Einmal im Jahr spricht der US-Präsident zum Volk über die Lage der Nation. Er skizziert Pläne für die Zukunft, er beschwört die Einheit im Volk und appelliert über Parteigrenzen hinweg, um die dringendsten Probleme gemeinsam zu meistern.

Ganz anders Joe Biden in seiner diesjährigen Ansprache. Das war keine Rede «zur Lage der Nation». Das war seine erste Wahlkampfrede 2024.

Es war eine Rede voller Wut. Eine spalterische Rede, in der er seinen Gegner Donald Trump nie mit Namen erwähnte. Eine Rede «ich» gegen «ihn».

Eine Rede, in der Biden sich als Retter der Demokratie aufspielte. Und Trump als Kumpane von Tyrannen diffamierte.

Eine Rede, in der er sich als Widergänger Franklin Roosevelt und Abraham Lincoln inszenierte. Und Trump sowie die republikanischen Gegner als Hitler, Nazis und Südstaaten brandmarkte.

Der Auftritt war ein Fest für alle Demokraten, welche in Panik geraten waren ab Bidens erschlaffter Vitalität.

Der US-Präsident entfaltete Energie wie noch nie. Furios wie weiland Boxer Jake «raging bull» LaMotta lief er auf. Rotzend wie ein geriatrischer Butt-Head aus der Zeichentrick-Serie «Beavis and Butt-Head» bellte er ins Plenum.

«Seinen Gegner direkt in den ersten Minuten seiner Rede anzugreifen, ist beispiellos und vielleicht der parteiischste Beginn einer Rede zur Lage der Nation seit jüngstem Gedenken», betonte Marc Theissen, ehemals Redeschreiber für George W. Bush, der Bidens Tirade als «absolute Schande» bezeichnete.

Bidens Gegner mögen zürnen. Doch für sich und seine Partei hat Biden das Maximum aus seiner miserablen Bilanz als Präsident herausgeholt.

Alles, was schiefläuft, schob er – wie gewohnt – «meinem Vorgänger» in die Schuhe.

Sein wichtigstes Thema war «die Invasion».

Nein, nicht die Invasion von Migranten über die US-Südgrenze, die alle Rekorde bricht. Nicht die Invasion von Drogen und die Hunderttausenden von Fentanyl-Toten in Amerika.

Bidens dringendstes Anliegen ist die Invasion in der Ukraine. Seine wichtigste Forderung lautet, sofort 60 weitere Milliarden Dollar für den Krieg locker zu machen.

Dies obwohl Umfangen längst zeigen, dass die Amerikaner den Schutz ihres Landes als wichtiger ansehen als die Finanzierung ferner Kriege.

Nach all dem klirrenden Rhetorik wäre etwas Erbauendes gut angekommen. Doch Fehlanzeige. Biden bot den Amerikanern nichts, woran sie ihre Hoffnungen nähren könnten.

Kein «neuer Morgen in Amerika», wie Reagan einst skizzierte, kein «Yes, we can», wie Obama einst versprach, kein «Make America Great Again» wie Trump propagierte.

«Nicht bessere Strassen und Schulen, billigerer Strom und Lebensmittel, nein, Abtreibung und Krieg, das ist es, was er zu bieten hat», kommentierte Tucker Carlson.

Und trotzdem gibt es eine gute Botschaft zu vermelden.

Reden zur Nation «haben normalerweise keine grosse politische Wirkung», wie die Washington Post dokumentiert.

Historisch betrachtet haben sie kaum je etwas daran geändert hat, wie die Amerikaner den Präsidenten sehen.

Bidens Rede dürfte morgen, wenn die Nation das Fenster zur Realität öffnet, längst vergessen sein.