Ich denke, das wird für einmal ein Text fern all der Schatten, die ein Dasein wirft und die auf es geworfen werden. Er wird am Ende, so hoffe ich am Anfang, von der brüchigen Ruhe am frühen Morgen erzählt haben, dem Erwachen der Luft, von der Jungfräulichkeit, die jedem neuen Tag innewohnt, von Frühlingsgefühlen, Hormonen und Paarungsabsichten.

Am Abend, bevor ich diesen Text schrieb, trank ich viel zu früh viel zu viel, es war Fasnacht in Basel, die dritte Nacht schon, und meine Flügel trugen mich nicht mehr in diesen tosenden, klingenden Himmel voller Wolken der Euphorie. Mein Flug, das wurde mir klar, war zu Ende, und ich machte mich auf in mein Nest, um all die kleinen Tagträume gegen die grossen nachts zu tauschen.

Ich schlief unverzüglich ein, wachte ein paar Mal auf, das letzte Mal morgens um sechs. Dumpf fühlte ich mich, dehydriert, viel mehr vegetativ als kognitiv. Ich zog den Morgenmantel an, trank Wasser, machte mir einen Espresso und setzte mich raus auf den Balkon, zündete mir eine Zigarette an und hustete in den beginnenden Tag, dachte matt über weniger Trinken und Rauchen nach, aber das ging erfreulicherweise schnell vorüber.

Dann sass ich einfach da, fern von Zeit und Verlangen, erschöpft von der Übersättigung des Lebens der letzten Tage, und es war mir klar, dass dieser Tag einer des Zurückbezahlens ist, aber ich war zu matt, um tiefgründig darüber nachzudenken, was der Sinn dahinter sein könnte, dass der Mensch, sobald er über die Stränge schlägt, stets den Preis eines kleinen Sterbens, körperlich und seelisch, bezahlen muss.

Natürlich, der Rausch des Alkohols zwecks Berauschen des Lebens erfüllt den Tatbestand einer mehr oder weniger lange fröhlichen Vergiftung, und natürlich verpasst man hin und wieder die Schnittstelle, in der die vermeintliche Medizin zum Gift wird, und es wird ein wenig tödlich. Aber es ist ja nicht nur der Alkohol; jede Sucht und Sehnsucht nach einem gesteigerten Lebensgefühl, einem Verlassen der normalen Lebensbahnen, verlangt diesen Preis.

Was will uns das Leben damit sagen? Dass der Körper und vielleicht die Seele auch, sicher ist das nicht, sich in jenem Bereich am wohlsten fühlen, in dem im Grunde am wenigsten passiert, ausser jenem diffusen Ding, das wir Normalität nennen, das grosse Treiben auf dem Boot des Lebens, der manchmal zum ganz normalen und manchmal zum Sterben langweiligen Wahnsinn wird?

Die Seele, meine wenigstens, so viel oder so wenig hab ich von ihr begriffen, braucht, es ist durchaus banal, natürlich beides. Dieses Sein in seichten Gewässern, in dem sie immer wieder, wie ein Boot im Hafen, gelegentlich gegen die Ufermauer stösst, gepolstert durch all den Gummi, den man zum Selbstschutz an sie anbringt. Und dann will sie hinaus, den Hafen achtern, ins Gewässer, will Wellen und gelegentlich Sturmgang. Und dann will sie wieder in den Hafen, sie ist zerzaust dann, aber doch auch gelüftet.

Ich schüttelte den Kopf und holte mir noch einen Espresso. Welch ein Morgen, dachte ich. Der Winter verliert gerade gegen den Frühling, und fast ein ganzes Jahr liegt noch vor einem, das Sein im Hafen, die Momente auf hoher See, das Segeln am Wind, die Hoffnung, dass der Mast nicht bricht.

Noch ist es dunkel, die Vögel aber pfeifen schon, die machen das offenbar, weil die ruhige Luft, die Windstille, den Schall ihres Gesangs besser trägt, hin zu den Weibchen, um zu sagen, ich bin da, hin zu den Rivalen, um zu sagen, ich bin schon da. Ich glaube, es sind Amseln, Meisen und vielleicht Grünfinken. Bald werden sie alle kommen und hier leben, sich paaren, Jungtiere aufziehen, ein paar werden aus dem Nest fallen, ein paar kommen durch. Und sie werden singen, jeden Morgen bis weit in den Mai hinein. Und dann werden sie verstummen für lange Zeit.

Der Tag kommt langsam, die Autos, die Kirchenuhr beginnt zu schlagen, sieben Mal. Ich bleibe noch kurz sitzen, ein wenig wach inzwischen, aber doch nicht ganz, und ich hoffe, dass ich noch ein wenig weiterschwebe, jenseits von Häfen und Ozeanen, getragen vom Wind und von den Symphonien des Morgens. Und ich nehme mir vor, mich zu erinnern an den Morgen, als mein Frühling begann im beginnenden Herbst des Lebens.