Am 18. Juni 2022 musste die Reggae-Band «Lauwarm» ihren Auftritt in Bern abbrechen. Mehr noch, ein Shitstorm brach über sie herein.

Das Problem: Alle Bandmitglieder waren hellhäutige Männer. Das Verdikt lautete kulturelle Aneignung, eine respektlose Übernahme einer anderen Kultur. Das Thema warf medial hohe Wellen in der ganzen Schweiz.

Am vergangenen Wochenende, fast genau ein Jahr nach dem Eklat, fand das Reeds-Reggae-Festival in der Zürcher Gemeinde Pfäffikon statt. Ich war dort als freier Journalist unterwegs und habe mit Besuchern über die Thematik der kulturellen Aneignung gesprochen, mit bemerkenswerten Ergebnissen.

«Ich bin seit zwei Tagen hier und nehme absolut nichts mehr vom Thema wahr», sagt Benjamin Andres, CEO des Hilfswerks UP Development. Ähnlich eine Besucherin, die nicht namentlich genannt werden möchte: «Dieses Jahr habe ich gar nichts mehr darüber gehört. Wenn eine Schweizer Band Reggae spielt und dies gerne tut, könnte man sogar von cultural appreciation sprechen» – zu Deutsch: von kultureller Würdigung.

Sogar die karibische Sängerin Samora erklärt: «Für einige Musiker ist das Thema wichtig. Für mich geht es aber vor allem um die Liebe zur Musik.» Diese Meinung ist am Festival weitgehend verbreitet.

Was ist von der Debatte um kulturelle Aneignung übriggeblieben? Nicht viel, zumindest nicht im Zürcher Oberland.

Das Beispiel zeigt, dass die Übernahme einer Debatte aus dem US-Kontext in der Schweiz ohne historische Grundlage nur wenig Wurzeln schlagen kann.

Oder anders: Es war nicht mehr als ein lauwarmes Lüftchen.

Louis Schäfer, 28, ist freier Journalist. Er schreibt regelmässig für die Tageszeitung Zürcher Oberländer.