Es gab wohl noch nie so viele Bewerber für einen Sitz im Bundesparlament. Noch sind die Anmeldefristen nicht überall abgelaufen, aber in den meisten Kantonen wird die Zahl der Kandidaten die verfügbaren Sitze um ein Mehrfaches übersteigen.

Im Kanton Zürich kämpfen Politiker auf 44 Listen um 34 Nationalrats-Sitze, das wären theoretisch maximal 1496 Kandidaten, in Bern 744 Bewerber mit 39 Listen für 24 Mandate und im Aargau sogar 713 Kandidaturen auf 56 Listen für 16 Sitze. Pro Mandat bewerben sich in diesen drei Kantonen 45 Kandidaten. Hochgerechnet auf die Schweiz würde dies 9000 Kandidierende für 200 Nationalratsmandate bedeuten, von denen 8800 leer ausgehen werden.

Einige Bewerber haben schon von vornherein keine Wahlchancen, denn sie haben sich lediglich als Listenfüller oder Stimmensammler auf Nebenlisten zur Verfügung gestellt. Einige «Wasserträger» hoffen dennoch, einen unerwarteten Sieg davonzutragen.

Enttäuschung dürfte sich hingegen bei jenen breitmachen, die auf aussichtsreichen Listenplätzen oder dank ihrer Bekanntheit mit einem Einzug in den Polithimmel rechnen oder abgewählt werden. Eine Nicht- oder Abwahl ist nicht immer auf persönliches Versagen zurückzuführen. Vielleicht verliert die eigene Partei aus programmatischen Gründen Sitze. Oft machen die erzielten Kumulier- und Panaschierstimmen der Mitkonkurrenten oder Listenverbindungen den Unterschied in der Endabrechnung aus. Auch Verlierer haben meistens viel persönlichen Einsatz geleistet, viel Geld für die Wahlwerbung und persönliches Prestige eingesetzt.

Jene, die auf dem ersten Ersatzplatz landen, können sich zumindest noch Hoffnungen machen, dass es im Verlauf der vierjährigen Legislatur zu Rücktritten kommt.

200 National- und 46 Ständeräte werden zwar am Wahltag oder im Fall der Ständeräte allenfalls nach einer Zusatzrunde ihre Wahlerfolge feiern. Aber auch für sie kommt nach einem kurzen emotionellen Höhenflug oft die Ernüchterung. Am Montag danach gilt es vorerst die berufliche Arbeit und das Familienleben neu zu organisieren, denn das Amt wird rund einen Drittel der Jahresarbeitszeit in Bern beanspruchen. Selten haben sich Neulinge gründlich auf ihr neues Amt im Detail vorbereitet. Sie machen sich falsche Hoffnungen und glauben, sie könnten nun frei wählen, in welcher Kommission sie mitreden können. Die Sitzzuteilung in den Kommissionen ist jedoch Sache der Fraktionsleitung, die zwar die beruflichen und politischen Sachkenntnisse und sogar die regionale Vielfalt berücksichtigt, aber letztlich nicht mehr Sitze verteilen kann als der Partei zustehen.

Wenn acht oder zehn Bauern in einer Partei glauben, sie könnten nun in der Wirtschafts- und Abgabenkommission gross auftrumpfen und ihre Interessen vertreten, dann werden sie feststellen, dass diese «Ehre» höchstens einem einzigen Bewerber zukommt.

Die Nichtberücksichtigten werden später höchstens als temporäre Ersatzleute bei einzelnen Geschäften mitwirken dürfen. Sie werden meistens in Kommissionen landen, in deren Thematik sie sich erst einarbeiten müssen. Erfahrungsgemäss sind nur rund die Hälfte der Gewählten bereit, sich tief in Dossiers einzuarbeiten, um zu Meinungsführern aufzusteigen. Sie müssen praktisch das Doppelte leisten und auch noch die Arbeit für die Hinterbänkler erledigen.

Welche Geschäfte wem übertragen werden, das bestimmt der parteieigene Gruppenchef innerhalb einer Kommission, ein Amt, das meistens den Bisherigen vorbehalten ist. Im ersten Jahr werden die Neulinge vor allem noch Geschäfte mit abarbeiten und übernehmen müssen, die ihre Vorgänger hinterlassen haben, bevor sie eigene Vorstösse lancieren können, die dann erst im zweiten oder dritten Amtsjahr, wenn überhaupt, behandelt werden.

Frust und Enttäuschungen stehen auch Gewählten bevor.