Sie ruht in guter Gesellschaft in einem Berliner Ehrengrab auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof, neben Erwin Piscator, Ernst Reuter, Bubi Scholz und Willy Brandt. Noch besser hätte sie neben Marlene Dietrich auf dem kleinen Friedhof in Friedenau gelegen, über die sie hinreissend schrieb.

1948 hatte die früh berühmte Knef ihr Glück in Hollywood probiert, was ihr von vielen Deutschen als unpatriotisch ausgelegt worden war. Dort bekam sie zwar keine Filmrolle, aber den guten Ratschlag, Marcel Proust und Thomas Manns «Doktor Faustus» zu lesen, was sie beides offenbar tat.

Unter den vielen Bekanntschaften, die sie in Hollywood schloss, war ihr die liebste Marlene Dietrich, der Weltstar, der sich bald mütterlich um sie kümmerte. Noch 1975 nannte Marlene sie ihr «dearest Hildekind».

Ihr erstes Treffen:

 

Aus dem Dunkel des teuersten und finstersten Restaurants in Hollywood, dem philippinischen «Beachcomber», leuchtete ein weisses, hellumrandetes Dreieck. «Hallo», hauchte es über das Gesäge der Hawaiigitarren hinweg und lächelte amüsiert.

 

Es folgen fünf Seiten von akkuratester Komik – allein für diese Szene lohnte sich die Lektüre ihres Hauptwerks, ihrer 1970 veröffentlichten Memoiren «Der geschenkte Gaul», damals ein grosser internationaler Erfolg mit Millionenauflage.

Der heute fast vergessen ist. Es jährt sich Knefs zwanzigster Todestag – und kräht noch ein Hahn nach ihr? Hildegard Knef ist zumindest einer älteren Generation sowohl bekannt als auch erschreckend unbekannt.

Bekannt aus dem Film «Die Sünderin» von 1951, in dem sie eine kurze Nacktszene zur Skandalfigur machte. Die Katholiken tobten.

Bekannt aus den Coverbildern von Stern und Quick und als Chansonnière mit rauchiger Stimme und unzähligen Plattenpreisen («Für mich soll’s rote Rosen regnen»).

Bekannt für das unstete Auf und Ab ihres Lebens zwischen dem biederen Nachkriegsdeutschland und den nicht immer wirtlichen Vereinigten Staaten, in denen sie «Neff» genannt wurde und neben Marlene als der zweite bekannte Kraut galt.

Ganz unbekannt ist sie dem heutigen Publikum darin, worin ihre grösste Force bestand. Die Schauspielerin und Sängerin ist eine Virtuosin der Sprache. Die Verfasserin des «Geschenkten Gauls» ist eine Erzählerin ersten Rangs. Ihre in vielen Dialekten und Argots gewiefte, expressiv farbige, nervöse, klischeefreie, immer originelle, lustvoll übertreibende und sicher oft auch flunkernde Prosa – wie blass ist dagegen die gerühmte Kunstprosa Christa Wolfs!

Knef setzt die Pointen vom ersten Satz an. Sie beginnt ihr Buch mit einer Hommage an ihren geliebten Grossvater:

 

Er trug den Kopf sehr gerade, die Wirbelsäule auch, und er hatte einen grossen Mund mit vielen Zähnen; er hatte sie noch alle 32, als er mit 81 Jahren Selbstmord machte. Sein Jähzorn war das Schönste an ihm, erstens weil er sich nie gegen mich richtete und weil er so wild und rasch kam, wie er verging, und wenn vergangen, wurde sein Gesicht warm wie ein Dorfteich in der Sommersonne und seine Bewegungen verlegen und einem fischenden Bären gleich.

 

Da pfeift der Teufel durch die Zahnlücke, wie man in Norddeutschland sagt. Allein das Bild des verlegen fischenden Bären! Was zeichnet ihn noch aus, den jähzornigen Grossvater? «Er klopfte jeden Abend mit der rechten grossen Zehe gegen die untere Bettwand – sechsmal – und schwor darauf, dass er nur dadurch Punkt sechs erwachen könne.» Eines der hundert Details, die man aus dem «Geschenkten Gaul» nicht vergessen wird.

Der auch «Die sieben Leben der Hilde Knef» hätte heissen können. Es ist schwer vorstellbar, was sie alles durchgestanden und doch überlebt hat, angefangen mit den letzten Kriegsmonaten im zerbombten Berlin.

Die junge Frau auf der Flucht vor der einrückenden russischen Armee:

 

Über uns Bomber, Jagdflieger. Zwei Jäger kommen, spielen Mäusebussard, gucken mal rein, machen brr brrr, sind weg – holen Verstärkung, kommen wieder. Der neben mir sagt Himmel, Arsch und Zwirn, springt durchs Fenster, springt auf Schienen und Schotter, reisst Beine nach hinten, reisst Arme nach vorn, brüllt. Aus der Jacke quillt Rotes. Sie wühlen zur Tür, lassen sich fallen, zwischen Waggons, kriechen runter – ich lieg zwischen Puffern, denk: Wenn der Zug jetzt fährt, bin ich Matsch. Er fährt nicht, die Lok brennt. Bussardfamilie weg. Es weint und röchelt, es macht tatütata. Ich sitz’ auf der Böschung, guck’ anderslang. Laufe ein, zwei Stunden – komm zum Bahnhof, frag’, wo ich bin – nicht mal Nürnberg. Zwanzig Stunden unterwegs und nicht mal Nürnberg. Um vier Uhr morgens kommt Sonderzug, stottert weiter, verschnauft in Salzburg. Ich sehe Häuser, Häuser mit Dach, mit Fenster, Balkon mit Blumen, sage: Ist Österreich schön. Der mit der roten Mütze und Kelle dreht sich um, glotzt mich an, wird mützenrot petunienlila, brüllt: «Sie meinen wohl Ostmark.»

 

Petunienlila! Das Stakkatohafte, der Verzicht auf Artikel, das syntaktisch Gehetzte, die Zeitsprünge – der Stil passt sich dem Geschilderten an, der ruhelosen, fiebrigen Flucht. Die politische Pointe der «Ostmark» setzt Knef pointensicher an den Schluss.

Immer getrieben, immer frei

Später wird sie als Gefangene der Roten Armee in Einzelhaft sitzen. Ob dort Informationen darüber vorlagen, dass sie ihre Karriere auch Goebbels zu verdanken hatte, ist ungewiss – einer der vielen dunklen Punkte in ihrer gescheckten Biografie, über die man nichts Genaueres erfahren wird, solange ihre Tagebücher noch unter Verschluss gehalten werden.

Nur darüber hatte sie offen gesprochen: Seit der Haft hatte sie panische Angst vor der Einsamkeit.

Sie war immer getrieben und immer frei; und bei den Deutschen, wie Marlene, nur halb beliebt. Überhaupt war der Regen der roten Rosen nur schütter. Und ihr Körper von Anfang an ihr Feind.

Man spart sich den Pschyrembel, wenn man ihre Krankengeschichte liest: Typhus, Gelbsucht, Kinderlähmung, Meningitis, Enzephalitis, Blinddarmdurchbruch – die Aufzählung erstreckt sich über weitere neun Zeilen. Hildegard Knef ist von Kindheit an mit allen nur denkbaren Gebresten geschlagen.

Bezaubernde Selbstironie

In einer Szene im «Geschenkten Gaul» schildert sie, wie sie 1968 nach einer Gallenkolik in ihrem Pariser Hotel von einem Arzt nach ihren Vorerkrankungen befragt wird. Ihr damaliger Mann (sie hatte drei) geht so lange ins Kino, trinkt Kaffee und kehrt anschliessend zu ihr ins Hotel zurück. Da ist Hilde im Jahr 1959 angelangt.

«Du weisst», erklärt der Arzt ihm nach weiteren dreissig Minuten aschfahl, «ich habe Hilde immer für ein Musterbeispiel des kraftvollen deutschen Weibes gehalten, und nun erfahre ich, dass sie ein Museum des Grauens ist.»

Knefs Selbstironie ist bezaubernd, ihr Blick auf die Menschen scharf, aber nicht ätzend. Von einem mächtigen Studioboss, der sie vergeblich in sein Schlafzimmer zu locken versucht, sagt sie nur: «Seine Persönlichkeit würde kaum das Wandsafe eines Dorfnotars füllen.»

Ihre Charakterisierungen Edith Piafs, Henry Millers, Billy Wilders oder Friedrich Torbergs sind so pikant wie präzis. «Wieder lächelte sie dieses spöttische Lächeln, wie jemand, der sich gern hat und seine kleinen Fehler in Kauf nimmt» – das Lächeln Marlene Dietrichs.

Besonders beeindruckend ist ihr später versiegendes telepathisches Verhältnis mit einem amerikanischen Freund. Beide durchzuckt es, wenn der andere jenseits des Atlantiks in tödlicher Gefahr ist, was sich jedes Mal später bestätigt.

Sie kann auch sehr diskret sein. Auch das Aussparen gehört zu ihrer Kunst des Erzählens:

 

Jahre später, in Rhodesiens Busch, sah ich einen Kudu. Er stand, nur wenige Meter von mir entfernt, auf langen graziösen Beinen, stand hoheitsvoll und unerschrocken, seine sich nach oben verjüngenden Korkenzieherhörner endeten wie Ausrufezeichen. «Er ist alt, die Herde hat ihn verstossen», sagte der Landrover-Fahrer. Stolz, unzugänglich sah er uns an, nichts erwartend und durch nichts mehr zu enttäuschen.

 

Ende des Absatzes. Ausbuchstabieren muss es sich die Leserin selbst, was der Kudu zu tun hat mit der durch eine Wüste der Krankheiten und Misserfolge gehetzten Knef. Ausser dem K und den vier Buchstaben.

Berliner Pflanze, Berliner Schnauze

Ihre Kunst des Porträts! Ihr alter Berliner Theaterregisseur Boleslaw Barlog besucht sie in New York. Im Taxi rutscht er tiefer in den Sitz und versucht, die Spitzen der Wolkenkratzer auszumachen. «‹Mensch, Mensch›, murmelte er, offenlassend ob überwältigt oder enttäuscht.»

Er hat Hilde in ihrem Broadway-Stück gesehen. Anschliessend folgt bei ihr auf dem Sofa die Detailkritik:

 

«Pass ma auf, in der eenen Szene, wenn er det Lied singt und du stur dasitzt, also da kiek nich jradeaus, kiek runter.» Er hielt den Kopf schräg, sah angewidert auf den Boden, als verfolge er den Weg einer Küchenschabe. «Und wenn de auftrittst, lass die Pause länger, bevor du redest. Dann, det Abendkleid, also wenn du det vorführst, sei noch unsicher, det darf nich elejant sein, vastehste.» Er drehte sich hin und her wie eine Robbe, die einen Wasserball balanciert: «Det muss ihr richtig peinlich sein – komm, steh ma uff … »

 

Nicht nur die Stimmenimitation, auch die Vergleiche, besonders die Robbe mit Wasserball, verraten die genuin komische Erzählerin. Hildegard Knef – Berliner Pflanze, Berliner Schnauze, Herz am rechten Fleck: Hier werden die Klischees, die sie immer mied, einmal wahr.

Postskriptum: Erst nachdem er sich mit Hildegard Knef befasst hatte, erfuhr der Verfasser, dass sie lange Jahre im selben Haus in Charlottenburg gelebt hatte wie er heute: sie im Vorderhaus, er im Hinterhaus auf der gleichen dritten Etage. Von Balkon zu Balkon hätte man sich über den Hof zuwinken können.

Das Vorderhaus war vor ihrer Zeit das berühmteste, angeblich von der Stasi verwanzte Edelpuff Berlins. Noch heute sind in Knefs ehemaliger Wohnung in einem Flur die Zimmertüren durchnummeriert, zur leichteren Zuordnung der Kunden («Willy Brandt auf die Vier!»).

Die Änderungsschneiderin, die noch heute im Nebenhaus lebt, kannte Hilde gut. «Immer Pech mit dem Geld, immer Pech mit den Männern, die haben sie immer ausgenützt!»

Das war das Leben der grossen, zu Unrecht halbvergessenen Schriftstellerin Hildegard Knef. Sie hat rote Rosen gehasst, wie sie dem Stern bekannte.

Legen wir ihr einen Strauss weisser aufs Ehrengrab.

 

Michael Maar ist ein deutscher Germanist, Schriftsteller und Literaturkritiker.

Michael Maar: Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis grosser Literatur.Rowohlt. 656 S., Fr. 49.90

Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Februar 2022.