Nie mehr seit dem Holocaust wurden an einem Tag so viele Juden massakriert wie am 7. Oktober 2023. Israel könne diesen Terrorakt nicht unbeantwortet lassen, sagt Henry Kissinger, 100, der Pionier der Friedensschlüsse in Nahost.

«Es muss irgendeine Form von Bestrafung geben. Es muss eine ernstzunehmende Beschränkung ihrer (Hamas) Fähigkeit geben, solche Aktionen zu wiederholen», sagt Kissinger im Interview mit Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE.

Kissinger spricht von einem «unverhohlenen Akt der Aggression». Und dies durch einen Akteur, der «in gewisser Hinsicht durch Israel befreit wurde. In dem Sinne, dass Israel ihm seine Freiheit gewährt hat, als es seine Streitkräfte abzog.»

Kissinger spricht den Rückzug aus dem Gaza-Streifen an, den Israel 2005 an die Palästinenser übergab. Kurz darauf wurde dort die Hamas an die Macht gewählt, welche die Vernichtung Israels zum erklärten Ziel hat.

Zu Friedens-Appellen sagt Kissinger: «Natürlich besteht die erste instinktive Reaktion darin, den Frieden zurückzubringen, aber man kann keinen Menschen Zugeständnisse machen, die durch ihre Taten eindeutig bewiesen haben, dass mit ihnen kein Frieden möglich ist.»

Henry Kissinger hat als US-Aussenminister vor fünfzig Jahren mit unermüdlicher Pendel-Diplomatie den ersten Friedensschluss Iraels mit Ägypten vermittelt. Weitere Friedensschlüsse folgten. Mit der Hamas sei jedoch ein Frieden nicht möglich.

«1973 hatten wir das Glück, dass Sadat ein arabischer Staatschef mit einer Vision für die Zukunft war. Daher war es möglich, ein Friedensabkommen mit ihm zu schliessen, das zum Auslöser für ein ähnliches Abkommen mit Syrien wurde.»

Die Situation heute sei grundsätzlich eine andere. Mit der Hamas sei an einen Frieden nicht zu denken: «Ich glaube nicht, dass es solche Führungspersönlichkeiten in der Gruppierung der Hamas gibt. Ich glaube, die Hamas sollte von der politischen Bühne ausgeschlossen werden.»

Die Hamas hat bereits den nächsten Akt des Terror-Szenarios eingeleitet, indem sie bis zu 150 Geiseln nach Gaza verschleppt hat und diese zu ermorden droht.

Israel müsse nun eine «herzzerreissende Entscheidung» treffen, sagt Kissinger. Seiner Meinung nach könne sich Israel nicht auf die Erpressung einlassen. «Denn dass diese Art der Kriegsführung erlaubt wird, dassTerroristen ganz offen erscheinen, Geiseln nehmen und Menschen töten können und die internationale Gemeinschaft dann von Frieden mit den Menschen spricht, die den Konflikt verursacht haben, ist in Israel nicht denkbar.»

Israel bleibe nichts anderes übrig, als gegen die Hamas in Gaza vorzugehen. Es spreche «alles dafür, dass Israel seine Souveränität in diesem Gebiet wiederherstellen muss und nicht erlauben kann, dass Gaza zu einer Situation zurückkehrt, in der Geiseln in grosser Zahl genommen und Tausende Menschen getötet werden – und dann erwartet, unter solchen Bedingungen Seite an Seite mit Israel zu leben.»

Dies sei auch im Interesse Europas. «Ich würde auch behaupten, dass jede europäische Nation dieselben Interessen teilt, denn dieselbe Haltung kann sich schliesslich auch in Richtung Europa wenden.»

Gemäss Kissinger ist Europa mitverantwortlich für den Aufstieg der Hamas, der nun zu diesem grauenhaften Terrorakt geführt hat: «Die Hamas glaubte, dass sie mit der Unterstützung ihrer Nachbarn und der Duldung anderer Länder, einschliesslich Europas, solch einen Akt ausführen könne, ohne selbst schweren Schaden davonzutragen. Ohne diese Vorstellung hätte sie es niemals getan.»

Dass nun Araber in Europa den Angriff auf Israel öffentlich feiern und Süssigkeiten an andere Menschen verteilen, wie neulich in Berlin, empfinde er als «schmerzvoll».

Solche Szenen seien eine Folge der europäischen Einwanderungspolitik: «Es war ein grosser Fehler, so viele Menschen mit einem kulturell und religiös vollkommen anderen konzeptionellen Hintergrund hereinzulassen, weil dadurch Interessengruppen im jeweiligen Land entstehen.»