für weibliche Urbedürfnisse verstehen es die bad boys (die es darauf anlegen), diese geschickt auszunutzen. Sie spielen die Rolle des Typs, den Frauen zu suchen glauben, während sie eigentlich ihre eigene Unsicherheit überspielen. Die Masche funktioniert, denn leider merkt man das oft erst, wenn es zu spät ist, auch wenn viele Frauen schon während der Beziehung von der Vorahnung eines unausweichlichen Abschieds geplagt sind.

In verschiedenen Lebensphasen suchen Frauen unterschiedliche Eigenschaften in einem Partner. Ist man zwanzig, sind «verantwortungsvoll» und «fürsorglich» eher langweilige Attribute. Man will vielmehr einen Mann, bei dem die Freundinnen sich staunend fragen: «Wie hat sie den bloss gekriegt?» Das ist nicht anders, wenn man als Zwanzigjähriger eine Frau kennenlernt; da interessiert einen nicht in erster Linie, ob sie eine fürsorgliche und zuverlässige Mutter seiner Kinder werden könnte. Viel mehr zählt, ob sie interessant und hübsch ist.

Das Gute an diesen Erfahrungen ist, dass man irgendwann lernt, Anzeichen für schädigendes Verhalten früher zu erkennen. Manchmal jedenfalls. Denn es gibt auch Frauen, die einen Sinn für masochistische Routine entwickelt haben und immer wieder mit Vollgas ins romantische Verderben fahren – nur um sich dann zu wundern, warum sie schon wieder enttäuscht wurden. Die Hoffnung ist eben ein hartnäckiger Glaube, der selbst wiederholte Enttäuschungen kaum schmälern kann.

 

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