Als ich am Rande des Brics-Gipfels einen über achtzigjährigen amerikanischen Geopolitikanalysten traf, welcher in jungen Jahren für Richard Perle tätig war, fragte ich ihn, ob die Welt je gefährlicher gewesen sei.

Verglichen mit den Risiken, welche sich heute kumulieren, seien vergangene Kriege in Vietnam oder dem Nahen Osten lokale Ereignisse gewesen, sagte der erfahrene Mann. Die USA versuchten seit einigen Jahren, mit wirklich allen Mitteln ihren Untergang als Hegemon aufzuhalten. Brics sei ein weiterer Nagel im Sarg der USA. So gefährlich wie heute sei es auf der Welt noch nie gewesen.

Eine Antwort, die zum Nachdenken anregt und aufzeigt, in welch widrigem Umfeld sich das Brics-Bündnis entwickeln muss. Als sich Bric vom losen Gebilde 2009 zu Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) wandelte, sah die Welt noch komplett anders aus. Sie war friedlicher, und es gab weniger Sanktionen. Erst der Sanktionssturm gegen Russland und das Einfrieren russischer Vermögen und Zentralbankreserven gaben Brics die Initialzündung zu ihrer heutigen Bedeutung. Am 1. Januar dieses Jahres wurden der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und Ägypten als Vollmitglieder aufgenommen.

Die Zahlen zu Brics sind beeindruckend

Auch weitere Zahlen lassen aufhorchen. Brics steht für 39 Prozent der weltweiten Industrieproduktion, G-7 nur noch für 31 Prozent. Brics erzeugt 44 Prozent der globalen Weizenproduktion, die G-7 lediglich 19 Prozent. Brics produziert 54 Prozent des Reises, die G-7 2,4 Prozent. Neben Öl, Gas und Gold produziert Brics 74 Prozent des Aluminiums, die G-7 5 Prozent. Bei Palladium lauten die Werte 77 zu 7 zugunsten von Brics. Die Übermacht ist überwältigend.

Neue Mitglieder

Brics ist offen für neue Mitglieder, und die Liste der Interessenten zählt rund fünfzig Staaten. Neue Mitglieder wurden in Kasan jedoch keine aufgenommen. Juri Uschakow, Präsident Putins persönlicher Berater, liess verlauten, dass die Brics-Führung grünes Licht für dreizehn Staaten gegeben habe, die als Partner aufgenommen würden, ohne die Namen zu nennen, da mit diesen besprochen werden müsse, inwieweit sie für eine Vollmitgliedschaft oder einen anderen Brics-Status bereit seien. Die im Internet kursierenden Listen sind somit mit Vorsicht zu geniessen. Diese enthalten: Algerien, Weissrussland, Bolivien, Kuba, Indonesien, Kasachstan, Malaysia, Nigeria, Thailand, Türkei, Uganda, Usbekistan und Vietnam.

Bedingung für Partner oder Mitglieder ist, eine konsensuale Haltung gegenüber deren Mitgliedern und Partnern zu haben und auch zu leben. Sanktionierende Länder wie etwa auch die Schweiz sind ausgeschlossen. Für unser Land wäre ein Beitritt zu Brics eine grossartige Möglichkeit, in einer Vereinigung mitzuwirken, welche die Souveränität ihrer Mitglieder und Partner nicht in Frage stellt, ganz im Gegensatz zur EU oder zur Nato. Die übergrosse Nähe der Schweiz zur EU und zunehmend auch zur Nato ist mit dafür verantwortlich, dass wir unsere Neutralität verloren haben – unter tatkräftiger Mithilfe unserer Exekutive. Eine Konstellation, die die Schweiz als diplomatische Vermittlerin verunmöglicht hat und im Bankenbereich ebenfalls bereits negative Konsequenzen zeitigt.

Brics wird eine geopolitische Macht

Brics als Vereinigung ist heterogen, und die geopolitischen Risiken behindern ihre freie Entwicklung. Der Umstand, dass die neuen Partner noch nicht offiziell publiziert wurden, ist Zeugnis davon. Sicherheitsüberlegungen der Mitglieder, von denen sich bereits zwei im Krieg befinden (Russland und Iran), verwandeln diesen wirtschaftlichen Riesen gegen seinen Willen in eine geopolitische Grösse.
Abgesehen von den reinen Zahlen, die für sich selbst sprechen, möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Weltkarte richten. Dabei fällt auf, dass Brics-Mitglieder und -Aufnahmekandidaten viele wichtige Handelswege kontrollieren. Malaysia, das meines Erachtens als Partner und späteres Mitglied gesetzt ist, kontrolliert die Strasse von Malakka. Diese Meerenge verbindet den Indischen Ozean mit dem Pazifik. 30 Prozent aller globalen Handelswaren passieren diese Wasserstrasse. Ägypten kontrolliert den Suezkanal, durch den 12 Prozent des Welthandels geleitet werden. Durch die Meerenge von Hormus werden 21 Prozent des weltweit gehandelten Erdöls und 20 Prozent des weltweit gehandelten Erdgases transportiert. Das von Südafrika kontrollierte Horn von Afrika passieren 20 Prozent des Welthandels. Dabei haben wir noch gar nicht über den kürzesten, schnellsten und billigsten Seeweg von Asien nach Europa gesprochen: Der nördliche Seeweg von Europa nach Fernost, der sich vollständig unter russischer Kontrolle befindet. Eine solche Konzentration von Kontrolle über Handelsrouten hat es in der Weltgeschichte noch nie gegeben.

Brics sucht erfolgreich diplomatische Lösungen

Dass Frieden bei Brics keine Worthülse ist, zeigte sich bereits vor dem Beitritt des Irans und Saudi-Arabiens: China und Russland machten einen Frieden zwischen den beiden Streithähnen zur Bedingung für den Beitritt. Die Saudis und der Iran kündigten übrigens vor ein paar Tagen erste gemeinsame Militärübungen an. Die Unterschrift zum Beitritt hat Saudi-Arabien noch nicht geleistet, da es unter immensem Druck aus Washington steht und sich offensichtlich für den Fall des formellen Beitritts Sorgen um die Sicherheit seiner gigantischen Investitionen in Grossbritannien und den USA macht – wohl zu Recht. Indien und China, welche als Brics-Schwergewichte durchaus Differenzen haben, die in einen Krieg münden könnten, kündigten während des Gipfels an, dass man sich diplomatisch einigen werde. Mit diesen diplomatischen Erfolgen kann man Brics durchaus als Friedensstifter betrachten. Der Frieden in der Ukraine scheiterte bis dato nicht an den Russen. Istanbul 2022 ist ein Beleg dafür. Brasilien und China setzen sich mit einem neuen Plan für Frieden in der Ukraine ein. Die Schweiz steht dem Plan positiv gegenüber. Eine klare Richtungsänderung, weg vom Gipfel am Bürgenstock, der mit Frieden nichts zu tun hatte und bei dem sich die Schweiz auf den Schoss der Ukraine setzte.

Handelsabrechnungssystem

Das grösste wirtschaftliche Einzelprojekt von Brics und die Basis für eine tatsächlich eigenständige Entwicklung ist die Loslösung vom US-Dollar. Die Abkehr vom US-Dollar haben sich die USA selbst zuzuschreiben, da die Supermacht nach ihrem Gutdünken entschied, wer mit ihrer Währung handeln durfte und wessen Geld gesperrt oder beschlagnahmt wurde.

Diese Abkehr vom US-Dollar ist innerhalb von Brics bereits weit fortgeschritten. Die Partner handeln wann immer möglich untereinander in ihren Landeswährungen. China und Russland wickeln ihren bilateralen Handel bereits zu 95 Prozent in Rubel und Yuan ab. Dieses Zahlungssystem wird bald vereinfacht und integriert. Das letzte Problem ist die Glattstellung von Handelsüberschüssen beziehungsweise Defiziten. Die intensiven Gold- und auch Silberkäufe durch Brics-Mitglieder und nahestehende Staaten in den letzten Jahren weisen auf ein Abrechnungssystem hin, das auf diesen Edelmetallen beruht. Peking und Moskau, die über viel höhere Goldreserven verfügen als offiziell berichtet – man spricht von 25.000 beziehungsweise 12.000 Tonnen –, kaufen seit Jahren über zahlreiche Staatsfonds und staatliche Organisationen Gold und auch Silber. Man hält sich bedeckt.

Westliche Medien – UN-Generalsekretär Guterres

Das pathologische Desinteresse der westlichen Medien steht im Kontrast zum Besuch von UN-Generalsekretär António Guterres. Im Medienzentrum in Kasan war die Stimmung mit positiver Energie geladen. Afrikaner, Asiaten und Europäer aus über 50 Staaten tauschten sich freundschaftlich und interessiert aus. Die einzigen versteinerten Gesichter konnten problemlos den Kollegen aus Deutschland, England und den USA zugeordnet werden. Diese stellten an den Pressekonferenzen ausschliesslich Fragen zum Ukraine-Konflikt und zeigten keinerlei Interesse an Brics, was bei den internationalen Kollegen zu einiger Erheiterung führte. Die NZZ, welche sich einen Korrespondenten in Moskau leistet, verzichtete auf eine Teilnahme und liess ihren Korrespondenten in Bern einen kurzen, lakonischen Bericht verfassen.
Der Besuch von UN-Generalsekretär Guterres ist ein Zeichen dafür, dass er Brics nicht nur ernst nimmt, sondern den multipolaren Weg unterstützt. Ein mutiger Entscheid, nachdem er aufgrund seiner Kritik an Israel von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zur Persona non grata erklärt wurde und von westlichen Medien für seinen Besuch in Kasan als Verräter porträtiert wird.

Brics wird sich weiterentwickeln. Der Westen täte gut daran, das Gespräch und Kooperationen zu suchen, anstatt abschätzig über einen Riesen zu urteilen, der die G-7 bereits weit überstrahlt. Brics baut eine multipolare Welt für alle – der Westen baut eine Mauer.

Peter Hänseler ist der Herausgeber von Voicefromrussia.ch