Eigentlich war es von Anfang an klar, dass drei Parteien mit derart konträren ideologischen Ausrichtungen auf Dauer nicht harmonieren würden. Aber die FDP wollte um jeden Preis mitregieren, nachdem sie nach ihrem Rückzug aus den Sondierungsgesprächen 2017 («Jamaika-Koalition») ausgebootet worden war. Kurz vor Mitternacht zwischen dem 19. und dem 20. November 2017 erklärte die FDP die Verhandlungen damals für gescheitert. Daraufhin kam es zur Fortsetzung der seit 2013 bestehenden schwarz-roten Grossen Koalition von Union und SPD mit dem Kabinett Merkel IV.

Die Postenjäger wollten sich die Chance des Mitregierens im September 2021 nicht nochmals entgehen lassen. Deshalb stieg die FDP als Juniorpartner und Mehrheitsbringer in die Ampelkoalition ein. Der Preis dafür wird jedoch hoch sein, denn es ist fraglich, ob die FDP bei den nächsten Wahlen überhaupt noch die 5-Prozent-Hürde schaffen wird. Nach einem Wähleranteil von 10,7 Prozent bei den Wahlen 2017 sanken die Umfragewerte nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition bis auf 5 Prozent. Bei den Wahlen 2021 kam die Partei erneut auf 11,5 Prozent Wähleranteil. Aber auch diesmal sind ihre Umfragewerte bei 5 Prozent oder tiefer angekommen.

Der Streit innerhalb der Ampel hält schon seit Monaten an und hat mit drei separaten, nicht abgesprochenen Konferenzen zur Belebung der darbenden Wirtschaft einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Der Befund ist zwar für alle drei Parteien klar: Deutschland hat massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Im globalen Ranking ist das Land von Rang 6 auf Rang 24 abgesackt. Aber wie die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden könnte, darüber herrscht grosse Uneinigkeit. Der nächste Stolperstein oder die Sollbruchstelle werden jedoch die anstehenden Budgetdiskussionen der nächsten Wochen sein. Bis zum 14. November soll der Haushalt unter Dach und Fach gebracht werden. Lindner hatte bereits angekündigt, nur dann weiterzumachen, wenn es gelinge, einen stabilen Etat, der auch wesentliche Ausgabenkürzungen beinhaltet, auf die Beine zu stellen.

Aber schon vor den Budgetentscheiden hat die Veröffentlichung eines internen Grundsatzpapiers von Finanzminister Lindner am 1. November die bereits vorherrschende Meinung eines vorzeitigen Ampel-Endes weiter befeuert. Es wird von den Medien bereits als «Scheidungsdokument» verspottet. Damit wolle Lindner seinen Rauswurf provozieren, um nicht als Totengräber der Koalition zu gelten. Ob es sich um eine Indiskretion aus dem engen Empfängerkreis der SPD und der Grünen oder um eine gezielte Aktion aus den eigenen Reihen handelt, lässt sich derzeit nicht ermitteln.

Im Papier soll Lindner eine umfassende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik und eine Abschaffung der kalten Progression fordern. Dafür wird er allerdings im Parlament derzeit keine Mehrheit finden. Die Milliardensubventionen, die für die inzwischen abgesagte Ansiedlung eines Intel-Chip-Werkes vorgesehen waren, werden von Links-Grün nun als freie Mittel für das Budget betrachtet, was jedoch umstritten ist. Ebenso kontrovers ist die Rechtmässigkeit des Rest-Solis, den Finanzminister Lindner abschaffen möchte. Über diese zwölf Milliarden Euro wird das Bundesverfassungsgericht am 12. November entscheiden. Und schliesslich bleibt noch das Rentenpaket, über das sich Lindner und Kanzler Scholz noch nicht einigen konnten.

Noch gibt es vereinzelte Durchhalteparolen, aber selbst der Kanzler hat wohl resigniert. Ihm wird Führungsschwäche vorgeworfen, weil er die Kontrolle über die Koalition verloren habe. Medien glauben, dass die deutsche Regierung noch die US-Präsidentschaftswahlen am 5. November abwarten wird, um dann das Ende der Ampel anzukündigen.

Kanzler Scholz könnte theoretisch die Vertrauensfrage stellen und hoffen, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dann Neuwahlen ausruft. Das wäre zwar nicht zwingend. Er könnte auch darauf bestehen, dass die Ampel bis zu den regulären Wahlen im Herbst 2025 im Amt bleibt, im Zweifelsfall als Minderheitsregierung. Für die FDP ist eine Aufkündigung der Ampelkoalition noch ein letzter Strohhalm, um von den Wählern doch noch ernst genommen zu werden. Eigentlich geht es nur noch um das «Wann und Wie».