In Deutschland hĂ€ufen sich die Gerichtsurteile gegen die AfD. Die drei Buchstaben sind fĂŒr viele inzwischen zum toxischen Dreiklang einer verwerflichen Gesinnung geworden. Eine vermutliche wachsende Zahl von anderen sieht darin eine Hoffnung auf bessere politische Zeiten. Abgesehen davon, welchem Lager man sich zurechnet, ist die AfD heute die nach Umfragen stĂ€rkste Oppositionspartei hinter der halboppositionellen CDU.

Die QualitĂ€t einer Demokratie bemisst sich vor allem daran, wie sie mit Kritikern der Regierung umgeht. Die Demokratie ist die einzige Staatsform, in der es offiziell erlaubt sein muss, den MĂ€chtigen zu widersprechen, nein zu sagen. NatĂŒrlich ist Opposition immer anstrengend, mit Nachteilen verbunden. Wer gegen den Strom schwimmt, die Mehrheit herausfordert, hat immer mit Gegenwind zu rechnen.

Doch der entscheidende Unterschied zu Diktaturen besteht darin, dass in einer Demokratie die Opposition nicht fĂŒrchten sollte, ins GefĂ€ngnis oder vor den Richter zu mĂŒssen. Droht diese rote Linie in Deutschland immer löchriger zu werden? Manche haben den Eindruck, sie existiere gar nicht mehr. Viele Deutsche, vor allem Ostdeutsche, schreiben uns, sie fĂŒhlten sich zusehends an die DDR erinnert.

TatsÀchlich fÀllt auf, dass in letzter Zeit AfD-Politiker wöchentlich, mittlerweile fast tÀglich im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren in die Schlagzeilen geraten. Die Partei darf vom Inlandsgeheimdienst als «rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet», sprich: bespitzelt werden. Gegen prominente Mitglieder laufen Untersuchungen, einzelne sind bereits verurteilt worden.

Die Gegner der AfD sehen diese VorgĂ€nge als Beweis fĂŒr die Wehrhaftigkeit ihrer Demokratie, die es im Unterschied zur verunglĂŒckten Weimarer Republik eben geschafft habe, «verfassungsfeindliche KrĂ€fte» in Schach zu halten. Der Geburtsfehler des Weimarer Staats sei es gewesen, Parteien, die die Demokratie erklĂ€rtermassen beseitigen wollten, am demokratischen Wettbewerb zu beteiligen. 

Die entscheidende Frage aber lautet, ob die AfD tatsĂ€chlich eine «verfassungsfeindliche» Partei ist und die Verfolgung durch staatliche Instanzen rechtfertigt. Einmal abgesehen davon, wie dies fachjuristisch zu beurteilen ist: Die Umfragezahlen dieser Partei belegen, dass Millionen von deutschen WĂ€hlern es anders sehen. Sie geben der AfD ihre Stimme – manche aufgrund der Prozesse erst recht.

Sind diese Millionen von Deutschen Feinde der Verfassung? Wollen sie Deutschlands Demokratie abschaffen, den Rechtsstaat ĂŒber den Haufen werfen, in den Spuren der Vergangenheit gar eine Diktatur einfĂŒhren? Das scheint – nicht nur unausgesprochen – die selbstmisstrauische Hypothese jener zu sein, die alles daransetzen, die AfD, der sie mit Argumenten nicht beizukommen scheinen, mit juristischen Mitteln zurĂŒckzuwerfen.

Als Schweizer beschleicht einen bei solchen VorgĂ€ngen ein Unbehagen. SelbstverstĂ€ndlich darf ein Staat aufgrund seiner historischen Erfahrungen scharfe Gesetze erlassen, um den Absturz in hoffentlich ĂŒberwundene AbgrĂŒnde zu verhindern. Gleichzeitig aber besteht die Gefahr, dass Regierungen ihre Instrumente des Demokratieschutzes als Instrument der UnterdrĂŒckung Oppositioneller missbrauchen.

Nehmen wir den Fall des ThĂŒringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke. Er wurde von einem Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er in einer Wahlkampfrede den Slogan «Alles fĂŒr Deutschland» verwendet hat. Anscheinend handelt es sich um eine verbotene Parole, die in den 1930er Jahren von Nationalsozialisten gebrĂŒllt wurde. Höcke beteuerte, er habe das nicht gewusst. Die Richter glaubten ihm nicht.

Streng juristisch mag man so urteilen. Doch es mutet extrem harsch an, den Allerweltsspruch «Alles fĂŒr Deutschland» als Straftat auszulegen, gewissermassen als Gesinnungsverbrechen. Nur einem Bruchteil der heute lebenden Deutschen dĂŒrfte der historische Zusammenhang bewusst sein. Bei Parolen wie «Sieg Heil» oder «Heil Hitler» ist das sicher anders. Im Zweifel gegen den Angeklagten? Im Zweifel gegen Höcke?

Ein demokratischer Staat hat die MeinungsĂ€usserungsfreiheit zu schĂŒtzen. Richter sollten sich nicht in WahlkĂ€mpfe einmischen. Die Politisierung der Justiz ist ein besonders giftiges Erbe der Nazizeit. Damals war die Justiz das Vollstreckungsorgan einer totalitĂ€ren Diktatur. Man möchte meinen, vor diesem Hintergrund wĂŒrde in Deutschland bei politisch umwitterten Verfahren besondere Vorsicht walten.

In diesem Fall scheint es eher umgekehrt. AfD-Fraktionschef Höcke steht mitten in einem Landeswahlkampf und bewirbt sich um das Amt des MinisterprĂ€sidenten. Der juristische Druck auf die Partei nimmt stark zu – ausgerechnet in der entscheidenden Phase der Europawahlen. ZufĂ€lle? Wenn ja, sind es ZufĂ€lle, die den Gegnern der AfD wie ein zeitlich perfekt abgestimmtes Geschenk des Himmels erscheinen mĂŒssen.

Doch nicht der liebe Gott, die Organe einer sich zusehends in RĂŒcklage befindenden Regierung sind die Urheber dieser juristischen Attacken gegen die aufstrebende Opposition. LĂ€ngst ziehen es die Ampelparteien, aber auch CDU und CSU vor, die AfD nicht zu widerlegen. Es ist bequemer, sie anzuschwĂ€rzen. Dabei bedienen sie sich der Instrumente, der Folterzangen des staatlichen Verfassungsschutzes.

Die Bundesrepublik ist weltweit vermutlich die einzige Demokratie, deren Inlandsgeheimdienst regierungskritische Politiker im Namen der Regierung ausspionieren und mit Agenten, auch mit Provokateuren, unterwandern darf. Die Missbrauchsgefahr ist enorm. Dagegen regt sich in Deutschland zunehmend Widerstand, auch ausserhalb der AfD. Das ist ein gutes Zeichen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Folterzangen der Regierung"
  • roro1

    Was in Deutschland passiert, ist ungeheuerlich. Scholz ist in China, kehrt heim, und drei Tage spĂ€ter werden chinesische Spione entdeckt. Ein Verfassungsschutz arbeitet ĂŒber Jahre mit einem Mann zusammen, erkennt irgendwann, dass er fĂŒr China spioniert und lĂ€sst ihn nicht verhaften, sondern bloss beobachten. Warum? Weil er nicht fĂŒr SPD, CDU/CSU, GrĂŒne oder FDP arbeitet, sondern fĂŒr die AfD. Und die will man ja irgendwann in die Pfanne hauen können. Deutschlands Demokratie steht am Abgrund.

  • bmiller

    Doch kein Zufall, Herr Köppel. Die AfD wird seit ihrer GrĂŒndung durch den seriösen und trockenen Prof.Lucke mit fast allen Mitteln bekĂ€mpft und diffamiert. Die Art und Weise, wie das geschieht, wirft kein gutes Licht auf die anderen Parteien und ihr Personal.

  • rolf s

    Die etablierten Parteien verlieren immer mehr an Zuspruch. Da ist ein Feinbild hilfreich, da hat der Tag Strukrur (Volker Pispers).