Yesh!: Neues aus der jüdischen Filmwelt.Zürich. 7. bis 14. November

Im Klub «Mascotte» am Zürcher Bellevue, wo sonst harte Beats bis in die Morgenstunden dröhnen, ist gemütliche Party angesagt. Rund zweihundert Filmbegeisterte, meist gestandene Semester, treffen sich zur Eröffnung der Kinotage «Yesh!». Man tut sich an Pizzaschnitten und Weisswein gütlich; hier trifft sich solides Zürcher Bürgertum zum geselligen Plaudern. Das Weltgeschehen scheint weit weg.

Ist es natürlich nicht. Yesh! (toll) steht dieses Jahr mehr als sonst im Zeichen des Nahostkonflikts. Nach dem Überfall der Hamas vor einem Jahr war Festivaldirektor Michel Rappaport zunächst ratlos – wie lässt sich unter diesen Umständen noch Verständigung zwischen israelischen und palästinensischen Positionen postulieren? Doch dann fanden er und sein Team zur Jetzt-erst-recht-Haltung. Denn der Film, so sagt er im Gespräch, eigne sich perfekt, um Kultur und Tradition eines Volkes zu vermitteln. Nach der Party im «Mascotte» spazieren die Gäste vom Bellevue um die Ecke ins Kino «Le Paris» am Stadelhofen, um den Eröffnungsfilm zu sehen. Im Vorfeld war von umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen die Rede. Sollte es sie tatsächlich geben, so sind sie kaum wahrnehmbar.

Nach dem Überfall der Hamas vor einem Jahr war Festivaldirektor Michel Rappaport zunächst ratlos.

«All About the Levkoviches» parodiert die Gegensätze zwischen weltlichem und orthodoxem Judentum. Aber er thematisiert ebenso einen Generationenkonflikt, der das Zusammenleben mancher Familien prägt. Yesh! will nicht nur ein Festival für die jüdische Gemeinschaft sein, versichert Rappaport: «Wir suchen vor allem ein nichtjüdisches Publikum.» Denn er konstatiert ein verbreitetes Unwissen über die Kultur und Tradition des Judentums.

Andere Festivalbeiträge nehmen direkten Bezug auf den Konflikt. Etwa die Produktion «Israelism», die das San Francisco Jewish Film Festival ausgezeichnet hat. Im Mittelpunkt stehen zwei junge Amerikaner, die der Überzeugung sind, sie seien zionistisch indoktriniert worden. Sie sehen die Palästinenser als Opfer israelischer Aggression. Der Film zeigt auch, wie sich die Haltung des amerikanischen Judentums gegenüber Israel verändert hat. Die vorbehaltlose Unterstützung gilt nicht mehr.

 

Antisemitisch oder nicht?

Ist dieser Film antisemitisch? Nachdem er vor einem halben Jahr bereits im Kulturzentrum «Zentralwäscherei» zu sehen war, kam es im Zürcher Stadtparlament zu einem Vorstoss, in dem dieser Vorwurf erhoben wurde. Festivaldirektor Rappaport hält ihn für unberechtigt. Das gilt auch für «No Other Land», einen Dokumentarfilm, der an der Berlinale ausgezeichnet wurde und ebenfalls für jüdische Kritik sorgte. Im Mittelpunkt steht die Vertreibung von Palästinensern aus dem Westjordanland. Eine unmissverständliche Täter-Opfer-Schuldzuweisung prägt diese Produktion. Israel steht hier in der Verantwortung für den Konflikt.

Der Film «Supernova: The Music Festival Massacre» setzt dazu einen Gegenakzent. Er zeigt die verstörenden Aufnahmen des fürchterlichen Hamas-Überfalls vom 7. Oktober 2023 auf die nichtsahnenden Konzertbesucher. Die jungen Leute verstanden nach dem ersten Granatenbeschuss eine Weile nicht, dass es um Leben und Tod ging. Der Dokumentarfilm enthält verstörende Passagen von Handy-Aufnahmen der Opfer, von Propagandamaterial der Terroristen oder Überwachungskameras. Die Zuschauer sehen sich in der Rolle von Voyeuren eines Dramas, von dem man zwar weiss, dass es stattgefunden hat. Aber die Unmittelbarkeit dieses Filmmaterials verdeutlicht das Ausmass und macht es emotional nachvollziehbar.

Diese drei Filme fordern zur Stellungnahme im Nahostkonflikt heraus, andere wie «Children of Peace» erzählen die Geschichte vom guten Willen, sich einander anzunähern. Wie erfolgt die Auswahl der 34 gezeigten Filme? Laut André Grieder, Mitglied der Programmgruppe, werden die Vorschläge diskutiert, bis eine Einigung zustande kommt. Dabei soll es nicht nur um die Politik gehen: «Wir wollen dem Publikum Filme mit jüdischer Thematik zeigen, die es sonst kaum ins Kino schaffen.» Diesem Anspruch wurde das zehnte Yesh! gerecht.