In Deutschland sind Wirtschaft und Klima Familiensache. Das geht manchmal schief, wie jetzt gerade: Im Ministerium des grünen Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck sitzt mit Staatssekretär Patrick Graichen ein Mann mit viel Familiensinn. Er war vor seiner Zeit in Habecks Haus Chef der grünen Denkfabrik Agora Energiewende. Seine Schwester Verena Graichen ist stellvertretende Vorsitzende des Umweltverbandes Bund in Berlin und arbeitet als «Senior Researcherin» beim Öko-Institut, das das Ministerium in Klimafragen berät. Verena Graichens Mann wiederum ist ebenfalls Staatssekretär unter Habeck und heisst Michael Kellner. Habeck ist übrigens der einzige Minister in der Regierung, der gleich sieben gutbezahlte Staatssekretäre braucht. Auch Patrick Graichens Bruder Jakob ist «Senior Researcher» beim Öko-Institut und hat zuletzt die Studie «Energie- und Klimaschutzprojektionen 2035/2050» mit verfasst – im Auftrag des Ministeriums.

Lobby-Studien vom Trauzeugen

All dies sorgt in der Behörde bereits unter dem Stichwort «Graichen-Clan» für Gesprächsstoff, wobei eine Sprecherin feststellt, dass an der Familienkonstruktion an sich nichts Verbotenes dran sei. Patrick Graichen dachte sich deswegen jüngst auch nichts dabei, die Familienbande auszubauen. Er liess einen guten Freund Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena) werden, die sich als Wegbereiterin der Energiewende der Bundesregierung sieht. Die Energie-Agentur teilte Anfang letzten Monats mit, Michael Schäfer zu ihrem neuen Co-Chef zu machen. Schäfer war zuvor unter anderem Mitglied der Geschäftsleitung des Naturschutzbundes Deutschland und sass für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Warum die Energie-Agentur auf einmal zwei Chefs braucht, bleibt unklar. Klar ist aber, dass Schäfer Graichens Trauzeuge ist und der Staatssekretär in jener Kommission sass, die den neuen Kandidaten für den Spitzenposten auswählte.

Klar ist auch: Alle drei grünen Lobbyorganisationen – Agora Energiewende, Deutsche Energie-Agentur und Öko-Institut – haben in den vergangenen Monaten mit Studien und Veranstaltungen dafür getrommelt, dass sich auf dem deutschen Heizungsmarkt Grundlegendes verändert. Statt mit Gas und Öl soll künftig mit der Uralttechnologie einer strombetriebenen Wärmepumpe das Haus geheizt werden. Das Zürcher Rathaus war 1938 das erste grössere Gebäude, das auf diese Technologie setzte. «Durchbruch für die Wärmepumpe» nennt sich eine Publikation der Agora Energiewende dazu.

Genau dieser Durchbruch vollzieht sich, seitdem der «Graichen-Clan» die Macht im Hause Habeck hat: Das Ministerium bereitet ein Gesetz vor, das Gasheizungen verbietet und so formuliert ist, dass fast nur Wärmepumpen als Alternative in Frage kommen. Es zwingt Hausbesitzer in den nächsten Jahren zur Umrüstung, koste es, was es wolle. In ihrer Regelungswut erzeugen die Graichens irrwitzige Ideen: So müssen Heizungsmonteure künftig nach dem Alter ihrer Auftraggeber fragen. Denn wer achtzig Jahre und älter ist, darf seine Gasheizung noch bis ans Lebensende behalten.

Unterm Strich entsteht für Handwerker und Heizungshersteller ein neuer Markt, den Experten in Deutschland mit etwa 75 Milliarden Euro beziffern. Schon jetzt stehen Kunden Schlange, und die Lieferzeiten für Wärmepumpen erinnern an die von Trabis in der ehemaligen DDR: Wer unter einem Jahr Liefer- und Einbauzeit eine bekommt, kann sich als Gewinner fühlen. Das Geschäft blüht, weswegen Habeck, die Graichens und auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) in schwachen Augenblicken vom neuen deutschen Wirtschaftswunder träumen. Der Umbau der Energieversorgung solle Wohlstand für alle bringen, sagt der Kanzler und lässt Erinnerungen an Wachstumsraten wie in den fünfziger Jahren wach werden.

«Die Grünen sind der politische Arm internationaler Finanzakteure», schimpft AfD-Politikerin von Storch.

Die Wirtschaftsakteure allerdings lassen sich dann doch nicht so genau steuern, wie Graichen und Co. das geplant haben. Das wurde in der vergangenen Woche deutlich, als eines der grössten deutschen Familienunternehmen bekanntgab, dass es sein Kerngeschäft – ausgerechnet dasjenige mit den Heizungen – in die USA verkaufe. Viessmann, mehr als hundert Jahre alt, gross geworden mit Produkten, die in Millionen Kellern stehen und in ebenso vielen Häusern für Wärme sorgen, ein Unternehmen, das den Umbau von Öl- und Gasheizungen auf Wärmepumpen in Deutschland entscheidend voranbringen soll, eine Firma mit 14.500 Mitarbeitern und vier Milliarden Euro Umsatz, verkauft seine Heizungssparte an den etwa viermal grösseren US-Konzern Carrier Global für zwölf Milliarden Euro.

Die Begründung liegt in der Erkenntnis, dass die Deutschen zwar zu Hause ein Riese sind, im internationalen Vergleich aber ein Zwerg. Viessmann sieht einen harten Konkurrenzkampf auf sich zukommen, an dessen Ende möglicherweise nicht mehr viel zu verkaufen sein könnte. Ausserdem zieht der 34-jährige Max Viessmann in den Aufsichtsrat des US-Konzerns ein. Carrier Global wiederum verschafft sich jetzt einen grossen Anteil im deutschen Wärmepumpenmarkt.

Industrie verzweifelt

Das von den Grünen entworfene Energiewende-Wirtschaftswunder – es bröckelt mit dem Viessmann-Verkauf jedoch weiter vor sich hin: Der erste Stein fiel heraus, als die deutsche Solarindustrie nach Auslaufen der Förderung zusammenbrach und der chinesischen weichen musste. Der zweite Stein überstand den Sturm des Wettbewerbs nicht, als auch der letzte Windanlagenhersteller seine Produktion in Deutschland dichtmachte und sich in den bezüglich Arbeitskosten günstigeren Osten verzog. Pure Verzweiflung herrscht längst bei den Automobilzulieferern, die wegen des Verbrennerverbots keine Kolben, keine Kühler und keine Benzinpumpen mehr herstellen. Und nun sieht es ganz so aus, als wiederhole sich das Trauerspiel bei den Heizungsbauern. Scholz, Habeck, Graichen und Co. schlagen hart auf dem Boden wirtschaftlicher Tatsachen auf, in diesem Fall global agierender Konzerne. Sie müssen erkennen: Nationale Wirtschaftswunder sind in nicht allzu grossen Staaten wie Deutschland selten.

Zu viel Familiensinn im Ministerium, zu wenig beim Familienunternehmen Viessmann – die Opposition verdiente ihren Namen nicht, wenn sie das nicht auf den Plan riefe. Allerdings geht auch das manchmal schief. So schritt eine der AfD-Galionsfiguren, Beatrix von Storch, in der vergangenen Woche ans Rednerpult im Bundestag und hielt eine schwungvolle Rede über die Verstrickungen der Graichen-Familie und grüner Lobbyorganisationen mit den Milliardären dieser Welt, was in sozialen Medien ruck, zuck die Runde machte.

Einer dieser Milliardäre ist Chris Hohn, ein britischer Investmentbanker, dessen Spezialität es ist, als störrischer Grossaktionär Unternehmen auf mehr Rendite zu trimmen. Manche Vorstände hassen ihn dafür, manche Aktionäre lieben ihn. Seinen Hedge-Fund nennt er The Children’s Investment Fund, weil er mit dem Geld, das er da verdient, auch Waisenkinder in Afrika und Klimalobbyisten unterstützt. Tatsächlich landet möglicherweise um drei Ecken ein Miniteil des hohnschen Vermögens bei der Agora Energiewende. Ein anderer dieser Milliardäre ist Larry Fink, Gründer des grössten Vermögensverwalters der Welt mit Namen Blackrock.

Das Geld von Blackrock steckt auch im Viessmann-Käufer Carrier Global, worin von Storch einen weiteren Beleg dafür sieht, dass sich Milliardäre jetzt mit grüner Hilfe auch den deutschen Mittelstand unter den Nagel reissen. «Die Grünen sind der politische Arm internationaler Finanzakteure», schimpft die AfD-Politikerin. Was sie nicht wahrhaben will: Allein Blackrock ist direkt in 33 der 40 Dax-Konzerne, also der deutschen Topbörsenwerte, investiert. Das haben die Amerikaner ganz ohne Hilfe der Grünen geschafft. In Wahrheit gehört weder investigative Recherche noch besonders viel Mathematik dazu, um sich auszurechnen: Wenn es so ist, wie es ist, dass nämlich ziemlich genau die Hälfte des weltweiten Vermögens in den Händen von gut einem Prozent der Weltbevölkerung liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige Milliardäre bei Milliardengeschäften ihre Finger im Spiel haben, recht gross.

Habeck hat angesichts des angerichteten Durcheinanders seine Beamten inzwischen um Prüfung der Vorgänge gebeten. Im Fall Viessmann kommt dabei ziemlich sicher heraus, dass der Fabrikant aus Unternehmersicht alles richtig gemacht hat. Im Fall Graichen liegt das Ergebnis bereits vor: «Es könnte der Anschein einer möglichen Befangenheit entstanden sein», heisst es aus dem Ministerium. Zumindest in diesem Punkt hat Habeck mal ins Schwarze getroffen.