«Lebt denn der alte Ost-Michel noch», möchte man mit einem ehemals dauerbrennenden Schunkel-Hit («Holzmichel») der Combo «De Randfichten» fragen und bierselig die Antwort grölen: «Jaaaaa – er lebt noch! Er lebt noch, lebt noch…»
Wer sich die Wahlkarte nach der Bundestagswahl angesehen hat, konnte die längst untergegangene DDR leicht wiederfinden: Der einstmals rote Osten ist blau geworden. AfD-blau.
Doch woher kommt die seltsame Renitenz des Ostens, die frustrierte Westler schon mal zu dem Ausruf verleitet, sie wollten ihr Begrüssungsgeld (100 D-Mark für jeden DDR-Bürger nach dem Mauerfall) zurück?
Für die Antwort muss man zunächst den Augenschein erst einmal relativieren: Die blauen Wahlkreise markieren die AfD-Gewinne bei den Erststimmen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die AfD im Westen durchschnittlich ebenfalls rund 20 Prozent geholt hat, in vielen ehemaligen Arbeiter-Hochburgen vorn liegt und beispielsweise in Hessen zweitstärkste Kraft im Landtag ist.
Der alte «Ost-Michel» ist in seinen Parteibindungen lediglich weniger gefestigt, nennen die Parteienforscher als einen Grund. Der allerdings zieht auch nur begrenzt, wenn man bedenkt, dass Länder wie Sachsen oder Brandenburg seit der Wende nahezu durchweg in der Hand von Union bzw. SPD waren.
Da ist schon viel Treue vorhanden, wenn die Parteien denn liefern. Soziologen gehen zudem der These nach, dass die «Selbstwirksamkeitserfahrung», im Zuge der Wende durch massenhafte Ausreise und Demonstrationen («Wir sind das Volk!») ein System zum Einsturz gebracht zu haben, für die aktuelle Anti-Haltung und die AfD-Affinität verantwortlich sein könnte. Motto: Wir haben uns damals nicht kleinkriegen lassen, und werden es heute auch nicht.
Schliesslich feierte auch die ehemalige SED/PDS/Linke in den 1990er Jahren im Osten Dauererfolge als Kontrakraft gegen die etablierten Parteien der alten Bundesrepublik. Wenn der Ossi unzufrieden ist, spielt er nicht mehr mit.
Hinzu kommen soziale Erklärungsmuster, die mit geringeren Durchschnittslöhnen und geringerer Repräsentanz in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spitzenpositionen argumentieren. An all diesen Dingen mag etwas dran sein.
Hinzu kommt aber auch eine Diktatur-Erfahrung, die sich interessanterweise auch auf Nachwende-Generationen im Osten zu vererben scheint und die ein sehr feines und waches Sensorium für Bevormundung, politischen Dünkel und lebensweltlichen Unsinn hinterlassen zu haben scheint.
Wenn etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärt, die Lage sei gut, nur die Zahlen der Wirtschaft seien schlecht, dann muss man unter Ossis nichts mehr sagen. Ein wissendes Grinsen, und alle denken an die sozialistischen Wolkenkuckucksheime des SED-Politbüros.
Auch «Meldestellen» für irgendwelche anti-queeren, anti-feministischen oder sonstige anti-Dinge «unterhalb der Strafbarkeitsgrenze» haben im stasigeübten Osten einen hohen Wiedererkennungswert.
Und wenn dann noch Geschlechtswechsel per Wunsch, «feministische Aussenpolitik» oder Kiffer-freundliche Drogengesetze hinzukommen, weiss man im pragmatischen, mangelwirtschaftsgeprägten Heimwerker-Osten, dass dekadente West-Fuzzis sich in ihrer Scheinwelt austoben und man damit nichts zu tun haben will.
Fakt ist, dass bislang alle Versuche, dem Osten das Anti auszutreiben gescheitert sind. Weder Ignorieren der AfD, aggressives Attackieren, mediale Dauerbeschimpfung oder Verbotsversuche konnten den Trotz der Ostdeutschen brechen. Die nächsten Jahre werden allerdings zeigen, ob die AfD-Affinität tatsächlich eine Art Sondersozialisierung Ost bleiben wird oder die Partei von Alice Weidel zu einer gesamtdeutschen Projektionsfläche für das Abstrafen des etablierten Politikbetriebs wird. Die Queren um die sich anbahnende Schwarz-Rote Koalition in Berlin lässt Letzteres zumindest nicht unwahrscheinlich erscheinen.
Ralf Schuler war mehr als zehn Jahre Leiter der Parlamentsredaktion von Bild und ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS. Er betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch „Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens“ ist im Fontis Verlag, Basel erschienen.
Die AfD ist auch nicht antirussisch unterwegs.In der DDR gab es die Deutsch - Russische Aussöhnung welche für ganz Deutschland nie umgesetzt wurde.Woher rührt die feindliche Haftung hier im Westen? Fehlende zwischenmenschliche Beziehungen, Kultur, Essen und Sprache mit Interesse für Land und Leute! ? Unter der Decke gehaltenen Lästerungen am Wahlergebnis gegen Deutsche mit russischer Muttersprache sagt alles hier im Westen! Sowjetunion für viele hier gleich alle Staaten des RGW ...Keine Ahnung!
"Diese Wahl ist auch ein Aufstand der Ostdeutschen für die Demokratie"? Volle Zustimmung! Der Aufstand wird auch auf den Rest Deutschlands übergreifen, das ist inzwischen klar zu erkennen. Deshalb auch die Panik bei SPD/GRÜNE/LINKE. Mann muss es doch ganz offen sagen, ohne die "undemokratische" Brandmauer wären diese Sekten bereits "zurecht" erledigt. Mann muss sich doch nur Ansehen was die linken Politikversager ja fast schon täglich für ein Theater in D-Land aufführen.
Nach über 35 Jahren Mauerfall, friedlicher Revolution und dem Versuch, uns anzunähern, muss ich schmerzvoll feststellen, dass der Westdeutsche nichts gelernt hat. Ich bezweifle, dass er nicht zuhört, wenn wir von „damals“ erzählen, warum wir auf die Straßen gegangen sind und dass wir die Roten Bonzen verjagt haben, damit wir zukünftig Ruhe vor ihnen haben. Und jetzt? Was passiert jetzt? Merkt ihr Wessis eigentlich überhaupt nicht, dass ihr uns ins Gesicht spuckt? Ihr solltet euch was schämen.