Es dämmerte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erst ganz langsam, dass seine Kabinettskollegen den Ernst der Lage schlicht nicht begriffen hatten.

Am vergangenen Mittwoch hatte das Bundesverfassungsgericht der Ampel-Regierung untersagt, Gelder in Höhe von sechzig Milliarden Euro aus einem Corona-Nothilfe-Fonds einfach für dies und das umzuwidmen, und am gestrigen Montag versprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) beim grossen Afrika-Gipfel in Berlin den Gästen vier Milliarden Euro für Entwicklungshilfe in den kommenden Jahren.

Etwas später am Tag war Scholz dann beim Digital-Gipfel der Bundesregierung in Thüringen und erklärte auf offener Bühne, dass die Bundesregierung selbstverständlich zu ihrer Zusage stehe, zehn Milliarden Subventionen für eine geplante Chipfabrik in Sachsen-Anhalt zu zahlen.

Die machen einfach so weiter, dürfte sich der Finanzminister im Laufe des späteren Montags gedacht haben, und zog die Notbremse: Haushaltssperre für alle Ressorts, laufende und bereits verbindlich zugesagte Projekte ausgenommen.

Die Ampellisten haben den Schuss aus Karlsruhe nicht gehört. Wer sich die Reaktionen der Koalitionsspitzen vor allem von Grünen und SPD ansieht, begreift schnell, dass die Bundesregierung neben der Haushaltsnotlage auch unter einer intellektuellen leidet: Dass auch die hehrsten und bestgemeinten Ziele grüner Politik der Endlichkeit finanzieller Mittel unterworfen sind, ist in den Köpfen vieler Ampel-Grossköpfe schlicht nicht vorstellbar. Schlimmer noch: Es ist in den Augen von Grünen und Sozialdemokraten auch nicht zulässig und akzeptabel.

Und so geistern wahlweise Vorschläge durch das politische Berlin, die Schuldenbremse ganz abzuschaffen oder einfach eine neue Notlage auszurufen, die zu neuen Schulden berechtigt, wie etwa SPD-Chefin Saskia Esken laut überlegte. Einzig die verrückte Idee, die Pläne für «Klima-Transformation und Wirtschaftsstabilisierung» so weit zusammenzustreichen oder zu strecken, bis das vorhandene Geld reicht, ist völlig undenkbar.

Und auch der ökonomische Sachverstand ist in der Ampel-Regierung leider eher ungleich und alles andere als auskömmlich verteilt. So erklärt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die vom Gericht in Karlsruhe liquidierten Fonds einfach zu unerlässlichen Zukunftsinvestitionen, deren Ausbleiben Deutschland noch tiefer in die Rezession stürzen würde.

Offenbar hat niemand dem Minister gesagt, dass «Geld ausgeben» kein Synonym für «Investitionen» ist. Gut fünfzehn Milliarden kreditfinanzierte Euro möchte Habeck beispielsweise für das Heruntersubventionieren von Strom und Gas benutzen, was mit Investitionen aber auch rein gar nichts zu tun hat, sondern lupenreine Konsumption und Verzehr von Zukunft künftiger Generationen ist.

Die Zeit des Tricksens und Täuschens ist längst nicht vorbei. Die Weltrettung der Grünen darf in deren Wahrnehmung nicht am Geld scheitern.

Oder um es (leicht abgewandelt) mit Wladimir Iljitsch Lenin zu sagen: «Die Lehre von uns ist allmächtig, weil sie wahr ist. Sie ist in sich geschlossen und harmonisch, sie gibt den Menschen eine einheitliche Weltanschauung …»

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.