Was verbindet die Stadt Zürich mit dem schwedischen Göteborg, dem Autohersteller Hyundai, dem Bahnbetreiber SNCF, dem Berner Inselspital, dem Versicherer Swiss Life oder dem Tech-Giganten Apple? Sie alle gehören zum Klub von Schuldnern, die an der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange zusammen rund 140 grüne Anleihen (Green Bonds) kotiert haben.

Das mit solchen Anleihen aufgenommene Geld muss in Projekte investiert werden, die sich positiv auf die Umwelt auswirken, wobei heute meist der Klimaschutz im Zentrum steht. Dabei wird auf die Green Bond Principles der ICMA abgestellt, der Standesorganisation der internationalen Kapitalmärkte. Sie geben die Leitplanken für die Verwendung des Emissionserlöses, die Auswahl und Bewertung des Projekts, das Management der Erlöse und für die Berichterstattung vor. Green Bonds bilden auch international mit Abstand das wichtigste Segment von Anleihen mit Nachhaltigkeitsbezug.

Anleger, die ihr Geld (oder das Geld ihrer Kunden) mit Green Bonds ökologisch investieren wollen, sind (zumindest in der Theorie) bereit, eine etwas tiefere Verzinsung als bei konventionellen Anleihen in Kauf zu nehmen. Diese Prämie (Greenium) ist aus Sicht der Schuldner eine Kostenersparnis und schafft wiederum einen Anreiz, den Mittelbedarf möglichst über Anleihen mit einem solchen Label zu stillen, was die Transformation hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen und damit einer Netto-null-kompatiblen Wirtschaft fördert.

 

Profitiert man von einem Greenium?

Für den mit Abstand grössten Green Bond ist hierzulande allerdings nicht ein Unternehmen, sondern der Bund verantwortlich. Seine im Oktober 2022 lancierte, bis 2038 laufende Anleihe bringt es (nach mehreren Aufstockungen) auf ein Volumen von 1,6 Milliarden Franken. Der Löwenanteil des Erlöses fliesst in einen sauberen (öffentlichen) Verkehr, berücksichtigt werden aber auch Land- und Forstwirtschaft, biologische Vielfalt, grüne Gebäude und Energieeffizienz. Gemäss Auskunft der für die Mittelbeschaffung zuständigen Bundestresorerie soll der Green Bond allmählich wie andere Bundesanleihen einen Umfang von vier bis fünf Milliarden Franken erreichen. Anders, als dies (idealerweise) bei Green Bonds von Unternehmen der Fall ist, wird damit nicht mehr für die Umwelt getan. Die Finanzkompetenz liegt nämlich beim Parlament, das heisst, mit dem Green Bond bezahlt der Bund nur bereits beschlossene Ausgaben mit ökologischer Zielrichtung.

Profitiert die Eidgenossenschaft trotzdem von einem Greenium, einem Finanzierungsvorteil gegenüber konventionellen Bundesanleihen? Mit Verweis auf Deutschlands grüne und herkömmliche «Zwillingsanleihen» beziffert die Tresorerie den Finanzierungsvorteil auf gegenwärtig ein bis zwei Basispunkte. Das liegt selbst für den akribisch kalkulierenden Anleihenmarkt im Unschärfebereich. «Ein Greenium war in unserem Fall nie das Ziel, im Vordergrund stand die Stärkung des Schweizer Finanzplatzes als führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen.»

Bereits bei der Lancierung 2022 hatte der Bund mit der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes und der Förderung der Ausgabe grüner Anleihen durch private Akteure argumentiert. Viele Unternehmen warteten indes nicht auf sein Vorbild, sondern haben vorher Green Bonds begeben. Immerhin war es eine (ausländische) staatsnahe Schuldnerin (Europäische Investitionsbank), die Anfang 2014 das Eis mit dem allerersten Green Bond in Franken brach.

 

Sonderfall Pfandbriefinstitute

Die Liste der Green-Bond-Emittenten liest sich über weite Strecken wie das Who’s who des vertrauten Schweizer Anleihenmarkts – mit einem grossen Aber. Die beiden Pfandbriefinstitute, die Pfandbriefzentrale der schweizerischen Kantonalbanken und die Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute, glänzen durch Abwesenheit. Ihr Auftrag, «dem Grundeigentümer langfristige Grundpfanddarlehen zu möglichst gleichbleibendem und billigem Zinsfuss zu vermitteln», ist seit bald hundert Jahren im Pfandbriefgesetz festgelegt. Dafür emittieren die beiden Institute Pfandbriefanleihen und stellen den Erlös den Mitgliedsbanken für deren Hypothekargeschäft zur Verfügung. Mit einem Volumen von rund 170 Milliarden Franken sind sie am Anleihenmarkt die zwei grössten Schuldner und im klimarelevanten Immobiliensektor wichtige Akteure.

Dass sich die beiden Institute nicht um das Thema Nachhaltigkeit foutieren, belegt etwa der Nachhaltigkeitsbericht 2022 der Pfandbriefbank. «Mit der Erfüllung unseres gesetzlichen Auftrags tragen wir indirekt dazu bei, dass ausreichend und bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Somit leisten wir einen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeitsdimension», ist dort zu lesen. «Die Sanierung des Immobilienbestandes stellt ein Kernelement zur nachhaltigen Senkung des Energiebedarfs unserer Gesellschaft und zur Erreichung der Klimaziele dar. Für die Finanzierung dieser Sanierungsinvestitionen werden grosse Summen an zusätzlichem Kapital benötigt werden.» Dabei spiele der Pfandbrief eine Schlüsselrolle, auch «bezüglich Finanzierungsbedürfnissen für nachhaltige Energielösungen an den Gebäuden».

Ein grosses Hindernis für einen grünen Schweizer Pfandbrief liegt darin, dass das helvetische Modell einzigartig ist. Es lässt sich nur schwer mit dem von der ICMA vorgegebenen Rahmen einfangen. Wollte zum Beispiel die Pfandbriefbank einen Green Bond emittieren, müsste sie sicherstellen, dass die Mitgliedsbanken den Erlös der entsprechenden Emission nur für Hypotheken verwenden, die grünen Zwecken dienen. Anders als bei den international gängigen Covered Bonds ist im Schweizer Modell das Hypothekargeschäft von dessen Refinanzierung getrennt. Ersteres ist Aufgabe und Kompetenz der Banken, Letzteres der Pfandbriefinstitute, die als Gemeinschaftswerke für ihre Mitgliedsbanken zentral Mittel beschaffen. Der Deckungsstock (Hypotheken, welche die Bank als Sicherheit für die erhaltenen Mittel verpfändet) bleibt auf der Bilanz der jeweiligen Bank. Der gesetzliche Auftrag der Pfandbriefinstitute endet mit der Kreditvergabe an die Bank, einen direkten Kontakt zum Hypothekarnehmer gibt es nicht.

Kurz: Zwar spricht vieles dafür, dass der Pfandbrief eine positive soziale und ökologische Wirkung hat, doch ist der konkrete Nachweis im Sinne einer Zuordnung der Verwendung des Emissionserlöses auf einzelne grüne Hypotheken systembedingt nicht möglich.

Dass das Geschäftsmodell der beiden Pfandbriefinstitute nicht in international gängige Raster der Nachhaltigkeitsindustrie passt, zeigt sich auch bei den ESG-Ratings, die sich nicht wie das Green-Bond-Label auf eine einzelne Anleihe, sondern auf das ganze Unternehmen beziehen. Für grosse Vermögensverwalter sind solche Ratings für Ökologie, Soziales und Unternehmensführung oft schon heute ein Muss, sei dies aus Gründen des Marketings, der Reputation oder der Regulierung. Die auch im Schweizer Markt massgeblichen Noten werden von weltweit tätigen Anbietern wie MSCI, Sustainalytics und ISS vergeben. Einzige relevante inländische Agentur ist Inrate, weil deren Rating darüber entscheidet, ob eine Anleihe in den ESG-Anleihenindex der SIX aufgenommen wird.

 

Gängige Methoden passen nicht

Anders als herkömmliche Bonitätsratings, die im Auftrag des Schuldners erstellt werden, werden ESG-Ratings «ungefragt» verteilt. Die Anbieter stützen sich auf Methodologien, die sich in teils fundamentalen Fragen unterscheiden (z. B. Messung der Klimarisiken für das oder aus dem Geschäftsmodell eines Unternehmens) und die sie weltweit schematisch und standardisiert anwenden. So werden die Pfandbriefinstitute, die sich selber als Teil der «Infrastruktur» des Finanzplatzes verstehen, in die Kategorie Banken eingeteilt und Messlatten angelegt, zum Beispiel in Bezug auf Menschenrechte und Geldwäscherei, die für die beiden Institute aufgrund ihres Geschäftskreises offenkundig nicht von Belang sind. Die Folge sind aus Schweizer Warte zu tiefe ESG-Ratings.

Schon allein des riesigen Mittelbedarfs wegen wird eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Zukunft ohne den Finanzmarkt nicht gelingen. Daher sind auch Innovationen wie Green Bonds oder ESG-Rating zu begrüssen. Wer aber «im Interesse des grossen Ganzen» die inneren Widersprüche von Labels und Gütesiegeln ausblendet, leistet der Nachhaltigkeit einen Bärendienst, da er langfristig ihre Glaubwürdigkeit unterminiert.

 

Peter Kuster ist Redaktor bei Finews.