Die Bundesregierung hat dem massiven Druck schliesslich nachgegeben, durch die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern den nächsten Schritt zur direkten Involvierung Deutschlands in den Ukraine-Krieg zu gehen. Über Monate haben die USA, ihre Nato-Vorzugsverbündeten Grossbritannien und Polen und die politisch, militärisch und finanziell von den Westmächten abhängige Ukraine die Berliner Entscheider mit unablässigem Sperrfeuer belegt, um sie in diese Richtung zu drängen.
Bei einem guten Dutzend Kampfpanzer, die aus den knappen Beständen der Bundeswehr entnommen werden, wird es absehbar nicht bleiben; schon stehen neue Forderungen nach weiterer Überlassung von Kampfpanzern und selbst der Lieferung von Kampfflugzeugen im Raum. Deutschland wird regelrecht vorgeführt.
In der Debatte um Panzerlieferungen geht es um weit mehr als um die Unterstützung des legitimen Rechts auf Selbstverteidigung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Sie stellt die Frage nach den tatsächlichen Machtverhältnissen im westlichen Bündnis und nach der Souveränität Deutschlands und der Europäer.
Und sie erinnert hart und unsanft an die verdrängte Tatsache, dass es in der Aussen- und Sicherheitspolitik in letzter Konsequenz nicht um Moral oder Werte geht, sondern um Geopolitik und nationale Interessen.
Die nationalen Interessen der USA, der europäischen Staaten und Deutschlands sind in wichtigen Punkten nicht deckungsgleich. Das ergibt sich schon aus der Geografie. Die europäischen Staaten teilen sich mit Russland, dem grössten Flächenstaat der Erde, einen Kontinent. Sie werden nach jeder kriegerischen Auseinandersetzung – auch nach der gegenwärtigen – weiter miteinander in Nachbarschaft leben müssen.
Das gilt auch für die ehemaligen westlichen Sowjetrepubliken und Warschauer-Pakt-Staaten, die ein legitimes Interesse an Absicherung ihrer Souveränität und Unabhängigkeit gegenüber Russland haben. Deutschland als Wirtschaftsmacht in Mittellage hat ein Interesse an stabilen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu allen europäischen Nachbarn, aber auch zu den USA, zu Russland und zu seinen globalen Handelspartnern.
Für die USA, eine herausgeforderte Weltmacht, sind Russland, aber auch die Europäer potenzielle Rivalen. Sie müssen in den eigenen Machtbereich eingebunden oder aber eingehegt und geschwächt werden, um den Weltmachtstatus behaupten zu können. Von Amerika aus gesehen findet der Ukraine-Krieg weit entfernt auf einem anderen Kontinent statt, und er ist diesem Interesse förderlich.
Das Geschäft der USA – der Terminus business lässt sich in diesem Kontext getrost auch mit «Staatsräson» übersetzen – sei das Geschäft, stellte in der Zwischenkriegszeit des zwanzigsten Jahrhunderts der damalige US-Präsident Calvin Coolidge fest. Es ist schwerlich ein Zufall, dass der seit einem Jahrzehnt schwelende russisch-ukrainische Konflikt gerade unter der Präsidentschaft von Joe Biden zum offenen Krieg eskalierte.
In Bidens Zeit als Vizepräsident fiel nicht nur der massgeblich von den USA orchestrierte Machtwechsel von 2014, der in Kiew eine Regierung ans Ruder brachte, die die Ukraine bereitwillig dem strategischen und ökonomischen Engagement der USA und amerikanischer Konzerne öffnete.
Bidens Familie, namentlich sein Sohn Hunter Biden, dem die Stellung des Vaters lukrative Posten in der ukrainischen Rohstoffindustrie verschaffte, profitierte auch persönlich von diesem Engagement.
Dass ein offener Beitritt der Ukraine in die Nato samt der Option amerikanischer Militärbasen an der Grenze zum russischen Kernland für Moskau eine rote Linie darstellen würde, war von Russland schon Jahre vorher hinlänglich klargestellt worden. Die verdeckte Einbeziehung Kiews in den Nato-Einflussbereich und die Aufrüstung der ukrainischen Armee durch die USA gehören zur Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs dazu.
Die ukrainische Führung mag sich durch die amerikanische Rückendeckung – von der sie zugleich immer abhängiger geworden ist – zu einer kompromisslosen Haltung gegenüber Moskau ermutigt gefühlt haben. Bis zuletzt sind zahlreiche Gelegenheiten verstrichen, auf dem Verhandlungsweg eine Lösung für den internationalen Status der Ukraine zu finden, der die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten, auch Russlands, berücksichtigt hätte. Künftige Historiker werden zu klären haben, inwieweit dabei rote Linien vorsätzlich eskalierend überschritten wurden.
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kürzlich eingeräumt, die Minsker Abkommen zur Befriedung der Lage im Donbass hätten vor allem dem Zeitgewinn für die Aufrüstung der Ukraine gedient. Der Ukraine-Krieg ist nicht aus heiterem Himmel ausgebrochen, er hat eine Vorgeschichte von Druck und Gegendruck, von actio und reactio. Dies festzustellen ändert nichts an der Tatsache, dass der russische Einmarsch am 24. Februar 2022 ein eklatanter Bruch des Völkerrechts war, mit dem sich Russland international ins Unrecht gesetzt hat.
Unübersehbar ist allerdings auch, dass vom Ausbruch und weiteren Andauern des Ukraine-Kriegs in den letzten zwölf Monaten vor allem die USA in vielfältiger Weise profitiert haben. Zwar haben die Vereinigten Staaten seit Kriegsbeginn die Ukraine mit über 50 Milliarden Dollar unterstützt, davon fast die Hälfte, rund 23 Milliarden Dollar, als militärische Unterstützung.
Anders als die ebenfalls nicht unerheblichen Militärhilfen Grossbritanniens, der EU und Deutschlands sind die US-Militärhilfen allerdings keine Geschenke, sondern unterliegen auf der Grundlage des im Mai 2022 erlassenen Leih-und-Pacht-Gesetzes («Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act») der Rückzahlungspflicht.
Das Leih-Pacht-Modell wurde schon im Zweiten Weltkrieg angewandt, um Grossbritannien und der Sowjetunion die Fortsetzung des Krieges zu ermöglichen. Nach Kriegsende dauerte es noch mehr als sechzig Jahre, bis das Vereinigte Königreich diese Verbindlichkeiten beglichen hatte.
Im Falle der Ukraine sollen offenkundig die EU und ihr Hauptfinanzier Deutschland zahlen, die mit über 30 Milliarden Euro auch bis jetzt schon mehr als die Hälfte der Finanzhilfen an Kiew geleistet haben.
Ende September 2022 drängte Washington die EU, einen «regelmässigen Mechanismus» einzurichten, damit automatisch monatlich Geld in das ukrainische Budget fliesse. Kiew brauche jeden Monat etwa 3,5 Milliarden Euro.
Die Unterstützung der Ukraine ist somit auch ein Konjunkturprogramm auf Kosten anderer für die US-Rüstungsindustrie, deren Aktien seit einem Jahr förmlich durch die Decke gehen – auch weil die seit Kriegsbeginn gesteigerten Militärausgaben der EU- und der Nato-Staaten zu einem Gutteil in ihre Kassen fliessen.
Das Volumen der genehmigten Waffenverkäufe aus den USA an Nato-Partner hat sich 2022 gegenüber dem Vorjahr auf 28 Milliarden Dollar fast verdoppelt. Deutschland kauft im Rahmen der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen «Zeitenwende» nicht nur F-35-Kampfflugzeuge, sondern auch «Chinook»-Transporthubschrauber, und das zu deutlich überhöhten Preisen.
Profitieren wird die US-Wirtschaft auch von der künftigen Ausbeutung der Erdgas- und Rohstoffvorkommen im Osten der Ukraine und vom Wiederaufbau des Landes, der nach einer Ende Dezember geschlossenen Vereinbarung von der mächtigen Investmentgesellschaft Blackrock koordiniert werden soll. Schon jetzt steigen die Gewinne der amerikanischen Erdöl- und Flüssiggasindustrie, die das US-Langzeitziel erreicht hat, Deutschland mit teurem amerikanischem Flüssiggas anstelle von billigem russischem Pipeline-Erdgas zu beliefern.
Auch mittel- und langfristig befördert der Ukraine-Krieg die strategischen Interessen der USA. Der Rivale Russland wird dauerhaft geschwächt und könnte ganz aus dem Kreis der Grossmächte verdrängt werden; der lange Zeit für beide Seiten vorteilhafte deutsch-russische Handel ist durch das harte Sanktionsregime auf lange Zeit schwer beschädigt. «In diesem Krieg geht es um Deutschland», spitzte der Historiker Emmanuel Todd kürzlich in der Weltwoche zu.
Deutschland muss sich nicht vorwerfen lassen, seine Prosperität auf das geopolitisch naheliegende Angebot günstiger und leicht verfügbarer russischer Rohstoffe gebaut zu haben, sondern sich aufgrund seiner unsinnigen Energiewende einseitig in übermässige Abhängigkeit von russischem Gas begeben und dabei die berechtigten Sicherheitsinteressen seiner osteuropäischen Nachbarn nicht genügend berücksichtigt zu haben.
Die offenkundig staatsterroristische Sprengung der Nord-Stream-Erdgasleitungen ist ein Symbol der Schwächung Deutschlands und Europas. Die Verantwortung für diesen Anschlag auf deren vitale Infrastruktur ist bis heute nicht geklärt; weder konnte der umgehend geäusserte Vorwurf einer russischen Täterschaft mit Beweisen erhärtet noch der Verdacht widerlegt werden, die USA und ihre Vorzugsverbündeten hätten den Anschlag selbst orchestriert.
Unter diesen Voraussetzungen trägt der Ukraine-Krieg Züge eines Stellvertreterkriegs, aus dem die USA Nutzen ziehen, aber andere bezahlen lassen. Deutschland bezahlt dafür nicht nur mit Waffenlieferungen und Finanztransfers aus dem eigenen Haushalt und über die EU, sondern auch mit wirtschaftlicher Schwächung und erheblichen Wohlstandsverlusten seiner Bürger. Die Ukraine bezahlt mit dem Blut ihrer Soldaten und mit der Zerstörung ihres Landes.
Die in diesem Jahr bevorstehenden Offensiven und Gegenoffensiven werden den Preis weiter in die Höhe treiben. Bei der Lieferung von dafür benötigten Kampfpanzern an die Ukraine halten sich die USA wohlweislich zurück und drängen die europäischen Verbündeten, sich dadurch zur potenziellen Zielscheibe einer weiteren Eskalation zu machen. Der Schachzug des Bundeskanzlers, Leopard-Panzer nur gleichzeitig mit amerikanischen Abrams-Panzern abgeben zu wollen, hat dies deutlich zutage gefördert.
Eine lange Fortsetzung des Krieges liegt im Interesse der USA; eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen und eine diplomatische Lösung des Konflikts am Verhandlungstisch wäre dagegen im deutschen Interesse. Dass Deutschland in dieser Auseinandersetzung in erster Linie als Geldautomat und Warenlager wahrgenommen und folgenlos beschimpft werden kann, liegt auch am Unwillen der Bundesregierung, eigene Ziele und Interessen zu formulieren.
Das Beschwören von Geschlossenheit und das Wiederholen von aus Washington und Kiew vorgegebenen Kriegszielen ist dafür allerdings genauso wenig ein Ersatz wie moralisch aufgeladene Deklamationen und martialische Rhetorik.
Wenn deutsche Politiker den russischen Präsidenten als «Kriegsverbrecher» bezeichnen und die deutsche Aussenministerin ein völkerrechtlich schwer zu begründendes «Sondertribunal» fordert, das – zu Ende gedacht – eine vernichtende Niederlage der Atommacht Russland voraussetzt, ist das kein Beitrag zur schnelleren Beendigung des Krieges, sondern verantwortungsloses Zündeln mit einem dritten Weltkrieg.
Ein Land, das im Rahmen seiner politischen Spielräume eigene Interessen formulieren und auf die diplomatische Lösung von Konflikten hinwirken will, muss selbst in der Verfassung sein, von anderen ernst genommen zu werden.
Deutschland ist mit seiner heruntergewirtschafteten und zusammengestrichenen Armee und seiner ausgezehrten Rüstungsindustrie, beides ein Erbe von mehr als zwei Jahrzehnten Merkel und Rot-Grün, davon leider weit entfernt. Oberste Priorität deutscher Politik in Zeiten des Krieges in Europa muss daher sein, die eigenen Streitkräfte wieder aufzubauen, ihre Einsatzfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft wiederherzustellen sowie die eigene Energie- und Rohstoffversorgung zu sichern.
Keine Lage der Welt kann rechtfertigen, die eigenen Ressourcen zu verschleudern, das eigene Land zu schwächen und den eigenen Bürgern zu schaden, um den Interessen anderer zu dienen.
Was diese Frau in ihrem Beitrag ausdrückt macht Sinn und ist durchdacht und ist um etliche Stufen höher einzuordnen als alles was die Baerböckin bisher herausgelassen hat. Aber ihr hört man ja in der Marionetten Regierung nicht zu.
Frau Weidel: Potentiale verbinden! Nur so eine provokante Idee, mit riesigem Potential -> bei wertefreier Prüfung aber mit höchster qualitativer/quantitativer Brisanz! Europa = politisch neutral (dito CH), jedes Land wirtschaftlich autonom mit seiner Währung, freie interne/externe Wissens-Kommunikation/Kooperation mit Ost (Russland etc.) und West (sofern noch interessant) möglich. Dieses explosive Potential (D-RU) fürchtet der Westen. Die Paranoia (inkl. Engl.) geht bis zum 1 WK zurück!
Sehr gute Analyse, Frau Weidel. Eine kleine Ergänzung: Joe Biden hat schon vor seinem Amt als Vizepräsident, nämlich 1997 in einer Rede die Frage gestellt, wie man wohl Russland so provozieren könnte, dass es sich genötigt fühlt, militärisch einzugreifen. Die Antwort hat er gleich selbst gegeben: Man muss die NATO bis an Russlands Grenzen heranführen, dann wird Russland militärisch eingreifen müssen (und vor der Welt als der böse Aggressor da stehen). Seit 1997 hat die USA dauernd provoziert.