Die neuen gentechnischen Methoden liefern der Wissenschaft wichtige Erkenntnisse über die Funktion einzelner Gene und deren Genregulation. Pflanzen besitzen jedoch etwa 20 000 Gene. Deren Zusammenspiel und die Wechselwirkung mit der Umwelt entscheiden, wie robust und ertragsstabil eine Sorte ist. Die Modifikation einzelner Gene wird daher nicht ausreichen, um dem Klimawandel zu trotzen und ein nachhaltiges Ernährungssystem zu erreichen.

Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Pflanzenzüchtung für den Biolandbau. Dabei fokussieren wir unsere Forschung und Entwicklung auf Körnerleguminosen für die Humanernährung, die Züchtung für Mischkultureignung und die verbesserte Symbiose der Kulturpflanze mit den im fruchtbaren Boden vorhandenen Mikrobengemeinschaften. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau von lokalen Bioasaatgut-Systemen in Europa, Indien und Afrika.

Daher verfolgen wir die neusten Entwicklungen in der Pflanzengenetik sehr genau. Unter dem Begriff «Neue Genomische Techniken» (NGT) versteht man verschiedenste seit 2001 entwickelte gentechnische Eingriffe in die isolierte Zelle beziehungsweise den Zellkern, die keine artfremden Gene übertragen. Am bekanntesten ist die Genom-Editierung, die durch die Entdeckung des Crispr-Cas9-Systems breite Anwendung in der Forschung findet.

 

Interaktion zwischen Genen

Das FiBL hat eine differenzierte Haltung gegenüber den neuen genomischen Techniken. Die NGT sind nicht mehr aus der Wissenschaft wegzudenken. Sie können schnell und kostengünstig angewendet werden und ermöglichen grosse Fortschritte in der Molekulargenetik, in der Epigenetik sowie in der Genregulation. Ich sehe ein hohes Potenzial der NGT für die Erforschung der Funktionen einzelner Gene, was es uns erlaubt, die Funktionsweisen der Pflanzen besser zu verstehen. Gegenüber den grossen Versprechen, dass wir mittels NGT die Herausforderungen des Klimawandels nachhaltig lösen können, bin ich jedoch sehr skeptisch.

Wir wissen heute, dass die Hypothese «ein Gen – ein Merkmal» veraltet ist. Die Ausprägung eines einzelnen Pflanzenmerkmals beruht auf Effekten mehrerer Gene, auf der Interaktion zwischen diesen Genen, der Genregulation und der Wechselwirkung zwischen Pflanze und der jeweiligen Umwelt, deren Zusammenspiel immer noch eine grosse Black Box darstellt. Kürzlich wurde auch der grosse Einfluss des assoziierten Mikrobioms auf die Pflanzenleistung entdeckt. Daher kann durch die gezielte Änderung einzelner Gene, die im Baukastensystem zusammengesetzt werden, die klassische Züchtung nicht ersetzt werden.

Hier ist es die Kunst der Pflanzenzüchtung, optimale Kompromisse zu finden für fünfzig bis hundert agronomisch, ernährungsphysiologisch und technologisch relevante Merkmale. Dafür sind im Schnitt 20 000 Gene inklusive komplexer Rückkopplungsketten verantwortlich. Die NGT können zum Züchtungsgewinn beitragen, benötigen aber immer noch die traditionelle Pflanzenzüchtung. Bisher ist nur eine kleine Anzahl von Genen bekannt, die für die Pflanzenproduktion oder -verarbeitung von Bedeutung sind; etwa Avirulenzgene oder Gene für Enzyme, die für den Stoffwechselweg wesentlich sind (z. B. Amylase). So sind bislang nur wenige NGT-Sorten auf dem Markt und in der Pipeline. Diese beruhen vor allem auf dem Ausschalten (Knock-out) eines Gens, was wesentlich einfacher ist als das Einfügen einer verbesserten Gensequenz.

 

Riskante, unrealistische Versprechen

Wie bei jeder Technik gibt es auch bei den präziseren NGT ein Restrisiko. Dieses Risiko hängt davon ab, welche Pflanze und welches Merkmal verändert wurden, aber auch davon, wie gross der gentechnische Eingriff ist, ob in die Gensequenz oder Genregulation eingegriffen wird und wie der Transfer in den Zellkern durchgeführt wird. Daher braucht es eine fallweise Risikoprüfung, um unvorhergesehene negative Auswirkungen auf Nichtzielmerkmale, Nichtzielorganismen und die Umwelt als Ganzes zu minimieren.

Das grösste Risiko sehe ich im unrealistischen Versprechen, dass mit Hilfe der NGT unser Ernährungsproblem angesichts des Klimawandels einfach gelöst werden kann. Dies trägt dazu bei, dass die dringend notwendige Ökologisierung der Landwirtschaft und Entwicklung eines nachhaltigen Ernährungssystems mit mehr pflanzenbasiertem Protein und wenig Foodwaste weiter verzögert werden. Es besteht die Gefahr, dass besonders anfällige Sorten, wie etwa Bintje-Kartoffeln oder Gala-Äpfel, durch Gentechnik «verewigt» werden, statt dass neue Sorten gezüchtet werden. Das würde langfristig die Agrarbiodiversität massiv einschränken. Für die Sicherung eines nachhaltigen Ernährungssystems darf nicht alles auf eine Karte gesetzt werden.

Ein weiteres Problem ist die Patentierung. In der Schweiz und in Europa haben wir ein gutfunktionierendes Sortenschutzsystem. Mit dem Aufkommen von gentechnisch veränderten Organismen und werden jedoch immer mehr Pflanzen oder Gene patentiert, was den Landwirten das Recht nimmt, ihr eigenes Saatgut zu erzeugen, und den Züchtern, die Verwendung kommerzieller Sorten für die eigene Züchtung einzusetzen. Durch die Patentierung wird die Monopolisierung im Saatgutbereich weiter beschleunigt und so der freie Zugang zum Saatgut massiv beeinträchtigt. Daher möchte das EU-Parlament alle Patente auf NGT in der Pflanzenzüchtung verbieten. Dafür müsste allerdings das Europäische Patentübereinkommen geändert werden, dem 39 Länder angehören.

 

Deklaration und Entscheidungsfreiheit

Zurzeit diskutiert man in der Schweiz und in der EU intensiv über die Regulierung der NGT. Das FiBL setzt sich für die Deklaration von Produkten ein, die mit den NGT erzeugt wurden. Die Transparenz ist wichtig für die Entscheidungsfreiheit von Landwirtinnen und Konsumenten – so, wie sie auch frei zwischen Bio- und konventionellen, veganen oder nicht veganen Produkten unterscheiden möchten. Der Biosektor lehnt sowohl die alte Gentechnik als auch die NGT ab, da diese Techniken als unvereinbar mit dem ganzheitlichen Ansatz der biologischen Landwirtschaft angesehen werden.

Vor der Freisetzung von NGT muss unserer Ansicht nach die Koexistenz zwischen gentechnisch veränderten und nicht gentechnisch veränderten Pflanzen gesetzlich geregelt werden. In diesem Zusammenhang müssen auch Nachweismethoden bereitgestellt und die Haftungsfrage für Verunreinigungen geregelt werden, da für den Biolandbau und die Kundinnen und Kunden von Bioprodukten NGT-Freiheit von grosser Bedeutung ist.

 

Monika Messmer ist Co-Leiterin derGruppe Pflanzenzüchtung am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL).