Dieses Interview erschien erstmals in der Ausgabe vom 12. Februar 2025.

Christoph Blocher ist 84-jährig, der Rücken leicht gebückt, auch ihn plagt ein hartnäckiger Husten. Aber seine Augen sind hellwach. In den vergangenen Wochen, als nach dem Rücktritt von VBS-Chefin Viola Amherd ein Mitte-Kandidat nach dem anderen absagte, hat er ihn immer lauter gehört, den Ruf, selbst in die Hosen zu steigen, den Auftrag, die Schweizer Armee zu sanieren.

Das einzig Verblüffende an der Idee des Altbundesrats und SVP-Doyens, nochmals die Schweiz mitzuregieren, ist der Umstand, dass er es – im Gegensatz zu manch einem, der als papabile gehandelt wurde – wohl immer noch könnte. Seine Lust, mitzudenken und mitzugestalten, ist raumfüllend. Herr Oberst, das Aufnahmegerät läuft.

 

Weltwoche: Christoph Blocher, wenn Sie am 12. März als Bundesrat gewählt würden, würden Sie die Wahl annehmen?

Christoph Blocher: Ja.

 

Weltwoche: Ja?

Blocher: Ja, ich würde mir das Amt zutrauen.

 

Weltwoche: Sie sind 84 Jahre alt …

Blocher: … und damit nur sechs Jahre älter als Donald Trump. Mich würde vor allem das VBS reizen, das Departement, das in den letzten Jahren am meisten heruntergewirtschaftet wurde. Es hat es am nötigsten.

 

Weltwoche: Seit dem Mauerfall vor über dreissig Jahren wird die Schweizer Armee abgerüstet. Geführt wurde das VBS in dieser Zeit vor allem von ganzen und halben SVP-Bundesräten.

Blocher: Stimmt, auch unsere Leute waren gegen den Zeitgeist nicht gefeit. Ueli Maurer war der Erste, der dann versuchte, Gegensteuer zu geben.

 

Weltwoche: Dessen Ziel, aus der Schweizer Armee die beste der Welt zu machen, wird bis heute belächelt. Dabei muss doch genau das der Anspruch einer jeden Armee sein.

Blocher: Selbstverständlich. Die Schweizer Armee muss nicht die beste sein im Vergleich zu allen anderen der Welt, sondern die beste der Welt in Bezug auf die Verteidigung der Schweiz. Ueli Maurer hat es geschafft, nach Jahren des Abbaus das Armeebudget wieder zu erhöhen. Und Guy Parmelin hat seine persönlichen Präferenzen zum Wohl der Armee geopfert.

 

Weltwoche: Wie das?

Blocher: Nach Amherds Wahl in den Bundesrat haben wir Parmelin gebeten, ihr und der CVP das VBS zu überlassen, damit der Kredit für die neuen Kampfjets beim Volk durchkommt. Die Niederlage beim Gripen hatte gezeigt, dass die Gegenwehr zu gross wird, wenn bei teuren Rüstungsgeschäften die SVP in der Führungsrolle ist. Ich rechne es Parmelin hoch an, dass er damals zum Wohl der Armee mitgemacht hat. Er wäre gerne im VBS geblieben.

 

Weltwoche: Schwierig war Ihr Verhältnis zu Adolf Ogi, der als VBS-Chef Ende der 1990er Jahre die Annäherung an die Nato initiierte.

Blocher: Nach dem Untergang der Sowjetunion wollte Ogi die Schweiz mit dem Programm «Partnerschaft für den Frieden» an die Nato anhängen. Er war nicht nur Mitläufer, sondern Antreiber dieses Sündenfalls. Wir hatten heftige Auseinandersetzungen, weil ich diesen Weg schon damals für falsch hielt. Es ging aber nicht um Ogi, Blocher oder die SVP, sondern um die Schweiz. Ich glaube, auch deshalb hat Ogi – allen Verwerfungen zum Trotz – nie die Partei gewechselt.

 

Weltwoche: Wenn nun das VBS wieder zurück an die SVP und in Ihre Hände gelangte, was würden Sie als Erstes tun?

Blocher: Bei null anfangen.

 

Weltwoche: Bei null?

Blocher: Als Allererstes würde ich dafür schauen, dass jeder Soldat das Material hat, das er braucht: Uniform, Schuhe, Gamaschen, Schutzwesten. Wir schwadronieren über Cyber-Abwehr und nehmen an Nato-Übungen teil, aber sind nicht fähig, unser gesamtes Heer mit dem Basismaterial auszurüsten. Ich besuchte jüngst einen WK von Panzergrenadieren. Der halbe Verband war gar nicht da, dispensiert, und sie hatten nicht einen einzigen Panzer, um zu üben. Alle seien defekt.

 

Weltwoche: Befürworter der Armee XXI sagten immer, die Zeiten, als sich hinter jedem Baum ein Soldat befand, seien vorbei.

Blocher: Diese Zeiten hat es nie gegeben. Aber: Zu allen Zeiten braucht es gutausgerüstete Soldaten. Und diese Soldaten müssen mobilisiert werden können. Ich würde mich im Bundesrat sofort dafür einsetzen, dass man den Soldaten wieder Munition mit nach Hause gibt.

 

Weltwoche: Schnelle Mobilisierung von möglichst vielen Soldaten, die im Ernstfall einrücken: Wollen Sie die Armee 61 zurück, jene sehr stark in Politik und Wirtschaft verankerte Milizarmee, die während des Kalten Kriegs für eine glaubwürdige Verteidigung stand?

Blocher: Eine verteidigungsfähige Armee zu haben, ist existenziell. Damit die Kriegsgefahr stark gemindert wird, ist die dauernde, bewaffnete und integrale Neutralität Voraussetzung. Aber 80 Prozent im VBS sind heute dafür, sich der Nato anzuschliessen.

 

Weltwoche: Zumindest die Noch-Führung unter Bundesrätin Amherd. Die sicherheitspolitische Strategie 2025 geht klar in diese Richtung. Die Zusammenarbeit mit der Nato ist dort einer von zwei Schwerpunkten.

Blocher: Ich kann Amherd ein Stück weit verstehen. Es ist natürlich viel bequemer, sich hinter der Nato zu verstecken, statt das VBS und die Armee wieder auf Vordermann zu bringen. Aber auch viel riskanter. Wenn wir uns an die Nato ketten, drohen wir in Kriege hineingezogen zu werden. Diese Selbstaufgabe ist wie eine vorauseilende Kapitulation, dann könnten wir Trump gleich ein Angebot machen, die Schweiz zu kaufen.

 

Weltwoche: Nach dem Angriff der Russen auf die Ukraine hat der Bundesrat die Neutralität stark beschädigt, etwa durch die Übernahme der Sanktionen, die Durchführung der parteiischen Bürgenstock-Konferenz, die vielen Verbrüderungsgesten mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Ist es bereits zu spät, die Neutralität zu reparieren?

Blocher: Nein, sie ist noch zu retten, beispielsweise mit der Annahme der Neutralitätsinitiative, mit der die schweizerische Neutralität auf Verfassungsebene definiert wird. Die Neutralität hat nebst der sicherheitspolitischen auch eine staatspolitische Dimension. Als strikt neutraler Staat können unsere Firmen mit Ländern aus allen Machtblöcken handeln. Dieses Alleinstellungsmerkmal der Stabilität wird in so bewegten, instabilen Zeiten noch wichtiger.

 

Weltwoche: Wenn Sie VBS-Chef würden, müssten Sie rund ein halbes Dutzend unsichere Rüstungsprojekte im Wert von neunzehn Milliarden Franken retten. Ein Unternehmer könnte sich derartige Unsicherheiten gar nicht leisten.

Blocher: Nachdem ich 2003 in den Bundesrat gewählt worden war, musste ich mich um ein teures IT-System für den Ausländer- und Asylbereich kümmern, es hiess «Ausländer 2000» und hätte – wie der Namen vermuten lässt – schon im Jahr 2000 laufen sollen. Die Kostenüberschreitungen waren horrend. Mit meinem Generalsekretär haben wir es dann innerhalb von einem Jahr mit rudimentären Managementprinzipien implementiert – Verantwortlichkeiten klären, Kostenkontrolle, in die Details gehen, ganz normale Projektarbeit. Das ist bei der Rüstungsbeschaffung gleich.

 

Weltwoche: Sie haben damals als Bundesrat auch versucht, nicht nur in Ihrem Departement, sondern in der ganzen Bundesverwaltung, 30 Prozent der Verwaltungskosten einzusparen.

Blocher: Ich habe meinen Kollegen zu Beginn der Legislatur vorgeschlagen: Fortjagen können sie uns nicht, es geht noch ganze vier Jahre, bis wir wiedergewählt werden müssen, lasst uns sparen. Der Entscheid fiel einstimmig. Erst als er an die Medien geleakt wurde, haben sich die Kollegen wieder distanziert.

 

Weltwoche: Die Subventionen für Schweiz Tourismus wollten Sie auf einen Franken senken. Sie waren Javier Milei und Elon Musk weit voraus.

Blocher: Als Unternehmer war ich es immer gewohnt, dorthin zu gehen und einzugreifen, wo es einem selbst weh tut, nicht dorthin, wo es am schönsten ist oder wo man leichter Karriere machen kann. Angesichts der vielen Absagen in der Mitte hätte ich mich zur Verfügung gestellt, das VBS vorübergehend zu übernehmen und es zu sanieren. Keine Angst, den Anspruch der Mitte auf einen Sitz im Bundesrat stelle ich nicht in Frage, ich hätte der Partei das VBS bei der Gesamterneuerungswahl wieder überlassen.

 

Weltwoche: Amherd wurde im VBS nicht glücklich, viele mögliche Nachfolger wollten plötzlich nicht. Müssten die Bundesratswahlen dahingehend geändert werden, dass man sich für spezifische Departemente bewirbt?

Blocher: Nein, es reicht, wenn die Parteien versuchen, richtige Führungspersönlichkeiten nachzuziehen. Dafür braucht es keine Managerkurse. Sie müssen schauen, wer warum Bundesrat werden will. Auf das Motiv kommt es an. Aus einem guten Motiv heraus entsteht praktisch nie etwas Schlechtes. Aus einem schlechten Motiv heraus gibt es praktisch nie etwas Gutes.

 

Weltwoche: Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy sagte, Bundesrat sei ein 200-Prozent-Job. Ist das so?

Blocher: Es ist ein überschaubarer 100-Prozent-Job. Ich hatte es in meinem Berufsleben nie so gemütlich wie in meiner Zeit im Bundesrat.