Kommt jetzt das AfD-Verbot, für das Medien, aktivistische Juristen und eine parteiübergreifende Abgeordnetengruppe in Berlin seit Monaten trommeln? Geht es nach den durchaus öffentlichkeitswirksamen Wortmeldungen dieses Netzwerks, dann lässt sich der Gang zum Bundesverfassungsgericht gar nicht mehr aufhalten. Die 113 Abgeordneten um den CDU-Politiker Marco Wanderwitz wollen ihre Forderung nach einem offiziellen Verbotsantrag des Parlaments noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl zur Abstimmung stellen.
Eine Gruppe von siebzehn Juraprofessoren leistet ihnen Unterstützung in einem Papier, das sie beim Rechtsausschuss des Bundestags einreichte. Darin erklären die Wissenschaftler, «die Anstrengung eines Parteiverbotsverfahrens» sei «nicht ins Belieben der Antragsberechtigten gestellt, sondern politische Aufgabe und Verantwortung».
Mit anderen Worten: Die Volksvertreter können gar nicht anders. Das Verbotsverfahren gegen die Paria-Partei, versichern die siebzehn im rechtswissenschaftlichen Jargon, sei sehr aussichtsreich, eigentlich könne es gar nicht schiefgehen. Der Spiegel sorgt für publizistischen Begleitschutz: Das auf Rot und Grün geschrumpfte Kabinett von Olaf Scholz, so ein Kommentator, «darf sich diese historische Chance nicht entgehen lassen».
In Wirklichkeit handelt es sich bei der konzertierten Aktion zur Beseitigung der AfD um das mit Abstand bizarrste Projekt im politischen Berlin. Denn eigentlich will nur eine sehr kleine Minderheit wirklich vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um Ernst zu machen. Eine ebenfalls parteiübergreifende Mehrheit möchte das nicht, würde aber am liebsten so wenig wie möglich über die Hinderungsgründe reden. Denn rhetorisch bekennen sich alle Parteien ausser der einen zur kompromisslosen Bekämpfung der AfD.
Zur kunstvoll vernebelten Realität gehört die Tatsache, dass die parteiübergreifende Initiative für einen Verbotsantrag, anders als behauptet, nicht aus der Mitte des Parlaments stammt. Ausser Marco Wanderwitz, der wegen Aussichtslosigkeit 2025 nicht wieder kandidiert, unterstützen nur sechs weitere CDU-Abgeordnete den Vorstoss, niemand von der CSU, keiner aus der FDP. Die absolute Mehrzahl der Befürworter kommt aus SPD, Grünen und Linkspartei. Allerdings bekennt sich keine Fraktion als Ganzes zu dem Vorhaben. Der Bundeskanzler machte deutlich, dass seine Rumpfregierung keinen AfD-Verbotsantrag stellen und damit, um mit dem Spiegel zu sprechen, die «historische Chance» ausschlagen will.
Nichts Umstürzlerisches
Warum?, das beantwortet unfreiwillig die «rechtswissenschaftliche Stellungnahme» der siebzehn Juraprofessoren, unter denen sich allerdings kein einziges Schwergewicht des Fachs findet. Die Autoren stützen sich zum einen auf zahlreiche Zitate von AfD-Vertretern, die sie für verfassungsfeindlich halten, zum anderen auf die Behauptung, bei dem inzwischen vielzitierten Privattreffen im November 2023 in Potsdam hätten AfD-Protagonisten die massenhafte Deportation auch von missliebigen deutschen Staatsbürgern gefordert. Dabei berufen sie sich auf eine Veröffentlichung der teilweise staatlich finanzierten Plattform «Correctiv». Nur: Diese Behauptung stellte noch nicht einmal Correctiv selbst auf.
Der Verfassungsrechtler Mathias Hong von der Hochschule Kehl, kein Unterzeichner des Gutachtens, aber eifriger Unterstützer eines AfD-Verbots, erhielt bereits eine Abmahnung von einem Teilnehmer des Potsdam-Treffens, weil er die Falschbehauptung kolportiert hatte. Vor dem Bundesverfassungsgericht hielte ein derart schludrig zusammengeschusterter Vortrag keinen einzelnen Verhandlungstag stand.
Das Gericht in Karlsruhe definierte ausserdem schon im (gescheiterten) Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD 2017 die hohen Anforderungen an ein Parteienverbot. Äusserungen einzelner Mitglieder reichten dazu nicht aus. Nötig sei vielmehr «ein planvolles Handeln […], das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist».
Das gibt das vom Verfassungsschutz zusammengetragene Material im Fall der Alternative für Deutschland nicht annähernd her. In ihrer Programmatik findet sich nichts in diesem Sinn Umstürzlerisches. Und wie alle Parteien verfügt auch die AfD über eine erhebliche Bandbreite: Ihr Thüringer Landesverband steht für den straff nationalkonservativen Flügel, ihr niedersächsischer Verband dagegen unterscheidet sich in Äusserungen und parlamentarischem Handeln kaum von der CDU der neunziger Jahre.
Berliner Logik
Der Jurist Olaf Scholz begründete deshalb seine Abstinenz gegenüber einem Verbotsversuch mit dem Satz: «Das Schlimmste wäre ein Verfahren, das man beantragt, das mehrere Jahre dauert und wo es dann vielleicht am Ende schiefgeht.» Nun fragt sich ein Aussenstehender vielleicht, wieso es ein Regierungschef für das «Schlimmste» hält, wenn die höchsten Richter feststellen, dass eine Partei die bestehende Ordnung nicht stürzen will. Scholz’ Kommentar folgt allerdings der Berliner Logik.
Ein Nichtverbot in Karlsruhe – nach langer Verhandlung, die sich vermutlich bis 2026 hinzieht – wäre ein Triumph für die Partei, die alle anderen am liebsten von der Bühne zaubern würden. Das Thema Parteiverbot wäre auf unabsehbare Zeit für den Kampf gegen rechtserledigt. Deshalb kommt es zu der paradoxen Lage: Den anderen Parteien und vor allem dem linken Lager wäre es natürlich sehr recht, wenn die AfD aus dem Wettbewerb verschwinden würde. Sie möchten nur wegen der höchst wackligen Chancen das Verfahren nie vor die Richter bringen, sondern es am liebsten als ewige Ankündigung über der AfD schweben lassen. Der Hauptzweck dieser beständigen Drohung liegt darin, die Union vor einer Zusammenarbeit mit einer politischen Kraft rechts von ihr abzuschrecken. Solange es dazu nicht offen kommt, haben Parteien links der Mitte einen Stammplatz in nahezu jeder Regierung auf sicher.
Was sich ein Zusammenschluss linker Parteien, Medien und Aktivisten wünscht, entspricht ziemlich exakt dem Vorgehen gegen Josef K. in Kafkas «Prozess»: eine ewig schwebend gehaltene Daueranklage. In dem Justizsystem des Romans gibt es bekanntlich weder einen endgültigen Freispruch noch eine begründete Verurteilung. Diesen wabernden Idealzustand würden die betreffenden Parteien verständlicherweise so lange wie möglich aufrechterhalten. Er erscheint ihnen als aussichtsreichster Weg, den Einfluss der AfD wenigstens zu begrenzen, nachdem ihre immer wieder beschworene «inhaltliche Auseinandersetzung» offenkundig wirkungslos verpuffte.
Zum angedrohten, aber nie verwirklichten Verbotsverfahren passt auch das gestreute Gerücht, der Verfassungsschutz werde die Partei demnächst komplett als «gesichert rechtsextremistisch» hochstufen. Diese Andeutung steckte jemand aus dem Inlandsgeheimdienst der Süddeutschen Zeitung. Die Hochstufung selbst lässt auf sich warten. Denn wenn es dazu käme, könnte die AfD die Argumente der Behörde vor einem Verwaltungsgericht überprüfen lassen.
So disruptiv laufen die Dinge hier nie
Der Versuch, die rechte Partei mit der kafkaesken Methode dauerhaft zu isolieren, könnte schneller zum Ende kommen, als es die politischen Strategen ursprünglich einkalkulierten. Während in Berlin noch die Revuenummer unter dem Titel «Und morgen verbieten wir die AfD» läuft, geht es draussen in der Provinz schon in eine andere Richtung. In Sachsen einigten sich CDU und SPD auf eine Koalition. Der Allianz fehlt nur etwas Entscheidendes: eine Mehrheit im Parlament, genauer: zehn Stimmen. Die Minderheitsregierung wird sich von Fall zu Fall ihre Unterstützer suchen müssen – entweder beim BSW von Sahra Wagenknecht, mit dem schon die Koalitionsverhandlungen scheiterten, bei den Grünen, mit denen die CDU nicht mehr will – oder bei der AfD, der zweitstärksten Kraft im Land.
Die Christdemokraten in Dresden schliessen unter dem Druck der Wirklichkeit keine Variante aus. Dafür, dass das grosse Brandmauer-Gezeter bisher ausblieb, gibt es einen naheliegenden Grund: Auch die SPD muss dort im Südosten auf AfD-Stimmen hoffen, um mitzuregieren. Das nennt man die normativen Kraft des Faktischen. Schon vor der Wahl des bisherigen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der CDU zum neuen Regierungschef, die am 18. Dezember stattfinden soll, kommen die beiden Minderheitspartner um Absprachen nicht herum.
Natürlich könnte die Union den Knoten schon jetzt durchhauen, in Sachsen eine förmliche Zusammenarbeit auf Probe mit der AfD vereinbaren und in Berlin nach dem Ende der Ampel die Mehrheit zusammen mit FDP und AfD nutzen, um beispielsweise das wirtschaftsfeindliche Lieferkettengesetz und die Anhebung der CO2-Abgabe von 45 auf 55 Euro je Tonne ab Januar 2025 zu verhindern.
Nur: So disruptiv laufen die Dinge in Deutschland nie. Die Annäherung an die Partei von Alice Weidel vollzieht sich ähnlich verdruckst und verschleiert wie das unentwegt angekündigte und nie ernsthaft betriebene Verbot ihrer Truppe. Es fürchten sich einfach zu viele vor einem Zustand, zu dem es irgendwann dann doch kommt: dass die AfD zum normalen Teil des politischen Spektrums wird, so wie die FPÖ in Österreich und die SVP in der Schweiz.
Ich warte noch auf eine AfD ähnliche Partei in der Schweiz. Liebe Frau Weidel, meine Hochachtung für Ihr Engagement (und das Ihrer Mitstreiter)! Sie würden die sieben Zwerge in Bern locker in die Tasche stecken.
Wahnsinnige und Verrückte regieren in D. Sie wollen die Normalen, die AfD verbieten, damit D ohne AfD zum grössten Irrenhaus der Welt wird.
Hoffentlich! Außensicht eines Italieners von heute: Während in Italien die Führung in der Nachfolge der Faschisten steht, gilt das nicht für die AFD. Dies die Aussage wohlgemerkt eine Italieners!