Am Freitag behauptete Jewgeni Prigoschin, der Chef der russischen privaten MilitÀrfirma Wagner Group, dass hochrangige russische Kommandeure VerrÀter seien. Er forderte die strafrechtliche Verfolgung von Verteidigungsminister Sergei Schoigu und General Waleri Gerassimow, dem Vorsitzenden des Generalstabs.
SpĂ€ter am Tag behauptete Prigoschin, dass das russische MilitĂ€r Stellungen der Wagner-Reserve angegriffen habe. Er kĂŒndigte an, dass sich die ihm loyalen Truppen auf die Stadt Rostow am Don zubewegten.
Das Verteidigungsministerium wies die Behauptung zurĂŒck. Der russische Geheimdienst FSB beschuldigte Prigoschin, einen bewaffneten Staatsstreich zu inszenieren, und rief Wagner-KĂ€mpfer auf, Prigoschin festzunehmen.
Die Strasse, die die Stadt Rostow am Don mit dem sechzig Kilometer westlich gelegenen Hafen Taganrog am Asowschen Meer verbindet, wurde fĂŒr den Verkehr vollstĂ€ndig gesperrt. Auch die Ausfallstrassen aus Moskau in den SĂŒden sind vollstĂ€ndig gesperrt worden.
Der Moskauer BĂŒrgermeister Sergei Sobjanin hat auf Telegram angekĂŒndigt, dass die lokalen Behörden «Anti-Terror-Massnahmen» durchfĂŒhren, um die öffentliche Sicherheit zu maximieren. Er fĂŒgte hinzu, dass diese Massnahmen zusĂ€tzliche Strassensperren und vorĂŒbergehende EinschrĂ€nkungen bei öffentlichen Veranstaltungen beinhalten könnten. Die Bewegungsfreiheit in Moskau ist nicht eingeschrĂ€nkt.
Am Samstagmorgen meldete sich General Sergei Surowikin in einer Videobotschaft an Prigoschin und an die KĂ€mpfer der Wagner-Gruppe. Darin appellierte er, sich auf keinen Fall zu unĂŒberlegten Handlungen hinreissen zu lassen. Weiter erinnerte er daran, wie die Wagners und die russischen StreitkrĂ€fte Artjomowsk befreiten, dass sie gemeinsam Blut vergossen hĂ€tten und jegliche Umsturzversuche lediglich dem Feind nĂŒtzten.
Um 10 Uhr Ortszeit wandte sich PrĂ€sident Wladimir Putin per Fernsehansprache an die BĂŒrger des Landes. Er fĂŒhrte folgende vier Punkte an: PrĂ€sident Putin erklĂ€rte, dass «Russland heute einen zermĂŒrbenden Kampf um seine Zukunft» fĂŒhre und sich mit den «Neonazis und ihren Meistern» auseinandersetze. Er betonte weiter, dass «im Grunde die gesamte militĂ€rische, wirtschaftliche und informationelle Macht des Westens» gegen das Land gerichtet sei.
«Dieser Kampf, in dem sich das Schicksal unseres Volkes entscheidet», erfordere nationale Einheit und Konsolidierung, sagte Putin in seiner Ansprache. Das russische Staatsoberhaupt betonte, dass alle Handlungen, die einen Keil zwischen die Russen treiben, nichts anderes sind als «Verrat an unserem Land und unserem Volk».
Putin erinnerte die Russen daran, dass sich 1917 ein Ă€hnliches Szenario im Land abspielte, als es sich mitten im Ersten Weltkrieg befand. Er erzĂ€hlte, wie «Intrigen, GezĂ€nk und politische Machenschaften hinter dem RĂŒcken der Armee und des Volkes» zum «Zusammenbruch des Staates» und zur «Tragödie des BĂŒrgerkriegs» fĂŒhrten.
«Russen töteten Russen, BrĂŒder töteten BrĂŒder, wĂ€hrend verschiedene politische Abenteurer und auslĂ€ndische MĂ€chte daraus Kapital schlugen», sagte Putin. Er gelobte, dies zu verhindern und Russland und sein Volk zu verteidigen, «auch gegen interne Meuterei».
Putin bezeichnete «jede interne Meuterei» als eine tödliche Bedrohung fĂŒr den russischen Staat und die Nation. Er versprach, «harte Massnahmen» gegen die Meuterer zu ergreifen, die «bereitwillig den Weg des Verrats eingeschlagen» und einen «bewaffneten Aufstand» vorbereitet hĂ€tten. Die Verantwortlichen werden vor dem russischen Volk zur Rechenschaft gezogen werden, versicherte der PrĂ€sident der Ăffentlichkeit.
«Alle notwendigen Befehle wurden an die StreitkrĂ€fte und andere Behörden ausgegeben», erklĂ€rte Putin. Er fĂŒgte hinzu, dass in Moskau, dem Moskauer Gebiet und einigen anderen Orten ein spezielles Anti-Terror-Sicherheitsprotokoll in Kraft gesetzt wurde.
Der russische PrĂ€sident rĂ€umte ein, dass die Lage im sĂŒdrussischen Rostow am Don weiterhin «schwierig» sei, da die Arbeit der örtlichen zivilen und militĂ€rischen Behörden «effektiv blockiert» sei. Der Staat wird jedoch «entscheidende Massnahmen ergreifen, um die Lage in der Stadt zu stabilisieren».
Zum Abschluss seiner Ansprache an die Nation versprach PrĂ€sident Putin, alles zu tun, um «das Land zu verteidigen und die verfassungsmĂ€ssige Ordnung, das Leben, die Sicherheit und die Freiheit der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger zu schĂŒtzen».
So weit zu den Ereignissen, nun zur Analyse.
Seit Januar kritisierte der FĂŒhrer der Wagner-Gruppe die russische MilitĂ€rfĂŒhrung heftig. Dabei schreckte er auch nicht davor zurĂŒck, Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerassimow, der gleichzeitig Oberbefehlshaber der Truppen im Rahmen der Spezialoperation ist, persönlich hart anzugreifen. Insbesondere warf er ihnen vor, die Wagner-Gruppe unzureichend mit Munition auszustatten und damit den Fortschritt der KĂ€mpfe massiv zu behindern und somit den Tod vieler Wagner-KĂ€mpfer verursacht zu haben.
Zum Erstaunen vieler wurde Prigoschin von PrÀsident Putin öffentlich nicht in die Schranken gewiesen, selbst dann nicht als Prigoschin mit dem Abzug der Wagners aus Bachmut (heute Artjomowsk) drohte. Prigoschin schien beim PrÀsidenten Narrenfreiheit zu haben.
Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurden die Wagners aus Artjomowsk abgezogen und durch regulÀre russische Truppen ersetzt.
Die Lage schien sich zu beruhigen, und man ging davon aus, dass die Wagners Ende Juli wieder in den Einsatz geschickt wĂŒrden.
Anfang Juni unterbreitete das Verteidigungsministerium den privaten KrĂ€ften, die an der MilitĂ€roperation beteiligt sind, einen Vertrag. Ziel des Vertrages ist es, die privaten KrĂ€fte der Befehlsgewalt des Verteidigungsministeriums zu unterwerfen. Dies betrifft nicht nur Wagner, sondern auch etwa die Achmat-Gruppe unter der FĂŒhrung von Ramsam Kadyrow, welche im FrĂŒhling letzten Jahres Mariupol eroberte. Kadyrow unterzeichnete den Vertrag, Prigoschin jedoch weigerte sich, Macht abzugeben.
Durch diese Weigerung lief Prigoschin Gefahr, dass die Wagner-Gruppe nicht mehr fĂŒr wichtige Missionen eingesetzt wĂŒrde, was Prigoschin im Kriegstheater zur Randfigur gemacht hĂ€tte. Hierbei darf auch nicht unberĂŒcksichtigt bleiben, dass Prigoschin bereits mehrmals ankĂŒndigte, bei den PrĂ€sidentschaftswahlen im Jahre 2024 antreten zu wollen.
Bereits in den letzten zwei Wochen wurde Prigoschins Ton zunehmend aggressiver und fordernder. Unter anderem warf er Verteidigungsminister Schoigu Korruption und General Gersassimow falsche militÀrische Entscheidungen vor.
Prigoschin hĂ€tte bei einer PrĂ€sidentschaftswahl keinerlei Chancen. Er wird vom russischen Volk als das angesehen, was er ist: ein GlĂŒcksritter, Söldner und ehemaliger Krimineller, welcher dem Kreml als Kriegsinstrument dient und nicht mehr. Prigoschins Aufruf zur Meuterei ist somit ein Umsturzversuch dafĂŒr, seine Macht nicht zu verlieren.
Wie geht es weiter?
Der von Prigoschin angekĂŒndigte «Marsch der Gerechtigkeit» der Wagner-Gruppe nach Moskau wird wohl nicht erfolgreich sein. Prigoschin verfĂŒgt ĂŒber eine Armee von 25.000 Mann, welche sich gegenwĂ€rtig in Rostow am Don befindet â rund tausend Kilometer von Moskau entfernt. Ein solcher Marsch kann nur erfolgreich sein, falls er die Bevölkerung und die Armee von seinem Vorhaben ĂŒberzeugen kann. Dies erachten wir als Wunschdenken. PrĂ€sident Putin sitzt fest im Sattel. Das Volk vertraut ihm.
Dennoch, falls die 25.000 Wagners zu Prigoschin halten, ist das fĂŒr die russische FĂŒhrung ein riesiges Problem. Falls diese Soldaten sich nicht ergeben, wird der Kreml Gewalt anwenden. Dabei sei darauf hingewiesen dass Rostow am Don ĂŒber eine Million Einwohner hat und sich die Wagners in der Stadt befinden. Das könnte sich zu einer riesigen innerrussischen Tragödie entwickeln.
Ist die ganze Sache eine Finte des Kremls?
Es gibt Stimmen in Russland, welche davon ausgehen, dass die ganze Sache eine Finte des Kremls und Prigoschins sein könnte. DafĂŒr gibt es unseres Erachtens keine Hinweise. Weiter wĂŒrde das russische Volk solche perfiden Spiele des Kremls nicht goutieren. Die Rede PrĂ€sident Putins hat diesen Spekulation unserer Erachtens auf ihre Weise einen Riegel vorgeschoben.
Und was sind die Auswirkungen auf das Kriegsgeschehen? Bis Samstagnachmittag hat die Lage an der Front noch nicht verĂ€ndert. Sicher ist jedoch, dass PrĂ€sident Selenskyj diese inneren Wirren fĂŒr sich ausnĂŒtzen will. Auch politisch wird dieser Vorfall von der Ukraine ausgeschlachtet werden. Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba hat Prigoschin dennn auch bereits zum Coup gratuliert.
Nach unseren Informationen erfĂ€hrt Prigoschins Aufruf zur Meuterei weder in der Bevölkerung noch bei den bewaffneten KrĂ€ften UnterstĂŒtzung.
Obwohl dieser versuchte Staatsstreich somit keinen Erfolg haben wird, ist ein Blutvergiessen nicht auszuschliessen.
Denn erstens kommt es, und zweiten immer anders als man denkt. Mir scheint Putin sitzt nun doch fester im Sattel als man dachte in den westlichen Main-Stream-Medien. Und ja, Diadochen-KĂ€mpfe gab es immer mal in Russland, schon zur Zarenzeit war dem so. Und auch in der Sowjet-Union gab es reichlich DiadochenkĂ€mpfe. Also "alte Gewohnheiten" wird man eben nicht so schnell los. - Klar ist doch, fĂŒr beide Seiten, Ukraine und Russland, lĂ€uft es nicht wie gewĂŒnscht. Beide Seiten haben da Probleme.
Die ganze Nummer wĂ€re so oder so an Kraftstoff gescheitert. Munition dasselbe. NatĂŒrlich wissen die Russen von sowas im Vorfeld - FSB usw. Sieht aus wie ne Finte und das die Russen den Prigo loswerden wollten. Der Putin hat den russischen Eliten schon paar mal das FĂŒrchten gelehrt. Mal sehen, ob man auch die Finte noch erkennen wird.
Nette PR-Aktion