Im Werk von Karl Marx «Das Kapital» wird die Verelendung der Arbeiterschaft durch die fortwährende Anhäufung des Kapitals (damals vor allem Maschinen und Fabrikgebäude) vorausgesagt (die drei Bücher hätten übrigens ohne die finanzielle und redaktionelle Unterstützung durch den Kapitalisten Friedrich Engels nicht erscheinen können). Die historische Erfahrung ist eine andere: Durch den erhöhten Bildungsstand der Arbeiterschaft wurde ihre Arbeit produktiver und wertvoller, während ihre erhöhte Mobilität dank Eisenbahn und Strassenbahn die Arbeitgeber einem verstärkten Konkurrenzdruck aussetzte. Mit steigenden Löhnen konnte sich die breite Bevölkerung die zusätzlich produzierten Konsumgüter auch leisten – das Model T von Ford ist dafür das schlagende Beispiel.

Die Version einer nicht absoluten, doch relativen Verarmung stammt von Thomas Piketty mit seinem 2014 erschienenen Werk «Capital in the Twenty-First Century» (Kapital im 21. Jahrhundert). Er glaubt, den Nachweis erbracht zu haben, dass das Kapital (wiederum investiert in Produktionsanlagen, aber auch Wohnungen) eine höhere Rendite erzielt als die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Damit bleibt für die Arbeitseinkommen ein immer kleinerer Anteil am BIP übrig. Allerdings ist ein Kapitalgut nur so viel wert, wie es in Zukunft Einkommen generieren kann. Ist dies nicht der Fall, weil beispielsweise im Zuge der Landflucht Häuser leerstehen, oder ganze Fabriken wegen des technologischen Wandels keine Verwendung mehr finden, fällt der Wert der Wohnung beziehungsweise der Fabrik auf null. Die volkswirtschaftlichen Statistiken widerspiegeln solche Wertverluste kaum, denn in ihnen werden Kapitalgüter einfachheitshalber mit einem konstanten Satz abgeschrieben, und damit die Rendite des Kapitals überschätzt.

Während bei Marx und seinen Epigonen die Kapitalakkumulation die Wurzel allen Übels ist, steht heute kaum genug Kapital zur Verfügung, um insbesondere die Energiewende zu stemmen. Windräder, Solarzellen, der Umbau von Heizungen und Autos bis hin zu den neuen Trassen für die Übertragung der Elektrizität binden viel Kapital. Offensichtlich besteht zwischen dem Kapital und der Umwelt eine wichtige Beziehung.

 

Drei Stufen der Hoffnung

Eine erste Einsicht: Die Umwelt lässt sich ihrerseits als ein Kapitalgut auffassen. Der Bestand an natürlichen Ressourcen, aber auch die Kapazität der Umwelt, zum Beispiel CO2 aufzunehmen, ist nichts anderes als ein Kapital, das durch seine Nutzung einer Abschreibung unterliegt. Insofern das BIP diese Abschreibung nicht einrechnet, weist es einen zu hohen Wohlstandsgewinn zu Lasten der Umwelt auf.

Die Ökonomen haben seit langem erkannt, dass die Umweltgüter einen Preis haben müssen, damit man mit ihnen sparsamer umgeht. Das Problem dabei ist allerdings, dass beispielsweise eine CO2-Bepreisung in der Schweiz alle Güter und Dienstleistungen verteuern, aber nur zu einer verschwindend kleinen Reduktion der globalen CO2-Emissionen führen würde. Bis auch die grossen Emittenten wie die USA, China und bald schon Indien zu einer Vereinbarung bezüglich CO2-Bepreisung gelangen, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

Doch es gibt eine zweite, hoffnungsvollere Einsicht: Fast alle natürlichen Ressourcen können durch den Einsatz von genügend Energie und Kapital einer neuen Verwendung zugeführt werden. Allerdings belastet der Einsatz von Energie seinerseits die Umwelt. Nur: Die oft als Energieverschwender kritisierte amerikanische Wirtschaft brauchte noch 1970 den Gegenwert von 3,71 Kilowattstunden (kWh) je Dollar BIP an Holz, Kohle, Gas, Erdöl und Wasserkraft. Ihre sogenannte Energieintensität betrug 2018 gemäss «Our World in Data» im Jahr 2018 nur noch 1,48 kWh je (inflationsbereinigten) Dollar BIP; diejenige der Schweizer Wirtschaft sank von 1,69 auf 0,60 kWh je Franken BIP. China hingegen ist bis jetzt diesem Trend nicht gefolgt: Seine Energieintensität betrug 1970 2,06 kWh je Yuan und stand 2018 immer noch bei 2,12 kWh je Yuan. Zugegebenermassen nimmt der Energieeinsatz insgesamt in allen Industrieländern nach wie vor mit dem Wachstum des BIP zu.

Die Reduktion der Energieintensität war nicht zuletzt auf die beiden Ölpreisschocks von 1973/74 und 1978/79 zurückzuführen. Doch nach einem Maximum von 146 Dollar je Fass sank der Ölpreis bis 1986 auf 40.50 Dollar und erreichte 1999 ein Minimum von 23.90 Dollar je Fass und sank damit auf nur 16 Prozent des Maximums. Man würde erwarten, dass in dieser Phase die Energieintensität wieder zunahm, doch setzte sie ihren Abstieg kontinuierlich fort. Verantwortlich dafür ist der technologische Wandel: Wenn einmal die energiesparenden Einrichtungen und Produktionsprozesse (üblicherweise wiederum ermöglicht durch erhöhten Kapitaleinsatz) zum Standard geworden sind, weicht man nicht mehr davon ab.

 

Auftritt des Humankapitals

Je länger, je mehr wird zudem eine Komponente des Kapitals wichtig, die zur Zeit von Karl Marx noch kaum eine Rolle spielte: das sogenannte Humankapital. Es wird aufgebaut durch Investitionen in die Ausbildung der Beschäftigten, die erst die Umsetzung der neuen durch Forschung und Entwicklung gewonnenen Erkenntnisse ermöglicht.

Dies führt zu einer dritten, bedingt hoffnungsvollen Einsicht: Es findet ein Wettlauf zwischen dem Aufbau von menschengemachtem Kapital (physische Kapitalgüter und Humankapital) und dem Abbau des naturgegebenen Kapitals (der Umweltressourcen) statt. Die Substitution des naturgegebenen Kapitals durch das menschengemachte wird gesteuert durch die Verschiebung der Preisverhältnisse, denn eine Verknappung der Energie (stellvertretend für die Umweltressourcen) lässt ihren Preis ansteigen, was auf das beliebig vermehrbare menschengemachte Kapital nicht ohne weiteres zutrifft. Dessen Nutzungspreis setzt sich zusammen aus der Abschreibung und der (inflationsbereinigten) Verzinsung, die beide in Zukunft kaum systematisch zunehmen werden.

Die entscheidende Grösse in diesem Wettlauf ist die sogenannte Substitutionselastizität. Wie der Nobelpreisträger Robert Solow 1974 herausfand, muss sie mindestens eins betragen, damit dieser Wettlauf gewonnen werden kann. Wenn beispielsweise die Energie im Vergleich zum menschengemachten Kapital in Zukunft 10 Prozent teurer wird, muss sich der Mix von Energie und Kapital um mindestens 10 Prozent zugunsten des Kapitals verändern, damit es zu einer Einsparung von Energie und damit zu einer Entlastung der Umwelt kommt. Doch die Energieträger (und mit ihnen die Umweltressourcen) werden längerfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit teurer, sei es durch ihre Verknappung, die CO2-Bepreisung oder durch den Umstieg auf die Elektrizität.

Während erste Untersuchungen aus den 1970er Jahren noch zu keinen eindeutigen Schätzungen der Substitutionselastizität führten, geben neuere, auf genaueren Daten basierende Studien Anlass zu Optimismus. Grundsätzlich müsste man in der Produktion Arbeit, Kapital, Energie und nichtenergetische Rohstoffe unterscheiden. Doch da sich die mannigfachen Substitutionsprozesse nur schwer voneinander unterscheiden lassen, fasste ein Team aus Prag in einer 2020 erschienenen Untersuchung Arbeit und Kapital einerseits und Energie und Rohstoffe andererseits zusammen. Die Autoren unterschieden 34 Branchen, darunter sechzehn energieintensive. In den siebzehn westlichen EU-Mitgliedsländern liegen die geschätzten Substitutionselastizitäten mit 1,62 deutlich über eins. In den zehn osteuropäischen sind sie mit 1,21 niedriger, aber immer noch grösser als eins. Wenn sich also Energie und Rohstoffe relativ zur Arbeit und den Kapitalgütern um 10 Prozent verteuern, nimmt ihr Einsatz im Vergleich zu Letzteren um 12,1 bis 16,1 Prozent ab – dies bei gegebenem BIP.

Mit anderen Worten: Die Produktionsprozesse zumindest in den EU-Ländern haben sich in der Vergangenheit so stark angepasst, dass es über eine Verteuerung der Energie und der natürlichen Ressourcen tendenziell zu einer Entlastung der Umwelt kam. Die Frage bleibt aber offen, ob die Substitutionselastizitäten genügend weit über eins liegen, damit dies bei einem Wachstum des BIP immer noch gilt.

 

Sauber verdrängt Schmutzig

Eine ebenfalls 2020 publizierte Studie der ETH Zürich bildet mit Hilfe einer sehr detaillierten französischen Datenbasis zwei Kategorien der Energie: Die eine (Elektrizität) ist sauber, die andere (fossile Energieträger) schmutzig, das heisst umweltbelastend. Da saubere Energieträger seit den 1990er Jahren relativ zu den schmutzigen billiger wurden, ersetzen sie die schmutzigen laufend – mit Substitutionselastizitäten weit über eins in den meisten Branchen. Dieses Ergebnis ist zwar ermutigend, unterliegt aber drei Einschränkungen. Zum einen wird die Substitutionselastizität für die Unternehmen regelmässig als konstant innerhalb einer Branche angenommen, weil sonst die Zahl der zu schätzenden Parameter viel zu gross würde. Diese Vereinfachung ist nicht harmlos; so können multinationale Unternehmen ihre Produktionsstätten schliessen, anderswo aufbauen und so den Mix von menschengemachtem Kapital und Umweltressourcen ohne weiteres anpassen – aber eben nur im betrachteten Land. Zum Zweiten blendet die Studie die zunehmend wichtige Rolle des Humankapitals aus, obschon die verbesserte Ausbildung der Beschäftigten die Substitution der Umweltressourcen erst ermöglicht. Und schliesslich stammt die saubere Energie zumindest zum Teil von Energieträgern, welche die Umwelt belasten.

Doch so viel ist klar: Die Kapitalakkumulation ist entgegen der marxistischen Theorie ein Segen für die Umwelt, denn sie ermöglicht die Substitution des naturgegebenen Kapitals durch menschengemachtes Kapital und trägt so zur Schonung der Umwelt bei.

 

Peter Zweifel ist Professor em. für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik der Universität Zürich mit den ForschungsschwerpunktenEnergie, Umwelt, Gesundheitund Versicherungen.