Das mit 677.000 Einwohnern kleinste Bundesland Deutschlands wird seit 77 Jahren von der SPD – zuletzt zusammen mit den Grünen und den Linken – regiert. Deshalb verwundert der Zustand des Bundeslandes nicht.

Mit einer Verschuldung von etwas über 91.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung ist Bremen fast fünfmal so stark verschuldet wie der Durchschnitt der Bundesländer mit rund 19.000 Euro. Im Bildungsbereich ist Bremen gemäss den Pisa-Studien innerhalb Deutschlands das Schlusslicht.

Rund 28 Prozent der Bevölkerung sind von Armut betroffen, was sich mit 16,6 Prozent im Landesdurchschnitt vergleicht. Auch die Arbeitslosenquote liegt mit 10,7 Prozent, fast doppelt so hoch wie im gesamten Bundesgebiet (5,7 Prozent). Bremen verzeichnet die meisten Straftaten und ein grosses Einkommensgefälle. Viele internationale Firmen haben den Stadtstaat verlassen. Wahlthemen waren deshalb vor allem die Bildung, die Sicherheit und die Verkehrspolitik.

Wegen eines Flügelstreits innerhalb der Partei konnte die AfD nicht an der Bremer Bürgerschaftswahl teilnehmen. 2019 hatte sie noch 6,1 Prozent der Wählerstimmen erobert. Von der Absenz der AfD profitierte eine andere rechte Partei, die 2004 gegründete «Bürger in Wut» (BIW), zu der bereits in der Vergangenheit immer wieder AfD-Mitglieder übergelaufen waren.

Mehrere der heutigen BIW-Spitzenkandidaten sind ehemalige AfD-Politiker. Der Streit innerhalb der Partei eskalierte nach einer gescheiterten Vorsitzendenwahl im Jahre 2022. Der Rumpfvorstand um Sergej Minich wird vom AfD-Bundesvorstand als rechtmässige Führung des Landesverbandes anerkannt. Eine andere Gruppe bestellte einen Notvorstand. In der Folge wurden zwei konkurrierende Kandidatenlisten eingereicht, was laut Gesetz nicht zulässig ist. Der Landes-Wahlausschuss lehnte daher eine Zulassung der beiden Listen Ende März 2023 ab. Sowohl der Not- als auch der Rumpfvorstand gingen dagegen gerichtlich vor, aber die Eilanträge scheiterten vor dem Staatsgerichtshof und dem Wahlprüfungsgericht.

Bisher hielt die rot-grün-rote Koalition 49 der 84 Sitze (Bremen 69, Bremerhaven 15) im Landesparlament. Sie würde im neugewählten Landesparlament mit 48 der neu 87 Sitze ihre Mehrheit verteidigen.

Allerdings kam es innerhalb der Koalition zu grossen Verschiebungen. Als Alternative zur bisherigen Koalition könnte es deshalb theoretisch auch zu einer grossen rot-schwarzen Zweierkoalition kommen.

Bei den Wahlen vom 14. Mai 2023 mit einer Stimmbeteiligung von 57 Prozent gewannen nur zwei Parteien, die SPD (plus 4,9 Prozentpunkte) und die BIW (plus 7 Prozentpunkte auf 9,4 Prozent), während die CDU (minus 0,5 Prozentpunkt auf 26,2 Prozent) entgegen den Zuwachs-Prognosen und alle anderen Parteien Wähleranteile verloren.

In Bremerhaven kam die BIW sogar auf 22,7 Prozent und überholte dort die CDU. Die CDU vermochte die Schwächen der Bundes-Ampel-Koalition und die Dauermisere in Bremen nicht zu nutzen. Die SPD Bremen profitierte von der Beliebtheit ihres Bürgermeisters und Präsidenten des Bremer Senats, Andreas Bovenschulte. Die 29,8 Prozent sind aber dennoch das zweitschlechteste Ergebnis der Geschichte.
Die grössten Wahlverlierer in ihrer einstigen Hochburg sind allerdings die Grünen (minus 5,5 Prozentpunkte auf noch 11,9 Prozent). Spitzenkandidatin Maike Schaefer trat zurück.

Die Linke konnte mit 10,9 Prozent Wähleranteil (minus 0,4 Prozentpunkte) ihre Stellung fast halten. Die Bremer Linke ist für ihre oft von der Bundespolitik abweichende Haltung bekannt. Sie ist der einzige Landesverband, der sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat.

Dass die BIW derart zulegen konnte, liegt daran, dass rund 50 Prozent ihres Stimmenzuwachses von AfD-Wählern stammten, aber auch an ihren Wahlthemen: Sicherheit, Flüchtlinge, Inflation.

Die FDP verbleibt mit 5,1 Prozent (minus 0,8 Prozentpunkte) knapp im Parlament.

Die wachsende Polarisierung setzte sich in Bremen somit fort. Wichtiger sind jedoch die nächsten Landtagswahlen am 8. Oktober 2023 in Bayern und Hessen.