Mir ist es Beruf, Berufung und VergnĂŒgen, weisse MĂ€nner ĂŒber sechzig zu interviewen. Auch wenn ich sie lieber als alte, weise MĂ€nner bezeichne. Ich werde nie begreifen, wieso zahlreiche Feministinnen sie in den letzten Jahren zunehmend zum Feindbild stilisiert haben. Die deutsche Autorin Sophie Passmann schrieb gar einen Bestseller ĂŒber dieses feministische Ărgernis.
Was die schrillen Frauenrechtlerinnen mit ihrem Faible fĂŒr gendergerechte Sprache entsetzen dĂŒrfte: Meine spannendsten GesprĂ€chspartner waren allesamt MĂ€nner â und allesamt im fortgeschrittenen Alter, ohne den Herrschaften zu nahe treten zu wollen.
Den Geschlechterkampf halte ich fĂŒr ĂŒberhitzt, und es fehlt mir in den Reihen meiner Generation an Demut: Demut vor Erfahrung. Demut vor Expertise. Demut vor dem Alter. Demut vor Lebensleistung.
Ăbereifrige Feministinnen, die in der Gesellschaft Stempel verteilen, sind mir zuwider, zu hysterisch. Wobei der alte weisse Mann nicht ausschliesslich fĂŒr Frauen ein Graus ist.
Riccardo Simonetti, einer der erfolgreichsten Influencer Deutschlands, schockierte mich erst vor wenigen Tagen. Der 28-JĂ€hrige warb in einer Instagram-Story mit den folgenden Worten fĂŒr mehr Respekt: «Was ich ganz schlimm finde, das sind keine alten weissen MĂ€nner, die ganz weit weg von uns wohnen» â wow, mehr Respekt einzufordern, wĂ€hrend man sich selbst respektlos verhĂ€lt; das schaffen wahrlich die wenigsten. Doch woher stammt dieses skurrile Feindbild «alter weisser Mann» ĂŒberhaupt? Das wollte ich kĂŒrzlich von meinem journalistischen Vorbild Jan Fleischhauer wissen. Dem Mann, dem Passmann einst attestierte, ein alter weisser Mann zu sein.
Fleischhauer erklĂ€rte mir gewohnt pointiert: «Es ist eine Anlehnung an âčangry white manâș. Die Wahrheit ist doch, dass man umso mehr mit seinem Alter hadert, je Ă€lter man wird. Wir MĂ€nner reden da nicht so gern drĂŒber, aber nichts fĂŒrchtet ein Mann mehr, als abgehĂ€ngt zu sein. Alter weisser Mann ist ein politisches Schreckgespenst», so Fleischhauer.
Doch die Theorie des alten weissen Mannes wĂ€re ja kein paradoxes Wunderwerk der IdentitĂ€tspolitik, wenn sie nicht auch das andere Geschlecht miteinschliessen wĂŒrde. Dazu Fleischhauer: «Die Frage ist ja, inwieweit ist ein alter weisser Mann ĂŒberhaupt an das Geschlecht gebunden? âčAlter weisser Mannâș ist mehr ein Label fĂŒr Charakteristika. Man bekommt das Label, wenn man verstockt ist und sich auf dem Erreichten ausruht. Es können also auch Frauen alte weisse MĂ€nner sein.»
Das mag in der Theorie stimmen. Doch in der Praxis missbrauchen Feministinnen den alten weissen Mann fĂŒr ihren Geschlechterkampf. FĂŒr mich ist die Sache eindeutig: Der alte weisse Mann wurde erschaffen, weil diese Personengruppe zuvor noch kein Stigma getragen hat. Sprich: Er wird dafĂŒr diffamiert, dass er noch nie leiden musste.
Die alten weissen MĂ€nner sollen sich jetzt endlich auch einmal diskriminiert fĂŒhlen. Sie sollen wissen, wie es sich anfĂŒhlt, alltĂ€gliche Nachteile zu erleben. Der Ansatz hat wenig mit den Lehren des Feminismus gemein und erinnert vielmehr an: Lernen durch Leiden.
Jan Fleischhauer bewundert ĂŒbrigens Alice Schwarzer und seine Freundin IldikĂł von KĂŒrthy. Ăber von KĂŒrthy sagt er: «Absolute Selfmadefrau. Sie schreibt einen Bestseller nach dem anderen. Die hat ein Haus in der teuersten Gegend von Harvestehude. Nicht weil sie geerbt hat, wie es der Name vermuten lĂ€sst. Sie hat alles selbst verdient.» In seiner Stimme schwingen Anerkennung und Respekt mit. Das Geschlecht spielt keine Rolle. Er respektiert ihre Lebensleistung. Ich ahne: Sie könnte auch ein alter weisser Mann sein â Fleischhauer wĂŒrde dasselbe sagen.
FĂŒr mich macht es keinen Unterschied, ob jemand alt, jung, mĂ€nnlich oder weiblich ist. Meine Vorbilder sind neben Fleischhauer: Kultjournalist Gabor Steingart, die frĂŒhere PrĂ€sidententochter Ivanka Trump, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Unternehmer Thomas StrĂŒngmann. Fern jeglicher IdentitĂ€tspolitik ziehen mich Menschen an, die sich nicht in eine Schublade stecken lassen, die keine Follower sind und auch mal anecken.
WĂ€hrend ich diese Zeilen schreibe, leuchtet mein Handy auf. Unter meinem letzten Foto auf Instagram kommentierte jemand: «Danke, dass du mal in Ăsterreich warst. Du warst die optische und auffrischende Rettung inmitten der Herren mit schĂŒtterem Haupthaar.»
Beim Lesen schĂŒttelt es mich. Wir leben wahrlich in verrĂŒckten Zeiten, wenn es schon eine Auszeichnung ist, jung und weiblich zu sein, sassen doch in der angesprochenen Talk-Runde bei Servus TV neben mir hochrangige österreichische Journalisten. Langsam beschleicht mich das GefĂŒhl, dass die alten weissen MĂ€nner UnterstĂŒtzung benötigen. Vielleicht sollte ich bei Bild-TV in der Zukunft mal eine reine Ă-60-MĂ€nnerrunde moderieren. Mal sehen.
Jetzt starte ich erst mal meinen Tag, mit dem Podcast «Redezeit», wo die 32-jĂ€hrige RTL-Chefreporterin Franca Lehfeldt mit dem achtzigjĂ€hrigen Kultjournalisten Heiner Bremer das politische Geschehen diskutiert. PrĂ€dikat: hörenswert, weil â unter anderem â ein alter, weiser Mann dabei ist.
Nena Schink, 29, ist Bild-Journalistin, Moderatorin und Bestsellerautorin. Zuletzt erschienen von ihr: Ich bin nicht grĂŒn â Ein PlĂ€doyer fĂŒr die Freiheit. Finanzbuch-Verlag. 192 S., Fr. 28.90
Dieser Artikel erschien erstmals in der Weltwoche-Ausgabe vom 14. Oktober 2021.
Ich vermisse Nena Brockhaus seit es âViertel nach Achtâ auf Bild TV leider nicht mehr gibt. Umso erfreulicher ein Beitrag von Nena in der Weltwoche lesen zu können. Sie ist unter den jungen deutschen Frauen eine absolute und sehr erfrischende Ausnahmeerscheinung.
Faszination Bildzeitungsjournalistinnen.
Die Frau ist derart gescheit, da muss man den Artikel dringend wiederholen. Wie bei Frau Beller.