Es war kein Bluff, als mir die Sportschützin Chiara Leone ankündete: «Ich versuche, den Olympiasieg in die Schweiz zu holen». Vier Wochen später macht die Zeitsoldatin ihr Versprechen wahr, schoss am 2. August olympischen Rekord und gewann die Goldmedaille im Dreistellungsmatch. Der Triumph der Fricktalerin ist das Resultat helvetischer Tugenden: Fleiss, Ehrgeiz und Bescheidenheit – auch in einer Randsportart lohnt sich unermüdlicher Einsatz und Zielstrebigkeit.

Der Absolventin der Sportabteilung an der Kantonsschule Aarau wäre mit ihrer hervorragenden Matura auch eine lukrative akademische Karriere sicher gewesen. Allein: Die Tochter eines italienischstämmigen Vaters und einer Schweizerin wollte nur eines, seitdem sie mit acht Jahren in der Regionalen Schiessanlage Schlauen bei Frick erste Bekanntschaft mit Kimme und Korn machen: Schiessen. Schuss um Schuss. Egal, was das Leben sonst noch zu bieten hätte.

Mit 16, im nationalen Nachwuchskader und Schülerin an der Sportabteilung der Alten Kantonsschule Aarau, fuhr sie dreimal die Woche mit dem öV zum Training nach Schwadernau bei Biel und verinnerlichte die Eigenschaften einer Spitzensportlerin: Talent, Ehrgeiz, Lernvermögen, Fleiss – und Demut.

Als wir uns genau vier Wochen vor ihrem Olympiasieg zur Aufnahme eines Podcast trafen, war die neugekürte Europameisterin die Ruhe selbst, fokussiert, schon ein bisschen im Tunnel der Vorbereitung, gleichsam unerhört präsent und wach und doch stets in der Lage, die Nebensächlichkeiten wegzublenden, die sie auf ihrem Weg zum Triumph hätten stören können.

Dass ihre Eltern in einem 1200 Kilometer langen 14-stündigen Husarenritt ihre vergessene Sporttasche an die Europameisterschafte Ende Mai ins kroatische Osijek ankarrten, dass sie dort dann auch noch Akkuprobleme beim Sportgerät in aller Seelenruhe wegsteckte: Leone liess sich von derlei «Nebensächlichkeiten» schon lange zuvor nicht mehr stören: Athletisch als begeisterte Hobby-Fussballgoalie eh schon topfit, holte sie sich auch mental das Rüstzeug – und ordnete ihrem Sport alles andere unter.

Dass sie an den Olympischen Spielen 2024 einen Tag nach dem Schweizer Nationalfeiertag in letzter Minute alles klar machte, ist ebenso typisch: Mit ihrem letzten Schuss, einer 10,8, trifft sie praktisch ins Zentrum und macht wahr, was sie vor ihrer Abreise gesagt hatte: «Ich kann unter Druck noch eine Schippe drauflegen. Ich bin der Wettkampf-Typ. Ich finde dort den Extra-Gang.»

Vergessen war in diesem Moment das Probeschiessen, bei dem sie keine einzige 10 hinbekam und dessen Ergebnis manche Sportlerin total aus der Bahn geworfen hätte. Sie aber blieb cool. «Ich wusste: Ich brauche einfach noch Zeit.»

Oder andersrum: Die Ruhe vor dem Sturm, der nun beginnt.