Wenn die Deutschen säubern, säubern sie richtig. Es gibt nicht viele Nationen auf dieser Welt, die vor den Kunstklassikern und Kulturhelden ihrer jüngsten Geschichte warnen. Das Schauspiel, das sich dieser Tage in der ARD-Mediathek abspielt, ist so bizarr, dass es Aussenstehenden kaum zu erklären ist.

Erst wurde lediglich Deutschlands Komik-Gott Otto mit einem Warnhinweis belegt: «Das folgende Programm wird als Bestandteil der Fernsehgeschichte in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.»

Dann traf es auch Late-Night-Legende Harald Schmidt und wenig später den Allzeit-Liebling der «Tatort»-Krimis Götz George alias Ruhrpott-Rambo Horst Schimanski.

Inzwischen muss in den Reihen des Westdeutschen Rundfunks (WDR, genannt «Rotfunk») eine wahre Raserei ausgebrochen sein. Der aktuell beliebteste «Tatort» aus Münster wird künftig um den Spitznamen «Alberich» für die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch bereinigt, die damit erklärtermassen keine Probleme hatte. «Ein Herz und eine Seele», «Ekel Alfred», selbst Jules Vernes Klassiker «Reise um die Erde in 80 Tagen» gibt’s nur noch mit Warnung vor vermeintlicher Diskriminierung.

Stalin liess seine Kritiker aus historischen Fotos schneiden, die Deutschen toben sich an ihren Künstlern aus – als kleine Kompensation dafür, dass sie zwölf Jahre Hitler und Holocaust nicht mehr nachträglich revidieren können. Die Botschaft ist klar: Schämt euch, Landsleute! Worüber ihr noch eben gelacht und gefeiert, ist heute schon Schimpf und Schande.

Unerheblich, dass niemand die wütenden Kulturwarte ermächtigt hat, ihren Schmalgeist zum Massstab der Kunstarchive zu machen, der kulturrevolutionäre Furor ist sich seiner Allgewalt gewiss. Schon ist «umstritten» und verfemt, was gestern noch mit Preisen bedacht wurde: Astrid Lindgrens «Pippi Langstrumpf» wird um böse Worte bereinigt, Comic-Klassiker «Tim und Struppi» oder die Hörspiel-Highlights «Die drei ???» gibt’s nur noch in der Meister-Proper-Variante.

Denn auch das versteht sich von selbst: Der Bürger selbst ist längst nicht mehr mündig und könnte den ausgereichten Zeitgeist unter dem Eindruck zersetzend unkorrekter Kunst anzweifeln. Wo kämen wir da hin, wenn jeder selbst dächte und sich sein Urteil machte!

Und zu all dem finsteren Treiben, das sei ausdrücklich angemerkt, sagen die in den deutschen Rundfunkräten versammelten Vertreter von Parteien und gesellschaftlichen Kräften nichts, gebieten nicht Einhalt dem bilderstürmenden Mob, der über Nacht Klassiker zu intellektuellem Gefahrgut erklärt, das – wenn überhaupt – nur zu konsumieren ist, wenn man mutwillig den erhobenen Zeigefinger beiseitegeschoben hat und sich der intellektuellen Kumpanei mit todbringenden Teerlungen schuldig macht wie der unbelehrbare Käufer tabakhaltiger Genussmittel.

Ein böser Albtraum das alles? Selten waren Albträume beliebter als heute. Immerhin enden sie irgendwann.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.